„Die Antisemitismus-Debatte ist eine fehlgeleitete, hysterische Pein“

Ausriss aus Die Zeit-online v. 26.01.2022

Eva Menasse ist eine der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen. Sie ist geboren in Wien und lebt heute in Berlin. Für ihren aktuellen Roman „Dunkelblum“ erhielt sie 2021 den Bruno-Kreisky-Preis.

Ganz offenbar ist ihr jetzt der Kragen geplatzt. Warum? Darüber hat sie in der Zeit v. 27. Januar einen wütenden Artikel geschrieben, der – hoffentlich! – seine Kreise ziehen wird. Und hoffentlich viele Leserinnen und Lesern und dazu einige Leute in der Politik und in den Medien darauf aufmerksam machen wird, dass in der Diskussion um Israel, Palästina und die richtige Art der Antisemitismusbekämpfung in Deutschland einiges schief läuft.

Schon die Überschrift ist deutlich: „Die Antisemitismus-Debatte ist eine fehlgeleitete, hysterische Pein Warum endlich Schluss sein muss mit einer Symbolpolitik, die vom Kampf gegen Hass und reale Straftaten ablenkt.“ Innerhalb der aktuellen Anti-Antisemitismus-Debatte mache sich „ein völlig irregegangener Moralismus“ breit.

„Kleine Gruppen von rigorosen Einpeitschern haben den Diskurs in weiten Teilen unter ihre Kontrolle gebracht und ihr Publikum infiziert, das nun selbst im Namen von hehren Begriffen wie ‚Gleichberechtigung‘, ‚Diversität‘ oder eben ‚Kampf gegen Antisemitismus‘ ein maßloses, unversöhnliches und bedrohliches Verhalten an den Tag legt. Zu ihnen gehört das ‚Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus‘, das den angeblichen Documenta-Skandal um vermeintlich antisemitische Haltungen unter zur Documenta eingeladenen Künstlern losgetreten hat. Dessen ‚Recherchen‘ wurden von Qualitätsmedien wie der ZEIT übernommen und breit diskutiert (ZEIT Nr. 3/22). Da es gegen Antisemiten geht, wird’s schon ungefähr stimmen, oder?“

Irgendetwas laufe schief, schreibt Eva Menasse. „Schauen wir uns die Mannschaft der hiesigen Priester gegen den Antisemitismus an. […] Die Spieler reichen von weit rechts, der islamophoben Springer-Presse mit ihrer Redaktionspräambel, die Israel und ‚die Juden‘ so unsauber vermischt, über das FAZ-Feuilleton, das sich im Inquisitorenton offenbar noch immer vom Historikerstreit der Achtzigerjahre reinzuwaschen versucht, weiter über furiose Linke und Ex-Linke in ZEIT, taz, Spiegel (die alle so wohl deutsche Schuld abtragen wollen) bis zu den über viele Online-Redaktionen verteilten sogenannten Anti-deutschen (etwa ‚Perlentaucher‘ und ‚Ruhrbarone‘. […] Das sind ehemals radikale Linke, die, anfangs im ehrenwerten Dissens mit linkem Antisemitismus/ Antiimperialismus, seit der Wiedervereinigung ‚deutschen Nationalismus‘ ablehnen – zugunsten einer blinden Verehrung des israelischen. Sie alle geißeln mit schärfsten Worten Antisemitismus, wo sie ihn entdecken, also fast überall.“

Eva Menasse beklagt sich bitter über den spezifisch deutschen Provinzialismus in dieser Debatte. Zwar habe Deutschland aufgrund seiner Geschichte zweifellos eine besondere Verpflichtung. Diese verlange aber auch, die Vernunft zu wahren und alle Seiten zu hören. Das aber sei häufig nicht mehr der Fall. „Es klingt wie ein Witz, ist aber wahr: Die israelische Presse ist vielfältiger, die amerikanische sowieso. Jüdische Stimmen, die die israelische Siedlungs- oder Besatzungspolitik kritisieren, werden in Deutschland sofort diffamiert (‚jüdischer Selbsthass‘, ‚bekannter Antizionist‘, ’nicht jüdisch genug‘). Ebensowenig wird – außer auf sachlichen Außenpolitik-Seiten – das erbärmliche Leid der Palästinenser thematisiert. Als jüdische und israelische Schriftsteller in Köln eine Anthologie (unter anderem mit Texten von Michael Chabon, Assaf Gavron, Arnon Grünberg) über das Leben unter israelischer Besatzung vorstellten, verteilten empörte deutsche Aktivisten Flugblätter gegen diese ‚antisemitische und antizionistische Veranstaltung'“.

