Was in der Hamburger Bürgerschaft gesagt und beschlossen wurde – in Sachen BDS

Am 1.März diskutierte das Hamburger Landesparlament, die Bürgerschaft, über drei Anträge zur Kampagne „Boykott, Disinvestment und Sanktionen (BDS)“. Angestoßen hatte die Debatte die CDU; in ihrem Antrag hieß es u.a. „Wer unter der Fahne der BDS-Bewegung zum allgemeinen Boykott israelischer Waren und Dienstleistungen aufruft, der spricht heute in der gleichen Sprache, in der man einst die Menschen dazu aufgerufen hat, nicht bei Juden zu kaufen. Das ist plumper Antisemitismus, wie ihn schon die Nationalsozialisten benutzt haben. Mit BDS kommt der Antisemitismus als Antizionismus daher, doch auch in den neuen Kleidern des 21. Jahrhunderts ist Judenfeindlichkeit grundsätzlich zu verurteilen und abzulehnen. […]“

Die FDP als Bürgerrechtspartei ging noch einen Schritt weiter, sie will BDS vom Verfassungsschutz überprüfen und u.U. verbieten lassen. Der angenommene Antrag der Regierungsparteien SPD und Grüne spricht sich auch gegen jeglichen Boykott aus: „Die Bürgerschaft teilt diese Sicht und steht ohne Wenn und Aber für das Existenzrecht Israels ein; Bewegungen wie der BDS, die für einen umfassenden Boykott Israels auf allen Ebenen eintreten, stehen dazu im Widerspruch.“ Aber immerhin sei es legitim „die Politik israelischer Regierungen zu kritisieren, ohne in den Verdacht von Antisemitismus zu geraten.“ Allerdings ist hier „besondere Klarheit, Sensibilität und Vorsicht“ geboten.

Wie kommt es, dass sich die Bürgerschaft so viel Zeit nimmt, wo doch der religionspolitische Sprechers der SPD-Fraktion, Ekkehard Wysocki, in seiner Rede vor der Bürgerschaft betont, dass BDS eine völlig unbedeutende Gruppierung ist?
Angefangen hatte diese Auseinandersetzung mit der Gastprofessur des renommierten Islamwissenschaftlers und Befreiungstheologen Prof. Farid Esack an der Akademie der Weltreligionen an der Uni Hamburg. Der südafrikanische Wissenschaftler war vier Jahre unter Nelson Mandela Gleichstellungsbeauftragter für Frauen- und Homosexuellenrechte und Verfasser vieler Bücher zum Thema Islam und Diskriminierung. Was die Akademie aber nicht bedacht hatte, dass Farid Esack nicht nur ehemaliger Anti-Apartheidskämpfer in Südafrika war, sondern auch ein aktiver Bekämpfer der israelischen Apartheid. Diesen aktiven Kampf hat er in einigen Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet fortgesetzt. Natürlich blieb das nicht unbemerkt und Volker Beck, religionspolitischer Sprecher der Bundes-Grünen, der aber von den Grünen in seinem Wahlkreis nicht mehr als Kandidat aufgestellt wurde, forderte via WELT (26.1.2017) „So jemand hat keinen Platz an einer Universität.“ Die Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und die Hamburger religionspolitische Sprecherin der Grünen, Stefanie von Berg, folgten ihrem Herren. In einer Mail schrieb Frau von Berg: „Ich habe in den letzten Tagen die Zeit genutzt, viel über den BDS zu lesen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich bin entsetzt über das Ausmaß antisemitischer Aussagen, die sich finden lassen. Ich persönlich kritisiere die Siedlungspolitik Israels scharf – wie auch die Diskriminierung gegenüber Palästinenser*innen. Aber Antisemitismus ist für mich wie auch für alle Grünen völlig inakzeptabel, es ist auch durch nichts zu rechtfertigen. Hätte ich das Alles von Anfang gewusst (…), hätte die Veranstaltung mit Prof. Esack von vornherein nicht mit uns Grünen stattgefunden. Ja, der Boykott in Südafrika war ein gutes politisches Instrument – aber anders als in Israel ging es da nicht um ein Volk, das den Holocaust überlebt hat und in ständiger Bedrohung lebt – gerade auch von außen. Daher ist der Schluss „Kauft nicht bei Juden“ gerade angesichts so vieler antisemitischer Töne aus den Reihen des BDS nicht so weit hergeholt.“

Auf die ausführliche Antwort dieser Mail und der Bitte ihre Quellen zu BDS einmal offenzulegen, erfolgte – nichts. Offenbar haben einige Parteien aus der Hamburger Bürgerschaft von Donald Trump und seinen „Fake News“ gelernt. Man setzt Behauptungen in die Welt, bleibt jeden Nachweis schuldig und geht jeglicher Auseinandersetzung aus dem Weg. Dies galt im übrigen auch gegenüber Prof. Esack. Kein regionales Presseorgan, keine Hamburger Politiker, kein Mitglied des Beirates der Akademie der Wissenschaften (AdW) hat sich an Farid Esack gewandt. Es ist eben einfacher über jemanden als mit jemanden zu reden.
Doch diese massiven Angriffe gegen eine Form (BDS) des gewaltlosen Widerstandes der palästinensischen Zivilgesellschaft rief deutliche Proteste hervor, der sich in zahlreichen Briefen und Stellungnahmen an die AdW und die Bürgerschaftsabgeordneten niederschlug.

