“Keine Diskursvermischung!” – Bericht vom “Taz-Salon” über Antisemitismus in Bremen

Pro-Palästina-Demonstration auf dem Marktplatz am 23. Juli 2014. Es sind keine antisemitischen Parolen zu sehen.

Die “Tageszeitung” (Taz) hatte sich für ihre Podiumsdiskussion am 13. September im Kulturzentrum Lagerhaus in der Schildstraße ein provozierendes Thema ausgesucht, ob nämlich Bremen eine Hochburg des Antisemitismus geworden sei (“Sind wir alle Antisemiten?”).

Der Diskussion vorausgegangen war in Bremen eine – gemessen am Ergebnis – schon hysterisch zu nennende Diskussion mit großer Beteiligung auch überregionaler Medien und der Politik.

  • Die Grünen- und Teile der SPD-Fraktion hatten in der Bürgerschaft eine Große Anfrage in der Bürgerschaft eingebracht und dem Senat einen umfangreichen Fragenkatalog über antisemitische Strömungen, Aktivitäten und Straftaten vorgelegt. Im Vorwort der Anfrage hieß es: „Auch in Bremen wächst die Sorge vor einem erstarkenden Antisemitismus […]. Diese Befunde fordern dazu auf, antisemitischen Angriffen und Ressentiments entschieden entgegenzutreten – sowohl auf der Handlungs- als auch auf der Einstellungsebene bleibt viel zu tun.” (die Große Anfrage hier; die Antwort des Senats hier.
  • In einem Gastbeitrag am 29. August 2016 hatte der stellvertretende Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles, Rabbi Abraham Cooper, schwere Beschuldigungen gegen die Stadt Bremen erhoben. Mit einer Reihe von Beispielen habe Bremen weltweit auf sich aufmerksam gemacht. Die Stadtregierung dürfe „nicht schweigen, mit Lippenbekenntnissen die Medien beschwichtigen oder die Augen schließen.“
  • Bremens Bürgermeister Carsten Sieling sah sich persönlich – ebenfalls in einem Gastbeitrag des Weserkuriers – am 5. September 2016 genötigt, zu antworten: “In den vergangenen Wochen gab es vereinzelte Versuche, Bremen oder einzelnen Institutionen zu unterstellen, antisemitischem Denken und Handeln nicht entschieden genug entgegenzutreten. Dagegen verwahre ich mich im Namen des Senats, aber auch im Namen aller Bremerinnen und Bremer ganz ausdrücklich. Wer solche Behauptungen aufstellt, verfälscht nicht nur die Wirklichkeit, sondern er fügt unserem Land und seinen Bürgerinnen und Bürgern großen Schaden zu.”
  • In einer vierseitigen Beilage in der Taz-Nord v. 10./11. September 2016 (nicht online verfügbar) hatte die Tageszeitung nachgelegt und versprochen zu klären, wer der Nestbeschmutzer ist, die Grünenfraktion mit iherer Großen Anfrage zum Thema, die Jerusalem Post, der Tagesspiegel, die taz, oder ist sie nicht stets selbst schuld, die Jüdische Gemeinde?“
  • Anfang September 2016 hatte die für Kultur zuständige Staatsrätin Carmen Emigholz eine Einladung für eine „kulturpolitische Diskussion“ an insgesamt mehr als 50 von der Staat unterstützte Kultureinrichtungen (vom Bremer Kriminaltheater über das Rundfunkmuseum und das Kulturzentrum Lagerhaus bis zum Schloss Schoenbeck und dem Goethe-Theater) geschickt: die Staatsrätin wollte „gemeinsam Lösungsmöglichkeiten zum Schutze gegen etwaige antisemitische Verdächtigungen bei der Vermietung Ihrer Räume für externe Veranstaltungen (finden).“ Das für eine liberale Stadt erstaunliche Schreiben liegt der Redaktion vor. Wie verlautet, fanden mehrere der Eingeladenen das Schreiben „starken Toback“, warnten vor Zensur und stellten überhaupt den Sinn dieser Einladung in Frage. Und ein Ergebnis gab es natürlich auch nicht.

Nimmt der Antisemitismus in Bremen tatsächlich zu?

