Bis zur Operation ‘Fels in der Brandung’ (Protective Edge) kamen die meisten ‘Botschaften’ bezüglich des israelisch-palästinensischen Konfliktes – zumindest diejenigen, die durch die Mainstream-Medien gingen – von israelischer Seite. Von den Anfängen des Zionismus in Palästina – vor etwa 110 Jahren – an hat die jüdische Gemeinschaft, und zwar weder der Yishuv (diejenigen Juden, die vor 1948 in Palästina lebten) aus der Zeit vor der Staatsgründung, noch diejenige, die sich dann als Staat Israel konstitutierte, die Palästinenser ernst genommen. Sie waren dunkelhäutige ‘Eingeborene’ mit Palästinensertüchern um den Kopf, Fedayin oder Terroristen ohne Namen, Geschichte oder Menschlichkeit. Sie wurden als existenzielle Bedrohung unter der Rubrik ‘Araber’ wahrgenommen.
Auch im Jahre 1967, als Israel sich dann einer organisierten, sichtbaren und politisch bewussten palästinensischen Gesellschaft von Angesicht zu Angesicht gegenüber sah, kam die israelische Führung nicht im Traum auf die Idee, mit ihr zu reden. Stattdessen nahmen sie lieber alles Land und alle Ressourcen, die sie in der West Bank gebrauchen konnten. Die palästinensische Bevölkerung sollte gefälligst an Jordanien ‘zurückgegeben’ werden. (Niemand in Israel hat bis auf den heutigen Tag die geringste Idee, was mit Gaza geschehen sollte, außer, es zu isolieren). Premierministerin Golda Meir leugnete lautstark und entschieden, daß es überhaupt ein ‘palästinensisches’ Volk gebe. Keine israelische Regierung hat jemals die nationalen Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung in ihrem eigenen Land anerkannt, noch nicht einmal in einem winzigen, abgeschnittenen Staat in Teilen der Besetzten Gebiete. Selbst in den hoffnungsvollsten Tagen des Osloer ‘Friedensprozesses’ war alles, worauf sich die Labor/Meretz-Regierung einließ, die Anerkennung der PLO als Verhandlungspartner. Niemals hat die israelische Regierung die Idee eines wirklich souveränen, lebensfähigen palästinensischen Staates anerkannt, selbst, wenn er demilitarisiert wäre und nur auf einem Fünftel des Gebietes des ehemaligen Palästina bestehen würde.
Sicher, das palästinensische Volk leistete Widerstand und versuchte, wenn es möglich war, zu verhandeln. Seine Führung war oft schwach. Aber es gilt Folgendes zu bedenken: Seit 1948, als die neugegründete IDF von Dorf zu Dorf ging mit Listen, auf denen die Namen derer standen, die umgebracht werden sollten, bis zur versuchten Ermordung von Muhammed Deif vor einigen Tagen, hat Israel eine systematische Kampagne durchgeführt, die das Ziel hatte, jeden Palästinenser, der tatsächliche oder potenzielle Führungsqualitäten zeigte, durch Ermordung oder Einkerkerung zu eliminieren. Sie haben Angst, auf palästinensische Friedensangebote einzugehen, könnten sie damit doch ihre eigenen absoluten Ansprüche unterminieren, dadurch dass sie eine palästinensische ‘Seite’ anerkennen, bzw. legitimieren. Somit ignorieren oder verhöhnen sie jede palästinensische Hand, die sich ihnen entgegenstreckt. Wer erinnert sich beispielsweise noch an die bewegenden Worte Yassir Arafats anlässlich des (erfolglosen) Abschlusses der Wye-Plantation-Verhandlungen im Jahre 1998? Das war, als Netanyahu sich dazu entschloss, den verabredeten israelischen Rückzug in der West Bank zu stoppen und als sein Außenminister Sharon die Siedler öffentlich dazu aufforderte, ‘jeden Hügel zu okkupieren’. Trotzdem sagte Arafat in der abschießenden Pressekonferenz (und zwar ohne konkrete Veranlassung und ohne dass es etwas für ihn zu gewinnen gab:
Ich glaube im Namen aller Palästinenser zu sprechen wenn ich Ihnen versichere, dass uns allen die Sicherheit eines jeden Kindes, einer jeden Frau und eines jeden Mannes in Israel am Herzen liegt. Ich werde tun, was ich kann, damit keine israelische Mutter sich Sorgen machen muss, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter sich verspätet, oder dass kein Israeli sich fürchten muss, wenn er eine Explosion hört.
