Alttestamentarische Propaganda

Die Anzeige, die in der vergangenen Woche in mehreren us-amerikanischen Zeitungen (u.a. in der New York Times, Washington Post und dem Wallstreet Journal) und dem britischen Guardian auf einer ganzen Seite erschien, vergleicht die Politik der Hamas im jetzigen Gaza-Krieg mit der Geschichte von den Kinderopfern, von denen im alten Testament erzählt wird. Damals, vor 3500 Jahren, wären einem phönizisch-kanaaischen Götzengott mit dem bezeichnenden Namen „Moloch“ Kinderopfer durch Verbrennen dargebracht worden. Die ganzseitige Anzeige ist überschrieben: „Die Juden lehnten Kinderopfer vor 3500 Jahren ab. Jetzt ist die Hamas an der Reihe.“

Elie Wiesel. Foto: David Shankbone, Medienarchiv Wikimedia Commons

Die Anzeige bemüht das höchst mögliche Pathos: „I call upon President Obama and the leaders of the world to condemn Hamas“. Die Worte werden dem in den USA hoch angesehenen 85-jährigen Elie Wiesel, Überlebender von Auschwitz und Friedensnobelpreisträger, in den Mund gelegt, der weiter in der Anzeige zitiert wird: „Ich musste selber mit ansehen, wie jüdische Kinder ins Feuer geworfen wurden. Und nun sehe ich muslimische Kinder, die als menschliche Schutzschirme benutzt werden. In beiden Fällen sind es die Anhänger eines Todeskultes…. Was wir heute erleiden ist nicht der Kampf von Juden gegen Araber oder Israelis gegen Palästinenser. Es ist der Kampf zwischen Menschen, die das Leben und anderen, die den Tod anbeten. Es ist der Kampf zwischen der Zivilisation und der Barberei.“

Der Londoner Times verweigerte den Abdruck der Anzeige. Die Aussage der Anzeige wäre zu stark und zu massiv; sie würde unter einer beträchtlichen Anzahl von Lesern der Zeitung große Betroffenheit auslösen. (“the opinion being expressed is too strong and too forcefully made and will cause concern amongst a significant number of Times readers”).

Die Reaktion auf diese Ablehnung ließ nicht lange auf sich warten. Rabbi Schmuley Boteach, dessen Organisation „The Values Network“ in New Jersey die Anzeigenkampagne sponsort, erklärte zur Ablehnung der Times: „Elie Wiesel gehört zu den Menschen, die den höchsten Respekt verdienen. Er ist Friedensnobelpreisträger und der lebende Beweis für den Holocaust. Es gibt keinen größeren Experten für Völkermord weltweit. Seine Forderung nach einem Ende von Kinderopfern der Hamas …und nach einem Stopp der völkermörderischen Charta, die den Tod aller Juden verlangt, kann höchstens die Gefühle von ewig gestrigen Israel-Hassern und notorischen Antisemiten verletzen.“

Ein einfacher Kommentar dazu: Eine mit modernsten Zerstörungsmitteln ausgerüstete Armee überfällt zu Wasser, zu Lande und zur Luft eine dicht besiedelte, abgeriegelte und durch jahrelange Handels- und Reiseblockaden ausgepowerte Enklave, tötet rund 1900 Menschen – zu mindestens zwei Dritteln unbewaffnete Zivilisten, darunter rund 400 Kinder – und erklärt dies zu einer Operation gegen den Terror.

Informationen aus Ha’aretz v. 06. und 10.08.14
Sönke Hundt

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