Keine Alleinvertretungsansprüche im jüdisch-christlichen Dialog – die Diskussion muss neu beginnen 

Von: Hans-Jürgen Abromeit, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe 10/2020

Im Märzheft des Deutschen Pfarrerblatts hat Johannes Wallmann eine Debatte über einige Aspekte des im Sommer 2019 gehaltenen Vortrags von Hans-Jürgen Abromeit eröffnet. Der Sichtweise Abromeits und Wallmanns hat Friedhelm Pieper in der Juniausgabe des Deutschen Pfarrerblatts deutlich widersprochen. Die einander entgegengesetzten Positionen sind dabei – auch in der fortgesetzten Diskussion bis hinein in die Online-Kommentare zu den Beiträgen – hinreichend klar geworden. Hier ergreift nun allerdings der „Urheber“ der Kontroverse, Hans-Jürgen Abromeit, noch einmal selbst das Wort, um seine ursprünglichen Überlegungen zu verteidigen.

Der Nestor der Kirchengeschichtsforschung in Deutschland, Johannes Wallmann, ist mir in dem nun schon ein Jahr währenden Schlagabtausch über meinen Bad Blankenburger Vortrag von 20191 beigesprungen und hat an die Adresse Friedhelm Piepers gerichtet festgestellt: „Was heute christlichjüdischer Dialog genannt wird, ist bei genauerer Betrachtung kein Dialog, sondern ein Monolog, bei dem eine Vielzahl christlicher Stimmen sich um religiöse Annäherung an das Judentum zu überbieten sucht und untereinander streitet.“

Es ist hier nicht der Raum, die gesamte Entwicklung darzustellen, warum das so geworden ist. Einer der Gründe ist aber – und dafür steht Pieper –, dass es einige „Experten“ für eine jüdisch-christliche Normaldialogtheologie gibt, die versuchen zu definieren, was gedacht und gesagt werden darf und was nicht. Pieper ist nun überzeugt, dass ich gegen diese Normaltheologie verstoßen habe und zensiert meinen Vortrag entsprechend. Jüdisch-christlicher Dialog ist nach dieser Definition nur das, was Pieper und seine Gesinnungsgenossen betreiben.

Dabei ist die jüdische Welt weitaus vielfältiger als die Stimmen, die sich in der orthodoxen Rabbinerkonferenz oder auch im Zentralrat der Juden in Deutschland artikulieren. Verdächtig ist es dabei, wenn sich konkrete politische Positionen aus angeblich rein theologisch begründeten Einstellungen ergeben, besonders verdächtig, wenn diese Positionen manchmal mit denen der jetzigen Netanjahu-Regierung in Israel zusammenfallen. Hier gibt es nicht selten politische Übereinstimmungen dieser Art von jüdisch-christlicher Theologie, die ja eher liberalkritischen Ursprungs ist, mit einer extrem fundamentalistischen Israel-Theologie, wie man sie in evangelikalen Kreisen findet. Diese letzte Spielart stand mir vor Augen, als ich mich im letzten Jahr in Bad Blankenburg bei der Jahreskonferenz der Evangelischen Allianz zu Wort gemeldet habe.

Eine Öffnung der Perspektive
Allzu oft wird in diesen Kreisen ein christlicher Zionismus vertreten und nicht zwischen dem Volk Israel in biblischen Zeiten und dem heutigen Staat Israel unterschieden. Es wird so getan, als ergäbe sich aus der Bibel eindeutig eine Notwendigkeit, den heutigen Staat Israel in seiner konkreten Politik zu unterstützen. Dabei übersehen die christlichen Zionisten, dass es schon in der Bibel eine enorme Spannbreite von Auffassungen zum Land Israel, seinem Verheißungscharakter und den Vorstellungen vom Wohnen und Leben im Lande gibt. Völlig unkritisch wird über die innerbiblischen Entwicklungen und über das große Spektrum jüdischer Einstellungen auf der ganzen Welt hinweggesehen.

Am Ende läuft „Solidarität mit Israel“ auf eine Unterstützung der Politik des Staates Israel hinaus. Solch ein christlicher Zionismus, der die Forderung der atl. Propheten nach Recht und Gerechtigkeit ignoriert und nur die Vorstellung von einem allein vom jüdischen Volk bewohnten Land Israel kennt, kann sich zwar auf einen Teil der deuteronomistischen Theologie berufen, hat aber den größeren Teil der biblischen Überlieferung gegen sich. Ich habe „skizzenartig die beiden äußeren Pole der jeweiligen religiösen Potentiale“ von AT und NT benannt und „dann nach dem Zukunftspotential dieser Überzeugung“ gefragt. Ich habe also differenziert und nicht einseitig das AT gegenüber dem NT abgewertet.

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Der vollständige Artikel aus Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe 10/2020 hier

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