Die Botschaft der Palästinenser von Frieden, Sicherheit, ja, und Gerechtigkeit ist immer unter israelischer Meinungsmache begraben worden. Während genau des Wye-Plantantion-Treffens weigerte sich Sharon vor laufenden Kameras demonstrativ, Arafat die Hand zu geben. ‘Diesem Hund die Hand geben?’ sagte er zu Reportern: ‘Niemals.’
Mahmoud Abbas ging es mit Sharon und Netanyahu nicht besser, trotz wiederholter gefilmter Treffen mit israelischen Studenten, Knessetmitgliedern und anderen, die bereit waren, seinen Friedenvorschlägen zuzuhören, selbst, als er bereit war, Teile von Ost-Jerusalem und einige größere Siedlungsblöcke aufzugeben.
Abbas und seine Palästinensische Autonomiebehörde tragen auch ihren Teil der Verantwortung. Abbas hat seine profiliertesten Sprecher zum Schweigen gebracht, hat die diplomatischen Posten größtenteils mit unfähigen politischen Mitläufern besetzt und macht es für Reporter nahezu unmöglich, Informationen oder Antworten zu bekommen – alles im Gegensatz zu Israels gepriesener öffentlicher Diplomatie und seinen Legionen von professionellen Meinungsmachern.
Die Konsequenz: es gibt überhaupt nur wenige offizielle Aussagen von palästinensischer Seite. Was die Situation bislang halbwegs gerettet hat, ist die Unterstützung der palästinensischen Sache in der Zivilgesellschaft: da sind die Mitarbeiter der Elektronischen Intifada, die wortgewaltigen palästinensischen Aktivisten bei Al Shabaka (palästinensiches politisches Netzwerk), die Veranstaltungen und Aktionen an den Universitäten durch Studenten für Gerechtigkeit in Palästina (SJP) und die unzähligen Analysten, Aktivisten und Organisationen der internationalen Zivilgesellschaft, einschließlich kritischer Israelis, und da ist, nicht zu vergessen, die BDS-Bewegung.
Dies alles schien sich plötzlich zu wandeln, als Israel am 26.8.2014 erklärte, es habe einen dauerhaften Waffenstillstand ohne Vorbedingungen akzeptiert, auf den vierwöchige Verhandlungen über alle wichtigen Punkte in Bezug auf Gaza folgen sollten. Zu den wichtigen Punkten gehören: Öffnung der Grenzen, Wiederaufbau unter internationaler Aufsicht, Wiederaufbau des Flughafens und des Hafens, Beendigung der Beschränkungen für die Fischer von Gaza, Landwirtschaft in der ‘Pufferzone’, die Wiederöffnung einer ‘sicheren Verbindung’ in die West Bank, die Freilassung von Gefangenen und vieles mehr.
Die Hamas, die die Konfrontation mit Israel angeführt hatte, achtete darauf, Gaza nicht vom weitergehenden Kampf um nationale palästinensische Rechte abzukoppeln: Es war Abbas, der den Waffenstillstand verkündete, nicht Khaled Mashla oder Ismail Haniya. Hierdurch betonten sie, dass der Kampf der palästinensische Kampf ist, nicht nur der von Gaza. In der Tat ist es so, dass, obwohl Netanyahu die Operation Fels in der Brandung begonnen hatte mit dem Ziel, die palästinensische Einheitsregierung von Fatah und Hamas zu zerstören, er das Gegenteil erreicht hat. Hamas geht als Favorit des palästinensischen Volkes aus dem Krieg hervor, zumindest, was den Widerstand angeht. Es wurde bekannt gegeben, dass Hamas und der Islamische Jihad der PLO beitreten. Und, um eine Art von zivilem Verhältnis zu Ägypten zu ermöglichen, nahm die Hamas ihr pan-islamisches, der Muslimbruderschaft nahestehendes Profil zurück zugunsten ihres palästinensischen Profils.