Es herrsche in Deutschland zur Zeit ein „Kulturkampf voller Leidenschaft und Provinzialität“, was sich deutlich zeigte, als im März 2021 die „Jerusalemer Erklärung“ veröffentlicht wurde. Diese Erklärung, erarbeitet von Wissenschaftlern aus vielen Ländern, versuchte genauer zu definieren, was denn nun unter Antisemitismus zu verstehen sei. Und – vor allem -, wie man diesen Begriff “ präziser von legitimer politischer Kritik“ gegenüber der israelischen Politik abgrenzen könne. Daraufhin habe „ein deutscher Chef-Feuilletonist die dreieinhalb hiesigen Unterzeichner – die illustre, international renommierte Riege der Verfasser schien er gar nicht zu kennen“ regelrecht verspottet. Es gibt in Deutschland „keifende Kommentatoren“, die noch nie in den besetzten Gebieten waren und dort auch nicht hinwollten, und die von der Bandbreite der internationalen Diskussion keine Ahnung hätten. Sie müssten eigentlich schlaflose Nächte haben, wenn sie erführen, dass Trump und seine evangelikalen Christen Finanziers der radikalen Siedlerbewegung sind oder dass 25 Prozent der US-amerikanischen Juden Israel für einen »Apartheidstaat« hielten.

„Zu unguter Letzt“, schreibt die Autorin weiter, „gibt es die Antisemitismusbeauftragten, Symbolpolitiker schlechthin. Einer fordert, Jiddisch als Minderheitensprache anzuerkennen (Anzahl der Sprecher tendiert gegen null), und beschimpft auf Twitter seine jüdischen Gegner (täte er es zumindest auf Jiddisch!), ein zweiter postet Fotos von sich in israelischer Polizeiuniform, ein dritter erstellt lange Listen angeblich antisemitisch kontaminierter Straßennamen in Berlin und hat dafür vom Intendanten der Komischen Oper, Barrie Kosky, den verdienten Spott kassiert. Aber wird ihn das abhalten, den Olof-Palme-Platz und die Fontanestraße umzubenennen? Ein vierter schließlich, Bundesbeauftragter der letzten Regierung, hat sich mit einem typisch deutschen Krampf-Satz unsterblich gemacht: ‚Politisch eher links stehende Israelis‘ mögen doch bitte »eine gewisse Sensibilität für die historische deutsche Verantwortung haben‘.

In guten Momenten kann ich das fast lustig finden, vor allem den dude in israelischer Uniform. Sogar, dass es die AfD war, die 2019 einen ersten Anti-BDS-Vorschlag im Bundestag einbrachte. Was müssen die anderen erschrocken gewesen sein, als sie von dieser massiven Gefährdung deutscher Moral ausgerechnet durch Beatrix von Storch erfuhren! Ab dann wird die Geschichte dann leider bitter. Die Mehrheit aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen hat nicht bedacht, was sie dann mit ihrer Anti-BDS-Resolution angerichtet hat. Vielmehr hielten sich die Abgeordneten für Helden.

Dieser Popanz von Resolution hat die letzten Reste von Vernunft zerstört; als AfDler wäre ich mit dem Ergebnis zufrieden. Sie ist zwar rechtlich nicht bindend, hat bei Kulturveranstaltern aber wie beabsichtigt Angst und Schrecken ausgelöst. Öffentlich ein Antisemit genannt zu werden, weil ein eingeladener Künstler früher mal für BDS war oder darüber diskutieren will, ist in Deutschland gleichbedeutend mit dem Vorwurf der Kinderschändung. Nein, ich übertreibe nicht. Einer ruft BDS, und alle anderen kreischen, so gerade wieder in Sachen Documenta. Zwar haben sich damals die größten und wichtigsten Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen (Goethe-Institut, Haus der Kulturen der Welt, Moses-Mendelssohn-Zentrum, Wissenschaftskolleg, Zentrum für Antisemitismusforschung, Bundeskulturstiftung und viele mehr) zur »Initiative Weltoffenheit« zusammengeschlossen. So wollten sie vor den Folgen dieser schädlichen, McCarthy-haft schnüffelnden Resolution warnen, die ihre Kulturarbeit enorm verkompliziert, aber keine einzige antisemitische Straftat verhindert. Sie ernteten: Kontaktschuld.“
Der ganze Artikel hier (leider hinter einer Bezahlschranke)

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