„Israelis und Palästinenser im Dauerkonflikt“ – Kommentar zu einer Sendung des DLF

Betr.: Beitrag von Benjamin Hammer (DLF 28.11. 2017, 18.40 Uhr)
Sehr geehrter Herr Hammer,
in Ihrem Beitrag zum 70. Jahrestag des UN-Teilungsplans (Res. 181) „Israelis und Palästinenser im Dauerkonflikt“ versuchen Sie die beiden Narrative der Israelis und Palästinenser nebeneinander zu stellen. Sie erwähnen die Res. 2334 des UN-Sicherheitsrats vom 23.12. 2016, lassen aber außer Acht, dass Israel Dutzende von UN-Resolutionen missachtetet hat. Man kann also völkerrechtlich gut begründet sagen, dass Israel mit den Vereinten Nationen, denen der Staat Israel seine Existenz verdankt, im Dauerkonflikt liegt, um den Titel Ihres Beitrags abzuwandeln. Von Ben-Gurion stammt der Satz, die UN seien ein „Um Shmum“ (hebr. – ein Nichts – s. dazu Wikipedia-Artikel engl.).

In Ihrem Beitrag heben Sie hervor, dass Israel den Teilungsplan akzeptiert hatte – formal, aber nicht inhaltlich. Denn in dem Teilungsplan heißt es, dass es zu keinem Bevölkerungstransfer kommen darf. Die neueren jüdisch-israelischen Historiker (Benny Morris, Ilan Pappe, Simcha Flapan, Tom Segev) haben anhand von Archivquellen nachgewiesen, dass Israel mit seinem Plan Dalet bewusst die große Mehrheit der arabischen Palästinenser vertrieben hat. Diese Vertreibung begann unmittelbar nach dem 29.11. 1947, nicht erst nach dem 14. Mai 1948.

Es wird Ihnen bekannt sein, dass der UN-Teilungsplan auch vorsah, dass Jerusalem und Bethlehem als Corpus Separatum unter internationale Verwaltung gestellt werden sollten. Hat Israel diese Regelung akzeptiert? Wie können Sie dann mit dem israelischen Narrativ behaupten, Israel habe den Teilungsplan angenommen?

Völkerrechtlich gänzlich unhaltbar ist Ihre Behauptung, es gäbe bis heute keinen palästinensischen Staat. Die UN-Vollversammlung hat am 29.11. (!) 2012 mit 138 gegen 9 Stimmen (darunter USA und Israel) Palästina als Staat in die UNO aufgenommen und ihm den Status eines Beobachterstaates zuerkannt. Daher saß der palästinensische UN-Botschafter bei der Verhandlung der von Ihnen erwähnten UN-Resolution 2334 am 23.12. 2016 hinter dem Schild „State of Palestine“. Und vor dem UN-Gebäude weht die palästinensische Fahne. Denn auch ein besetzter Staat kann völkerrechtlich durchaus ein Staat sein. (Beleg (ab 1 Std, 27 Minuten): https://www.youtube.com/watch?v=wh6LCfZzM1E)

Sehr geehrter Herr Hammer, es ist ein arges Ärgernis, dass Sie in einem öffentlich-rechtlichen Sender, wie es der DLF ist, ausgerechnet in einem Beitrag zum 70. Jahrestag des UN-Teilungsplans eine derart völkerrechtswidrige Behauptung aufstellen. Wer sich im DLF zu diesem Thema äußert, sollte sich zuvor völkerrechtlich kundig gemacht haben, ehe er sich auf die ideologische Seite Israels stellt. Es mag verschiedene Narrative geben, aber es gibt nur ein Völkerrecht und eine Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die im selben Jahr beschlossen wurde, in dem der Staat Israel gegründet wurde – beides unter dem Eindruck der Nazi-Verbrechen.

sollen die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland jemals zu einer begründeten Beurteilung des Dauerkonflikts Israel/Palästina kommen, wenn ihnen in einem öffentlich-rechtlichen Sender falsche Angaben gemacht werden?

