Was bedeutet die aktuelle Regierungsbildung in Israel ?

Nachdem Oppositionsführer Benny Gantz im Wahlkampf noch versprochen hatte , nicht in eine Regierung unter Ministerpräsident Netanjahu zu gehen, hat er es doch nun getan mit der scheinheiligen Begründung, Israel auch wegen der Corona-Krise die vierte Wahl innerhalb weniger Monate zu ersparen. Eine Option, die ihm persönlich nutzt, ob Israel ist fraglich!

So tritt der bisherige Oppositionsführer Gantz in eine Regierung unter Führung des langjährige amtierenden israelischen Ministerpräsidenten ein, und gab dafür sogar seine Verhandlungsposition auf, nur dann einer großen Koalition mit sich abwechselnden Ministerpräsidenten anzugehören, wenn er die erste Zeit an der Spitze stehen würde. Nach der Koalitionsvereinbarung bleibt Netanjahu die kommenden anderthalb Jahre Ministerpräsident Israels, danach übernimmt Gantz das Amt. Noch im Wahlkampf hatte Gantz versprochen, nicht gemeinsam in eine Große Koaltion mit einem angeklagten Ministerpräsidenten zu regieren. Er verglich Netanjahus Methoden mit denen von Autokraten. Netanjahu führte dagegen eine Schmutzkampagne gegen den ehemaligen Generalstabschef, in der Gantz ohne jeden Beleg sexuelle Perversionen und geistige Behinderungen unterstellt wurden.

Indem Gantz mit einem Teil seines aus drei Parteien bestehendem Block Blau-Weiß in die dann bislang größte Regierung Israels, in der er die Hälfte der Minister eintritt, ist zugleich der Block Blau-Weiß auseinander gefallen, weswegen nicht wenige Beobachter Gantz Verrat und Feigheit vorwerfen. Durch die Übernahme des Ministeriums für Justiz will er sicherstellen, dass die Gerichte ihre verfassungsmäßigen Aufgaben erfüllen und so auch der Prozess gegen Netanjahu, der in drei Korruptionsfällen angeklagt ist, später noch stattfinden kann.

Gantz hat nicht nur sein zentrales Wahlversprechen gebrochen und das Parteienbündnis gespalten, sondern auch das Oberste Gericht desavouiert. Auf eine Klage von Blau-Weiß hin hatte Israels Verfassungsgericht vor kurzem gegen den Netanjahu-treuen Parlamentspräsidenten Juli Edelstein ein Urteil gefällt, der eine Abstimmung über sein Amt in der Knesset verweigert hatte. Dieser trat bekanntlich daraufhin zurück, woraufhin sich Gantz selbst übergangsweise zum Parlamentspräsidenten wählen ließ. Nun aber geht das Amt des Parlamentspräsidenten nach den Koalitionsverhandlungen abermals an den Likud. Und der Deal besagt, daß der vorher vorgesehene Kandidat zusammen mit der bisherigen Nummer zwei von Blau-Weiß, Jair Lapid, und dessen Fraktion in die Opposition muß. Der seit über einem Jahrzehnt amtierende Ministerpräsident kann so mindestens weitere anderthalb Jahre regieren, wobei sein Prozess ist bereits verschoben ist. Ob der noch stattfinden wird, steht in den Sternen, denn Berichten zufolge soll es auch über eine Gesetzesreform, die es Netanjahu nach anderthalb Jahren auch als Minister erlauben würde, trotz Anklage im Amt zu bleiben um schließlich den Staatspräsidenten nach Anlauf von dessen Amtszeit zu beerben und damit vor weiterer Strafverfolgung sicher zu sein. Das ist Demokratie light in der „einzigen Demokratie des Nahen Osten“.

Was bedeutet das alles für die weitere Entwicklung im Hinblick auf die Friedensfrage?

Da Blau-Weiß, ein Zusammenschluss von im Wesentlichen drei Parteien war, die sich vor allem in der Ablehnung Netanjahus einig waren, aber ansonsten ideologisch uneindeutig blieben. Allerdings hatte sich Gantz nach der Publikation des groß angekündigten und weltweit kritisierten „Jahrhundertplan“ des amerikanischen Präsidenten, der die Palästinenser vor die Frage „Friss oder stirb!“ stellte, in den zentralen Fragen einer angestrebten Annektion des Jordantals, der eindeutigen und totalen Anerkennung Jerusalems als ungeteilte Hauptstadt Israels und weiterer völlig inakzeptabler Punkte dieses „Friedensplans“ eindeutig auf die Seite Netanjahus und Trumps gestellt. Daraus lässt sich für die Zukunft einer weiteren möglichen Diskussion über die Zukunft eines Staates Palästina wenig Gutes hoffen, denn die Friedenorientierten Stimmen und Organisationen werden immer weniger gehört und leiden insgesamt auch an zunehmendem Bedeutungsverlust.

In der aktuellen Corona-Problemlage kann man über die ohnehin vorherrschende Sicherheitsphilosophie gegenüber den umliegenden arabischen Staaten und den Palästinensern das häbräische Mantra „Bitachon“, übersetzt „Sicherheit“ erkennen. Die Einstellung der wohl meisten Bürger Israels akzeptiert wohl auch die durch die Corona-Pandemie forcierten Bestrebungen, dass das Gesundheitsministerium und der Geheimdienst Shin Bet eine Überwachungstechnik zusammen mit der weltweit berüchtigten Firma NSO entwickeln, deren Spionagesoftware beim Einsatz im sog. Antiterrorkampf, gegen Regimegegner und Journalisten in einigen Ländern in Verruf geraten ist. Eine vordergründig scheinbar sinnvolle Überwachungstechnik für den Einsatz in der Eindämmung der Corona-Seuche birgt die Gefahr, dass in der Zeit der Virus-Bekämpfung die Fundamente einer ohnehin brüchigen Demokratie weiter ausgehöhlt werden und durch die Anhäufung von Daten zusätzlich zur ohnehin in Israel gegebenen Erkennung aller Bürger durch ID-Nummern eine totale Kontrolle perfektioniert wird, die in Zukunft jeden Ansatz demokratischer Proteste und Aktivitäten im Keim ersticken kann.

Und die Medien in Deutschland. Große Teile der Presse berichten wie seit Jahren eher „neutral“ oder bewerten die Entwicklung einer weiteren Phase Netanjahu als Ausweis der Stabilität und „gut für Israel“ wie zum Beispiel die große überregionale WELT.

Dr. Detlef Griesche

Vizepräsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V.)

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