Dennoch, die Botschaften gehen von der Hamas aus, die nicht nur gegen die israelische Besatzung kämpft, sondern auch die politische Initiative ergriffen hat. Abbas hat die Kooperation mit Israel in Sicherheitsfragen für ‘sakrosankt’ erklärt. Er duldet es, dass Israel sich de facto der C-Zone bemächtigt und sie kontrolliert, diejenigen 62% der West Bank, in denen die Siedlungen, das massive Netzwerk israelischer Autobahnen und die Mauer das Ende der Zwei-Staaten-Lösung dokumentieren. Hamas hat, im Gegensatz dazu Israel eine machtvolle Botschaft geschickt: Wir werden uns nicht ergeben, selbst wenn ihr uns tötet. Behandelt uns gerecht – oder verschwindet.
In der Tat, selbst im Augenblick ihres Triumpfes – ein israelischer Kommentator bemerkte in dieser Woche trocken im Fernsehen, dass ‘dies kein sechs-Tage-Krieg sein wird’, und Umfragen zeigen, dass 59% der Israelis nicht glauben, dass Israel gewonnen hat – hat Hamas die Tür für eine Zwei-Staaten-Lösung offen gehalten. Ihre Position, soweit ich sie verstehe und wie sie im Nationalen Versöhnungsdokument der Gefangenen von 2006 niedergelegt ist, ist nuanciert, hat aber Prinzipien und ist kohärent: Die Hamas und der Jihad leugnen völlig die Legitimität Israels. Sie sehen es als einen Kolonialstaat an und lehnen daher jegliche Verhandlungen mit Israel oder eine daraus folgende Anerkennung ab. Dennoch: Wenn andere palästinensische Parteien (z. B. die Fatah) in Verhandlungen mit Israel eintreten und wenn das Ergebnis dieser Verhandlungen der vollständige Rückzug aus den Besetzten Gebieten ist, und zwar unter Bedingungen, die es ermöglichen, dass ein wirklich souveräner und lebensfähiger palästinensischer Staat entstehen könnte, und wenn ein solches Ergebnis von einem Referendum, dass unter allen Palästinensern in der Welt abgehalten würde, gebilligt würde, dann würden Hamas und Jihad dies als den Willen der Palästinenser respektieren. Also, während die Hamas immer noch die Legitimität Israels prinzipiell leugnet, hat sie sich dennoch darauf eingelassen, einer Einheitsregierung beizutreten, die eine zwei-Staaten-Lösung akzeptiert – Das reichte für die Regierung Netanyahu, um zu versuchen, die Einheitsregierung zu zerbrechen. Daher nun Hamas’ Botschaft an Israel nach der Operation Fels in der Brandung: Behandelt uns gerecht, oder verschwindet. Dies ist eure letzte Gelegenheit. Die Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung, von der zurecht nur wenige Palästinenser noch glauben, dass sie möglich ist, ist die Ein-Staat-Lösung. Das ist ein demokratischer Staat in den Augen der palästinensischen Linken, nach Meinung von Hamas und Jihad eine Situation wie es sie seinerzeit in Algerien gab, nämlich in der die Kolonisten das Land verlassen.
