Nahost-Konflikt – Israel delegitimiert sich selbst

Martin Breidert

Am 26. Dezember 2016 veröffentlichte der jüdische Filmproduzent Arthur Cohn in „Cicero – Magazin für politische Kultur“ einen Artikel mit dem Titel „Der Siedlungsbau ist nicht illegal“ – und versuchte erwartungsgemäß, die Kritik an der Politik der israelischen Regierung zu widerlegen. Erstaunlich: Martin Breidert, Vizepräsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied im Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung (BIB) erhielt die Gelegenheit zu einer Replik.

Der Artikel von Arthur Cohn „Der Siedlungsbau ist nicht illegal“ entbehrt jeder völkerrechtlichen Grundlage. Die UN-Versammlung hat 2012 mit 138 gegen 9 Stimmen, darunter Israel und die USA, den Staat Palästina mit Beobachterstatus aufgenommen. Und als der UN-Sicherheitsrat seine Resolution vom 23.12.2016 beschloss, saß der Vertreter Palästinas hinter dem Schild State of Palestine. Da hätte sich Cohn auch die Bibelzitate ersparen können, denn die sind völkerrechtlich ebenso irrelevant wie die Frage, ob Jerusalem im Koran zitiert wird oder nicht.

Cohn bezeichnet die Westbank als „Judäa und Samaria“ und damit als jüdisch-israelisches Land. Für die UN und damit für die Völkergemeinschaft sind sie besetzte palästinensische Gebiete (occupied palestinian territories) und nicht, wie er mit Rückgriff auf die israelische Regierung argumentiert, umstrittene Gebiete (disputed territories). Dass Palästina früher keine Souveränität hatte, ist völkerrechtlich unerheblich. Auch Namibia war kein souveräner Staat, ehe es von der UN anerkannt und in die Unabhängigkeit entlassen wurde.
International wird der Siedlungsbau verurteilt

Doch Israel hat weite Teile der Westbank nicht nur als „umstritten“ deklariert, sondern dieses Gebiet auch annektiert und dort 200.000 jüdische Israelis angesiedelt. Die internationale Gemeinschaft, darunter die USA und die EU, haben diese völkerrechtswidrige Annexion zu Ostjerusalem nicht anerkannt. Und der ukrainische Vertreter wies im UN-Sicherheitsrat darauf hin, dass die schleichende Annexion durch den israelischen Siedlungsbau vergleichbar sei mit der Annexion der Krim.

Cohn erwähnt die UN-Resolution 242 an keiner Stelle, nach der Israel die besetzten Gebiete zu verlassen hat. Und auch der Internationale Gerichtshof hat in einem Gutachten 2004 festgestellt, dass die Vierte Genfer Konvention, die Israel 1951 ratifiziert hat, auf die besetzten palästinensischen Gebiete anzuwenden sei. Genauso hat die EU in einer verbindlichen Richtlinie erklärt, dass sie keine Fördermittel für jüdisch-israelische Projekte in den besetzten Gebieten vergebe. Diese gehörten nicht zum israelischen Staatsgebiet.
Gleiches Recht für alle

Wenn sich Juden, wie Cohn behauptet, überall in der Westbank niederlassen dürften, dann müsste dies auch für Palästinenser möglich sein. Eine solche Niederlassungsfreiheit gibt es für sie jedoch nicht. Und selbst wenn das Westjordanland für Juden und Palästinenser offen stünde, hätte Israel kein Recht, palästinensisches Land entschädigungslos zu enteignen und die Palästinenser zu vertreiben, um Siedlungen zu bauen.

Genau aber dies geschieht, und zwar nicht nur in der Westbank, sondern auch in Ostjerusalem Tag für Tag. Israel hat Ostjerusalem 1980 annektiert, gewährt den dort seit Generationen lebenden Palästinensern aber nur ein begrenztes Aufenthaltsrecht.

Palästinenser nahezu rechtlos
Cohn behauptet weiter, dass die israelischen Gerichte palästinensisches Eigentum schützten. Das Gegenteil ist der Fall: Dass die Knesset unlängst die auch nach israelischem Recht illegalen Siedlungen legalisierte, zeigt, dass die Judikative in Israel nicht mehr funktionsfähig ist. De facto stehen die Palästinenser in den besetzten Gebieten seit fast 50 Jahren unter Militärrecht und sind nahezu rechtlos.

Die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO hat Israel bereits 1988 anerkannt und dies mit den Oslo-Abkommen bekräftigt. Umgekehrt hat Israel zwar immer wieder über eine Zwei-Staaten-Regelung verhandelt, mit seinen Taten aber einen Staat Palästina zu verhindern versucht.
Das Tabuthema Vertreibung

Genau das ist die Sorge, der US-Außenminister John Kerry in seiner Rede Ausdruck verlieh. Dabei erwähnte er auch die Vertreibung von 750.000 Palästinensern, der sogenannten Nakba, im Jahre 1948. Zeitgenössische israelische Historiker haben dieses historische Unrecht zwar bestätigt, von offizieller Seite wird es jedoch weiter bestritten. Und nicht nur das: Wer Nakba-Gedenkfeiern veranstaltet, wird sogar strafrechtlich verfolgt.

Letztendlich schadet Israel mit diesem Vorgehen auch sich selbst. Denn indem der Staat seine eigenen völkerrechtlichen Konstrukte schafft, delegitimiert er sich und läuft Gefahr, aus der internationalen Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden.

Quelle (mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion): Cicero – Magazin für politische Kultur – v. 03.01.2017

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