Inamo wird fehlen

„Mit dem Herbst-/Winterheft 2019 stellen wir als Redaktion unsere Arbeit ein. Wir bedanken uns bei Ihnen als Leserinnen und Leser für Ihre Aufmerksamkeit, Ihr kritisches Feedback und Ihre Verbundenheit mit der Zeitschrift. Als wir im Jahr 1995 mit diesem Projekt anfingen, hätten wir nicht gedacht, dass diese Arbeit schließlich über fast einem Vierteljahrhundert weitergeführt werden würde. Diese wäre ohne die Resonanz und Ermutigung durch unsere Leserinnen und Leser nicht möglich gewesen.“

Mit dieser Nachricht verabschiedete sich die Redaktion von Inamo. Der Titel ist eine Abkürzung und steht für Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten. Unter diesem Namen hatten sich 1994 Kenner der Region aus akademischem Umfeld zu einem Verein zusammengetan, um einer seit dem Golfkrieg von 1991 zusehends unsachlicher werdenden Berichterstattung entgegenzuwirken. Dazu entschloss man sich, eine ­Vierteljahreszeitschrift herauszugeben. Anfang 1995 kam das erste Inamo-Heft heraus, eine Bestandsaufnahme der Situation im Irak vier Jahre nach der »Operation Desert Storm«.

Das Medienprojekt bot ausführliche geschichtliche und politische Einordnungen und Analysen. Immer wieder standen Länder und Themen im Mittelpunkt, über die man andernorts wenig finden wird. Wiederholt waren Hefte dem Nahostkonflikt gewidmet, in dem Inamo stets an der Seite der Palästinenser stand, wozu man sich auch mit dem proisraelischen Middle East Media Researche Institute (MEMRI) anlegte. Die Zeitschrift wurde zu einer Chronik, ja einem Nachschlagewerk.

Inamo lebte von den Abonnenten, die dem Magazin in erstaunlich großer Zahl treu blieben. Hinzu kamen kleine Zuschüsse insbesondere der evangelischen Kirche. Wenn man sich mit dem Nahen und Mittleren Osten beschäftigte, stieß man unweigerlich auf das Projekt. Das dokumentiert auch die Abschlussnummer, für die frühere Autoren und Sympathisanten Beiträge geliefert haben, darunter nicht wenige klangvolle Namen, die – von Gilbert Achcar bis Moshe Zuckermann – für ein breites politisches Spektrum stehen.

Al-Dschasira sendete einmal ein Porträt von Inamo. Es war nicht zuletzt eine Hommage an Norbert Mattes, für den die Arbeit als Herausgeber der Zeitschrift insbesondere nach dem Tod von Mitgründer Hans Günter Lobmeyer 2003 zur Lebensaufgabe wurde. Im »arabischen Frühling« lebte das Projekt noch einmal auf. Vorbildliche Hefte nicht nur zu diesem, sondern auch Themen wie Islamophobie, Neokolonialismus oder zum Ersten Weltkrieg in Nahost entstanden. Die Zeitschrift verscherzte es sich mit Anhängern eines Umsturzes in Syrien.

Die Energie scheint aufgezehrt. Schon vor einigen Jahren hatte Norbert Mattes sein Ausscheiden aus Altersgründen angekündigt. Woran immer es lag, dass das Fortbestehen nicht gewährleistet werden konnte: Es versteht sich von selbst, dass das Fehlen einer Institution wie Inamo angesichts von Medien, die nicht aufgehört haben, mit Blick auf den Mittleren Osten ein zerstörerisches politisches Wunschdenken zu befördern, einen schmerzlichen Verlust bedeutet und die Zeitschrift gerade jetzt dringend gebraucht würde.

Das letzte Heft Nr. 99/100 mit dem Hefttitel „The Ende“ umfasst 110 Seiten und enthält Beiträge von Gilber Achcar, Helga Baumgarten, Thomas Demmelhuber, Esther Dischereit, Fritz Edlinger, Fritz Feder, Alexander Flores, Joachim Guilliard, Cilja Harders, Katja Hermann, Rainer Hermann, Parham Kouloubandi, Roman Loimeier, Georg Meggle, Clemens Messerschmid, Stephan Millich, Irit Neidhardt, Norman Paech, Ilan Pappé, Clemens Ronnefeldt, Werner Ruf, Thomas Ruttig, Sabine Schiffer, Ashgar Schirazi, Udo Steinbach, Rolf Schwiedrzik, Jörn Thielmann, Jörg Tiedjen, Rainer Werning, Oliver Wils und Moshe Zuckermann.

Junge Welt v. 16.01.2020

 

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