Dies sollte Israel zum Nachdenken veranlassen. Ironischerweise war es Israel, das die Zwei-Staaten-Lösung eliminiert hat und nur die Möglichkeit eines einzigen Staates gelassen hat – eines Apartheidstaates nach den Vorstellungen aller israelischer Regierungen, einschließlich der Labourregierungen. In der Tat, erst im letzten Monat sagte Netanyahu öffentlich: ‘Es wird keine Situation geben, bei keinem Übereinkommen, in der wir die Sicherheitskontrolle des Gebietes westlich des Jordans abgeben.’
Seit 110 Jahren glaubt der ‘praktische Zionismus’ er könne die Eingeborenen besiegen, er könne Palästina judaisieren und könne, mithilfe seiner metaphorischen und physischen Eisernen Mauern ‘die Araber’ davon abbringen, dass das Land Israel jemals Palästina wird.
Nun, Israel hat getan, was es konnte. Es hat den größten Teil des Landes an sich gerissen, es hat die meisten Palästinenser vertrieben, ins Gefängnis geworfen und verarmt in kleine Enklaven gesperrt, sowohl innerhalb Israels als auch in den besetzten Gebieten. Es hat die palästinensische Präsenz und das palästinensische Erbe unter ausschließlich israelischen Städten, Kibbuzen und Nationalparks begraben, es hat seine Führer umgebracht und seine Jugend ohne Hoffnung auf eine Zukunft zurückgelassen. Nunmehr hat es die volle Macht einer der am besten ausgestatteten Armeen der Welt gegen ein Bevölkerung von 2 Millionen Menschen aufmarschieren lassen, die in einem Gebiet leben, das etwas so groß ist, wie die Stadt Mobile in Alabama. Mehr als 2000 Tote gab es in Gaza, weitere 12000 Menschen wurden verletzt. Ca. 20000 Häuser wurden zerstört, 475000 Menschen wurden obdachlos. Der Sachschaden an Gebäuden und Infrastruktur beträgt ca. 6 Milliarden Dollar. Für was?
Vielleicht hat Israel endlich die Grenzen von Macht und Gewalt entdeckt. Nach diesen vielen Versuchen, das Problem mit Gewalt zu lösen – und, es stimmt, nachdem sie den Palästinensern vernichtende Schläge zugefügt haben, wie Netanyahu und die IDF stolz verkünden – hat Israel eine Möglichkeit gewonnen: Zu erkennen, bevor es zu spät ist, dass die Palästinenser militärisch nicht zu besiegen sind, dass Israel niemals in Sicherheit ein normales Leben führen können wird, egal wie viele Schläge es den Palästinensern austeilt, solang die Besatzung bestehen bleibt. Trotz all seiner Stärke wird Israel wahrscheinlich verschwinden, wenn es den Einheimischen keine Gerechtigkeit widerfahren lässt.
Zumindest Abbas scheint die Botschaft verstanden zu haben. Er legt keinen Wert mehr auf weitere, gegenstandslose Verhandlungen, wie die, die von den USA vermittelt wurden. Er fordert, dass die UNO ein Zieldatum setzt für den israelischen Rückzug, vielleicht geht er damit auch zum Internationalen Strafgerichtshof. Hamas wird dafür sorgen, dass er nicht hinter diese Position zurückfällt. Vielleicht wird Israel die Botschaft nicht hören, weil seine Hybris es blind macht für die tektonischen Verschiebungen in der geopolitischen Landschaft, besonders unter den Völkern der Welt. Aber der Zusammenbruch findet statt. Vielleicht wird er langsamer vor sich gehen als in dem Apartheitsstaat von Südafrika, als in der Sowjetunion, dem Iran des Schah oder Mubaraks Ägypten, aber er wird stattfinden. Nachdem es nun die Kraft der Abschreckung verloren hat, muss Israel entweder die Palästinenser gerecht behandeln oder in der Tat verschwinden.
Jeff Halper ist der Direktor des israelischen Kommitees gegen Hauszerstörungen (Israeli Committee Against House Demolitions – ICAHD). Man kann ihn erreichen unter: jeff@icahd.org.
Die englische Originalversion finden Sie unter:
http://mondoweiss.net/2014/08/palestinian-message-disappear.html