Benno Schirrmeister

Kirsten Kappert-Gonther

„Ist Bremen eine Hochburg des Antisemitismus? Nimmt der Antisemitismus in Bremen zu“? Diese Fragen stellte der Moderator des Abends, Taz-Redakteur Benno Schirrmeister, wiederholt und suggestiv an die eingeladenen Referenten des Abends, wobei er von Kirsten Kappert-Gonther von der Grünen-Frakion in der Bürgerschaft unterstützt wurde. Das Ergebnis war enttäuschend.

Peter Ullrich

Peter Ulrich, Soziologe vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU in Berlin, antwortete sehr vorsichtig, sehr differenziert und als Wissenschaftler. Er müsse die Zuhörer enttäuschen. Es gäbe grundsätzlich eine langfristige Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, die seit dem Nationalsozialismus zu einem Absinken des Antisemitismus geführt habe. Wobei es bestimmte Periodeneffekte bei bestimmten Ereignissen wie z.B. den letzten Gaza-Krieg gäbe, die diese Tendenz unterbrechen würden. Über die Situation in Bremen habe es keine Untersuchung gegeben, wohl aber über Berlin, deren Ergebnisse sich mit Einschränkungen auf andere Städte und somit auch auf Bremen übertragen ließen. Danach, so Ullrich, „glaube ich erst einmal grundsätzlich nicht, dass Bremen völlig aus dem Raster der bundesdeutschen Städte herausfällt.“

Helmut Hafner

Helmut Hafner,zuständig in der Bremer Senatskanzlei für kirchliche Fragen und einflussreicher Berater des Bürgermeisters in diesen Fragen antwortete heftig: „Ich fand den Vorwurf, der uns von außen aufgedrückt wurde, Bremen sei eine Hochburg des Antisemitismus, unfair und schäbig.“ Ausdrücklich zeigte er Verständnis für die Sorgen der Mitglieder Jüdischen Gemeinde. Und ausdrücklich wünschte er sich genau so auch mehr Empfindsamkeit und auch Respekt für das Leiden der Palästinenser.

Rolf Verleger, ehemaliges Mitglied des Zentralrats der Juden und jetzt Mitglied des israelkritischen „Bündnisses zur Beendigung der israelischen Besatzung“ beantwortete die Fragen aus seinem persönlichen Erleben. Natürlich gäbe es Antisemitismus in Deutschland, genauso wie Fremdenhass. Früher „hat sich in den 50er und 60er Jahren kein Mensch dafür interessiert, was meine Eltern erlebt haben. Es war alles ziemlich tri

Rolf Verleger

st. Aber heute? Heute ist das doch anders. Ich lebe gern in Deutschland. Es ist doch jeder Stadt ein Bedürfnis, Stolpersteine einzurichten, der abgebrannten Synagoge zu gedenken. Und das ist doch gut so! Deswegen fühle ich mich hier wohl und gesichert, weil doch völlig klar ist, das öffentliche Klima ist nicht antisemitisch.“

Walter Ruffler, ehemaliger Abgeordneter der Grünen in der Bremer Bürgerschaft, wollte es dann genau wissen und hatte seine Frage gut vorbereitet. Vor ein paar Monaten hatte ein Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Bremen, Grigori Pantelejew, sich – in einem Artikel im Weser Kurier – über den Antisemitismus in der Stadt beklagt und dabei namentlich die Palästina-Mahnwache vor dem Dom genannt. Ruffler hatte sich daraufhin alle Parolen, die auf der Mahnwache gezeigt wurden, genau angesehen, sie aufgeschrieben, sorgfältig durchgelesen – und nichts Antisemitisches entdecken können. Woraufhin er Pantilejew um ein aufklärendes Gespräch bat. Die Antwort seitens der Jüdischen Gemeinde: keine Zeit. Ruffler fragte den Taz-Redakteuer direkt: „Ist das für die Taz nun ein Beispiel für Antisemitismus in Bremen? Oder kannst Du mir vielleicht andere nennen, damit wir ganz konkret darüber diskutieren können?“

Blick in den Saal im Kulturzentrum Lagerhaus kurz vor Beginn

Tatsächlich wurden an dem Abend keine konkreten Antworten gegeben, weder von den Grünen, der Taz, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), der Jüdischen Gemeinde oder von antideutschen Gruppierungen. So blieb ungeklärt, was denn nun eigentlich als antisemitisch in der Stadt an den Pranger gestellt werden könnte: etwa der Arbeitkreis Nahost, das Nahost-Forum Bremen oder bestimmte der zahlreichen Veranstaltungen zum Thema Nahost in der letzten Zeit, oder das Bremer Friedensforum, DIE LINKE, die Palästina-Mahnwache, die Villa Ichon oder gar einzelne Personen wie der Schriftsteller Arn Strohmeyer? Oder die vielgeschmähte internationale BDS-(Boycott-Desinvestions-Sanctions)Kampagne?