Mit freundlichen Grüßen
Martin Breidert
(im Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung e.V. – www.bib-jetzt.de)

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2 Gedanken zu „„Israelis und Palästinenser im Dauerkonflikt“ – Kommentar zu einer Sendung des DLF

  1. Im obigen Brief steht, Zitat: „Die neueren jüdisch-israelischen Historiker (Benny Morris, Ilan Pappe, Simcha Flapan, Tom Segev) haben anhand von Archivquellen nachgewiesen, dass Israel mit seinem Plan Dalet bewusst die große Mehrheit der arabischen Palästinenser vertrieben hat.“
    Die Unwahrheit wird durch ständige Wiederholungen nicht wahrer. Daher verweise ich auf den oben zitierten Benny Morris und seinen Artikel in der Ha’aretz vom 29. Juli 2017 mit dem Titel: „Israel had no ‚expulsion policy‘ against the Palestinians in 1948“. Morris selber bestreitet darin, dass der Plan Dalet ein Vertreibungsplan war, also das Gegenteil des oben Behaupteten!

    • Hallo Herr Wittekindt,
      ich glaube, dass mit der Wahrheit bzw. Unwahrheit lässt sich ziemlich genau klären, auch ohne dass wir Historiker sind. Bei Wikipedia steht folgendes:

      Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Benny_Morris
      „In seinem Buch The Birth of the Palestinian Refugee Problem, 1947-1949 (1988) schreibt Morris, die geschätzten 700.000 palästinensischen Flüchtlinge des Palästinakrieges hätten ihre Häuser 1947 meist deshalb verlassen, weil sie fürchteten ins Kreuzfeuer zu geraten, Angst vor israelischen Aktivitäten hatten, aber nicht wegen eines existierenden Vertreibungsplanes. Dies war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eine sehr umstrittene Position. Der offizielle israelische Standpunkt war, die Palästinenser hätten (ausschließlich) freiwillig, oder nach Druck und Ermutigung durch palästinensische oder arabische Führer ihre Häuser verlassen.

      Zu Beginn des Buches veranschaulicht Morris mit einer Karte das Palästinensische Flüchtlingsproblem. Laut seiner Karte wurden 228 Dörfer wegen des Angriffs israelischer Truppen evakuiert, aus 41 Dörfern wurden die Bewohner von militärischen Einheiten vertrieben und aus 90 Dörfern flohen die Dorfbewohner in Panik, nachdem andere Dörfer angegriffen worden waren. Nur 6 Dörfer wurden laut dieser Darstellung von ihren Bewohnern verlassen, weil örtliche arabische Führer sie dazu aufforderten. Zu 46 weiten Dörfern konnte er keine Angaben machen.

      Zur selben Zeit dokumentierte Morris mögliche Gewalttaten der israelischen Armee, einschließlich mutmaßlicher Fälle von Vergewaltigung, Folter und Ethnischer Säuberung.

      In seinem Buch The Birth of the Palestinian Refugee Problem Revisited (2004) änderte er die Perspektive und schrieb nun die Hauptverantwortung jüdischen militärischen Verbänden zu. Morris schreibt, solche Verbände seien für Massaker verantwortlich gewesen, denen viel mehr Palästinenser zum Opfer fielen, als bisher angenommen. Die Vertreibung von Palästinensern sei geteiltes Ziel der Hauptverantwortlichen der jüdischen Führung der Zeit gewesen. Israels erster Ministerpräsident David Ben-Gurion habe nach der Aussage des israelischen Politikers Aharon Cohen 1948 Befehle zur Zerstörung von palästinensischen Dörfern gegeben. In der Version von 2004 unterstreicht Morris, die jüdische Führung habe bereits vor der Staatsgründung so wenige Araber wie möglich in den eroberten Gebieten haben wollen. Aus demographischen Gründen hätten sie gewollt, dass so viele Palästinenser wie möglich flüchteten. Die Palästinenser seien eine politisierte, bewaffnete Gemeinschaft gewesen, die sich dem Kampf gegen Israel verpflichtet fühlte.