In einem Offenen Brief von zahlreichen Organisationen und Einzelpersonen hieß es: „Auffallend die Ignoranz, die hinsichtlich dieses Aufrufs (der Akademie a.a.) hierzulande offensichtlich wird! Auffallend das schlechte Gedächtnis der politisch Verantwortlichen hierzulande, die internationale Vereinbarungen, UN-Resolutionen usw. ignorieren und sich aus ihrer Mit-Verantwortung für den Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft zu BDS gegen Israel schleichen!“ Auch auf die Verpflichtung, die die Bundesrepublik mit der UN-Resolution im Juli 2004 eingegangen ist, der sie auch zugestimmt hat, hat der Offene Brief hingewiesen (Aus der Resolution A/RES/ES-10/15: „Alle Staaten sind verpflichtet, die rechtswidrige Situation nicht anzuerkennen, die sich aus dem Bau der Mauer ergibt, und Hilfsmaßnahmen, die zur Aufrechterhaltung, der durch den Bau der Mauer geschaffenen Lage beitragen, zu unterlassen; alle Parteien des IV. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten sind darüber hinaus verpflichtet, unter Achtung der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts sicherzustellen, dass Israel das in diesem Abkommen niedergelegte humanitäre Völkerrecht einhält…“). Reaktion: Keine. Stattdessen betreibt die Bundesrepublik weiterhin einen schwunghaften Waffenhandel mit Israel. Diese Waffen werden auch gegen Palästinenser eingesetzt, wie z.B. die Panzerfaust „Matador“, die die israelische Armee bei ihrem Überfall auf Gaza 2009 erstmalig benutzte.

Auch die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ meldete sich mit einem Protestbrief an die Bürgerschaft zu Wort: „Die AntragstellerInnen wollen uns – als Juden und Israelis – erklären, was „allgemein als israelfeindlich“ zu verstehen ist und vergleichen die Aktionsformen von BDS mit dem nazistischen Spruch „Kauft nicht bei Juden!“. Dies verurteilen wir aufs Schärfste als eine unerträgliche Diffamierung der palästinensischen Zivilgesellschaft und als Verharmlosung der deutschen Verbrechen an die Juden. Dazu werfen sie der BDS-Bewegung Antisemitismus vor, sehen sich aber nicht genötigt diesen schwerwiegenden Vorwurf zu beweisen. Diese Unterstellung, die auf Ignoranz basiert, verleumdet viele unserer israelischen und jüdischen MitstreiterInnen weltweit.“ Reaktion: Keine.
Einzig die Linken widerstehen dem. Ihr Abgeordneter Norbert Hackbusch nimmt BDS vor dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz: „Sie ist vielmehr eine Kampagne gegen eine Politik der israelischen Regierung, die die Rechte der palästinensischen Bevölkerung vor allem in den besetzten Gebieten unterdrückt. Das wurde in diversen Resolutionen der UNO in den letzten Jahrzehnten klar und unmissverständlich ausgedrückt. Aber sie greift nicht Juden an oder andere Menschen wegen ihres Blutes, wegen ihrer Abstammung oder ihrer Religion.“
Offenbar höhlte der steten Tropfen der Proteste den Stein. In der endgültig angenommenen Antrag der Bürgerschaft von SPD/Grüne wird der Vorwurf des Antisemitismus gegen BDS zumindest relativiert. Dennoch ist das nur ein kleiner Schritt, immer noch wird das Existenzrecht Israels hochgehalten, ohne zu sagen, in welchen Grenzen dies gelten soll oder ob damit auch der jüdische Charakter Israels gemeint ist, der immerhin über 20 % der palästinensischen Israelis ausschließt, und Teil eines Apartheidsystems ist. Von einem Existenzrecht Palästinas ist in dem Beschluss keine Rede. Natürlich ist Israel ein völkerrechtlich anerkannter Staat, darin rüttelt auch BDS nicht, allerdings: „Diese gewaltlosen Strafmaßnahmen müssen solange aufrecht erhalten bleiben, bis Israel seiner Verpflichtung nachkommt, den PalästinenserInnen das unveräußerliche Recht der Selbstbestimmung zuzugestehen, und zur Gänze den Maßstäben internationalen Rechts entspricht, indem es: Die Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes beendet und die Mauer abreißt; das Grundrecht der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels auf völlige Gleichheit anerkennt; und die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, wie es in der UN Resolution 194 vereinbart wurde, respektiert, schützt und fördert.“
Ein Beitrag von Arne Andersen

Quelle (mit freundlicher Genehmigung) Die Freiheitsliebe v. 14.03.2017

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