Nichts Konkretes wurde geäußert. Wie auch, die Vorwürfe hätten ja vor einem durchaus kritischen Publikum konkret belegt werden müssen!

„Keine Diskursvermischung!“

Warum werden die Diskussionen über die Themen Antisemitismus und Israel/Palästina seit Jahren so emotional, so hochgradig ideologisiert und so absolut unversöhnlich und erbittert geführt? Peter Ullrich bot an dem Abend eine plausible Erklärung an. Es liege an der fortwährenden und absichtsvollen Vermischung zweier Diskurse, einerseits den Diskurs über den Antisemitismus und andererseits den Diskurs über die Situation und die Politik in Israel/Palästina. Umgekehrt gelte das ebenso: würde es gelingen, diese Diskurse wieder zu entmischen, könnte man bei dem Versuch, die rationalen Kerne in den Diskussionen freizulegen, schnell weiter kommen.

Tatsächlich fiel vielen auf, dass der Antisemitismus bei Rechtsradikalen, die auch in Bremen relativ stark und aktiv sind, in keiner der Stellungnahmen überhaupt Erwähnung fand. Also auch kein Wort darüber, dass z. B. für den Auftritt der berüchtigten Bremer Hooligan-Band „Kategorie C“ in Dresden am 3. Oktober derzeit schon kräftig mobilisiert wird. Es ging nur um den (angeblichen) Antisemitismus bei Linken bzw. bei Gruppierungen, die die Politik der derzeitigen israelischen Regierung kritisieren.

Der Diskurs über die Situation Israel/Palästina, also etwa um die Frage Zwei-Staaten-Lösung oder Ein-Staat-Lösung, die Frage der gleichen bzw. ungleichen Bürgerrechte, der Widerspruch zwischen einem jüdischen Staat und einer Demokratie westlichen Musters, der Frage der Grenzen, der Verfassung, den offenen Rassismus von Netanyahu und einigen seiner Minister usw. usf. müsste dringend geführt werden – wird aber von Seiten der unbedingten Israel-Freunde vermieden. Der Grund ist einfach: die Politik der derzeitigen israelischen Regierung kann immer weniger gerechtfertigt werden. Und die Erkenntnis, seinerzeit von Avi Primo, dem ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland, wird immer plausibler: „Nicht der Antisemitismus nimmt zu, die Sympathien für Israel nehmen ab.“
Sönke Hundt

PS: Der Beitrag ist gekürzt worden. Die ursprüngliche Fassung hier.

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Ein Gedanke zu „“Keine Diskursvermischung!” – Bericht vom “Taz-Salon” über Antisemitismus in Bremen

  1. Der Schlußsatz von Avi Primor trifft den Nagel auf den Kopf. Man kann es auch anders sagen:
    Wer wie die Bremer TAZ-Leute oder der US-Amerikaner A. Cooper mit Vorwürfen des Antisemitismus um sich wird, stellt sich damit nicht schützend vor eine verfolgte und diskriminierte Minderheit, sondern fordert die Unterstützung für eine Politik der gewaltsamen kolonialen Eroberungen und der gewaltsamen Umvolkung (heute gerne „ethnische Säuberung“ genannt, in Anlehung an die stalinistischen „Säuberungen“).

    Und verkennt dabei, daß das koloniale Projekt Israel schon längst gescheitert ist und sich als das Schlimmste herausgestellt hat, was den Juden seit Adolf Hitler zugestoßen ist.

    Völlig richtig auch, daß die Jüdische Gemeinde Bremen ihre Teilnahme an der taz-Veranstaltung abgelehnt hat, weil des den Bremer taz-Leuten nicht um den Schutz von Juden sondern um die Unterstützung des Kolonialismus geht. Was die heute fälschlich als „Antisemitismus“ brandmarken, haben deren Väter und Großväter als „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“ verleumdet, nämlich den Kampf für die Unabhängigkeit der Kolonien.

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