      Morris wurde früher als Vertreter der israelischen radikalen Linken angesehen und wurde als „Israelhasser“ bezeichnet. Später zeigte sich seine Desillusionierung mit dem Friedensprozess an immer kritischeren Aussagen, die eher mit dem konservativen politischen Spektrum in Verbindung gebracht werden. Er selbst fühlt sich weiterhin der Linken zugehörig.

      In einem Interview von Ari Schavit in Haaretz (Januar 2004)[1][2][3] sagte Morris unter Bezugnahme auf die Entwicklung seiner Ideen seit den Ausbrüchen palästinensischer Gewalt gegen Israelis nach der Unterzeichnung der Verträge von Oslo:

      „Die Bombenangriffe auf Busse und Restaurants haben mich wirklich erschüttert. Durch sie habe ich die Tiefe des Hasses gegen uns verstanden. Durch sie habe ich verstanden, dass uns die palästinensische, die arabische und die muslimische Gewalt gegen ein jüdisches Leben hier an den Rand der Vernichtung gebracht hat. Ich betrachte Selbstmordattentate nicht als isolierte Handlungen. Sie drücken einen tief liegenden Willen des palästinensischen Volkes aus. Das ist, was die Mehrheit der Palästinenser wollen. Sie wollen, dass was mit dem Bus geschah mit uns allen geschieht.“

      In demselben Interview erklärte Morris seine gewandelte Haltung zu dem von ihm untersuchten Exodus der palästinensischen Bevölkerung:

      „Ben-Gurion hatte recht. Wenn er nicht getan hätte, was er getan hat, wäre kein jüdischer Staat entstanden. […] Ich glaube nicht, dass die 1948er Vertreibungen Kriegsverbrechen waren. Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerbrechen. Man muss sich die Hände dreckig machen.“

      Morris ging sogar noch weiter und behauptete, Israel hätte damals einen kompletten Transfer der arabischen Bevölkerung bis zum Jordan durchführen sollen. Dies hätte Israel für Jahrzehnte stabilisiert. Die arabische Minderheit in Israel bezeichnete Morris als Zeitbombe.

      In seinem Buch One State Two States wirft Morris der palästinensischen Elite vor, die postulierte säkular-demokratische Ordnung des zukünftigen Palästinenserstaates aus rein taktischen Gründen gegenüber westlichem Publikum vorzuschieben. Das eigentliche Ziel sei die Errichtung eines autoritär-fundamentalistischen Regimes, welches weiterhin die Vernichtung Israels zum Ziel habe.[4]“

      Soweit Wikipedia. Arn Strohmeyer schrieb mir in diesem Zusammenhang folgendes: In der zweiten Auflage seines Flüchtlingsbuches hat er (Benny Morris) eine Wende vollzogen und viele seiner ursprünglichen Aussagen revidiert, weil er wohl verstand, dass er mit solchen Enthüllungen der Sache des Zionismus schaden würde. Letzten Endes hat er die Umstände der Nakba aber doch zugegeben – in seinen berühmt gewordenen drei Sätzen: „Unter bestimmten Bedingungen ist Vertreibung kein Kriegsverbrechen. Ich glaube nicht, dass die Vertreibungen 1948 Kriegsverbrechen waren. Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen. Es gibt Umstände in der Geschichte, die ethnische Säuberung rechtfertigen.“

      Simcha Flapan und Ilan Pappe geben in ihren Büchern so genau die Quellen an, auf die sie sich bei der Behauptung, es geben einen Plan D beziehen, dass an seiner Existenz gar kein Zweifel besteht. Zudem: Ein solches Zerstörungs- und Vertreibungswerk, wie es die Zionisten 1948 vorgenommen haben (Zwangsräumung und Zerstörung von 11 Stadtvierteln und 531 palästinensischen Dörfern sowie die Vertreibung von 800 000 Menschen) geschieht ja nicht aus einer spontanen Laune heraus. Ohne ein planvolle Vorgehen ist eine solche ethnische Säuberung in so kurzer Zeit gar nicht möglich.“
      Sönke Hundt

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