Mit dem Blick liebevoller wachsamer Augen

Ausriss aus dem nd v. 18.07.2021

Auf Wunsch von Esther Bejarano hielt ihr enger Freund Rolf Becker im Beisein von fast 3000 Anwesenden, mit zahlreichen Vertretern des offziellen Judentums und prominenter Politiker, eine sehr persönliche Rede, die alle Facetten ihres Lebens einbezog. So auch eine längere Passage über die Ablehnung der israelischen Besatzungspolitik, den Gründen für ihre Rückkehr in das Land der Täter, ihre Sympathie für die israelkritische Solidaritätsbewegung und die Ablehnung der absurden Antisemitismusvorwürfe gegen die Bewegung. Ein Vorwurf, von dem auch sie nicht verschont blieb. Rolf Beckers Rede muß für viele Anwesende auf der Trauerfeier mit ihren doppelmoralischem Verhalten ein Schlag in die Magengrube gewesen sein, denn wo in der Republik konnte man in den Medien darüber lesen, daß Esther Bejarano konsequent gegen jede Form der Unterdrückung, von Hass, Verfolgung und Vernichtung eintrat.

Im folgenden dokumentiert die junge Welt v. 21.07.2021 die Trauerrede des Schauspielers Rolf Becker zur Beisetzung von Esther Bejarano auf dem Jüdischen Friedhof Ohlsdorf in Hamburg, gehalten am Sonntag, dem 18. Juli 2021.


Hier ein Auszug aus dem Artikel von Susann Witt-Stahl über die Trauerfeier im nd vom 18.07.2021

Mit dem Blick liebevoll wachsamer Augen
Tausende nahmen in Hamburg bei einer ergreifenden Trauerfeier Abschied von der Antifaschistin Esther Bejarano

Es war ein großer Ansturm trauernder Genossen und Mitstreiter, vor allem Antifaschisten, erwartet worden – und er kam. Zwischen 2000 und 3000 Menschen versammelten sich auf und vor dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf im Norden der Hansestadt Hamburg, um Esther Bejarano das letzte Geleit zu geben. Die Holocaust-Überlebende und Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in Deutschland war am 10. Juli im Alter von 96 Jahren gestorben.

In der vergangenen Woche hatte es bundesweit unzählige Gedenkveranstaltungen der Partei Die Linke, der DKP, des VVN-BdA und anderen linken Parteien und Organisationen gegeben. In Hamburg und anderen Großstädten waren Plakate mit Parolen, wie »Dein Kampf geht weiter« an Häuserwänden zu sehen.

Auf dem Friedhof verabschiedeten sich Musiker von der Sängerin und dem ehemaligen Kopf der Gruppen Coincidence und Microphone Mafia mit »El pueblo unido«, der Hymne des proletarischen Internationalismus. Auf den Trauerbändern vieler Kränze war die Losung »Nie wieder Faschismus. Nie wieder Krieg!« zu lesen, die für Esther Bejarano seit ihrer Befreiung am 3. Mai 1945 zum unteilbaren kategorischen Imperativ ihres Lebens geworden war.

[…]

»Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht« – dieser letzte Auftrag, den Bejarano allen fortschrittlichen Kräften mit auf den Weg gegeben hat, habe für sie auch immer gegolten, wenn es darum gegangen sei, die Stimme gegen die Unterdrückung und Diskriminierung der Palästinenser zu erheben, so Beckers deutliche Botschaft an rechte Politiker und Akteure aus dem Milieu der sogenannten Antideutschen, die jüdische Linke, die israelische Regierungen kritisieren, pauschal als »Antisemiten« verunglimpfen – eine Verleumdungspraxis, der Esther Bejarano und noch mehr ihr Freund Moshe Zuckermann ausgesetzt waren. Der Historiker, mit dem Bejarano und Becker mehrere Veranstaltungen – darunter das Projekt »›Losgelöst von allen Wurzeln‹ – Eine Wanderung zwischen den jüdischen Welten« – bestritten hatte, konnte pandemiebedingt nicht aus Tel Aviv einfliegen.

»Ich habe Esther geliebt«, so eine der bewegenden Zeilen, die Zuckermann von Rolf Becker verlesen ließ. Bejarano sei »die Verkörperung der Möglichkeit, persönliches Lebensleid« in eine emanzipative Emphase zu übersetzen. Konkret habe das bedeutet, entschieden gegen die bis heute real existierenden bedrohlichen »Bedingungen und Voraussetzungen« einer neuen Menschheitskatastrophe, Militarismus, Imperialismus, Faschismus, einzutreten – ein Engagement, das untrennbar »mit dem Kampf für eine andere Gesellschaftsordnung« verbunden sei, führte Zuckermann im Gespräch mit »nd« aus. Und er warnte eindringlich davor, dass nach dem Tod der letzten Zeitzeugen der Nazi-Barbarei, die wie Bejarano mit dem unausrottbaren Glauben an die Menschheit für eine bessere Welt gestritten haben, linke Stimmen im Zuge der gegenwärtigen Rechtsentwicklung noch mehr »zum Verstummen kommen« könnten. Gleiches tat Rolf Becker, indem er an Herzensintelligenz und Widerstandsgeist in dem eindringlichen »Blick der liebevoll wachsamen Augen« von Esther Bejarano erinnerte, die sie nun für immer geschlossen hat.

der vollständige Artikel hier: nd vom 18.07.2021
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1154606.esther-bejarano-mit-dem-blick-liebevoll-wachsamer-augen.html?pk_campaign=SocialMedia

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in allgemein von . Setze ein Lesezeichen zum Permalink.