Ein Brief von Abed Schokry

Heute erreichte uns sein erschütternder Brief über die immer hoffnungsloser werdende Lage in Gaza. Abed Schokry hat fünf Kinder und lebte in Gaza während des Krieges, bis ihm nach vielen Mühen die Ausreise zuerst nach Ägypten und dann nach Deutschland gelang.


Bonn am 28 April 2025
Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Freundinnen und Liebe Freunde,

Oft werde ich gefragt, wie es mir geht. Es geht mir gut, wenn ich daran denke, dass
ich hier materiell „alles“ habe, was ich zum Leben benötige. Es geht mir aber seelisch gar nicht gut, denn meine Familie, die Familie meiner Frau, unsere Verwandten, Nachbarn, alle sind noch in Gaza und ihnen geht es gar nicht gut. Ich bin oft sprachlos, wortlos, verzweifelt, hoffnungslos und deprimiert.

  • Die aktuelle Lage
  • Die israelische Zeitung Haaretz
  • In Gaza
  • Die UNRWA
  • Die Presse
  • Die aktuelle Lage

Viele Menschen außerhalb des Gazastreifens können immer noch nicht glauben, was in Gaza passiert, oder denken, es beschränke sich auf eine bestimmte Region Die Wahrheit? Der Krieg hat Gaza von Norden bis Süden zerstört und der Gazastreifen ist heute nicht mehr, was er früher war. In Gaza gibt es kein „Leben“ mehr, nur noch Elend, Tod und „Überlebensversuche“. Häuser sind zu Trümmern geworden. Straßen sind zu Gräbern geworden. Strom, Wasser, Erdgas, Brennstoffe, Internet usw. sind zu Erinnerungen und verlorenen Luxusgütern geworden. Krankenhäuser lahm gelegt und zerstört. Schulen, sie sind zu Notunterkünften geworden oder wurden zerstört. Strom?  Gibt es fast nicht mehr.

(Übrigens: Abed Schokry sprach in Bremen am 25. Februar 2025 auf Einladung der Palästinensischen Gemeinde und der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer. Ein Videobericht hier.)

Die israelische Zeitung Haaretz
Die israelische Zeitung Haaretz schrieb vor einigen Tagen ihrem Leitartikel mit dem
Titel „Genug des Aushungerns“: „Unter der Schirmherrschaft der Regierung in Israel und der Trump-Administration hat sich die Politik des Aushungerns von über zwei Millionen Menschen vollständig normalisiert. Während Israel im ersten Kriegsjahr noch gelegentlich beteuerte, der Krieg richte sich nicht gegen Zivilisten im Gazastreifen und man bemühe sich, deren Grundbedürfnisse zu decken, ist das Aushungern in den letzten Monaten zu einer offen erklärten Politik und sogar einem Grund für Prahlerei geworden. Das Leid und der Tod, die durch die Aushungerungspolitik im Gazastreifen verursacht werden, tragen keines der Kriegsziele voran. Der Tod von Kindern durch Unterernährung und Krankheiten wird weder zur Freilassung der Geiseln führen noch die Hamas schwächen. Israel muss umgehend die Versorgung des Gazastreifens mit Hilfsgütern wiederaufnehmen, und die Weltgemeinschaft muss Israel mit allen verfügbaren Mitteln unter Druck setzen, dies zu erzwingen“.

Die Hamas wird verurteilt, weil die Geiseln unter schlechten Bedingungen leben müssen und hungern. Ja, woher sollen denn für die israelischen Geiseln die Lebensmittel kommen??? Um den Krieg weiterzuführen, nimmt Israel in Kauf, dass auch die israelischen Geiseln verhungern.

Mehr als 18.000 Kinder wurden in dem Gazastreifen getötet. 39.000 Waisenkinder – die größte Waisenkrise der modernen Geschichte und darunter 17.000, die beide Eltern verloren haben. Jackie Khouri schrieb in Haaretz: „Die Verwendung des Wortes „Krieg“  zur Beschreibung der aktuellen Situation in Gaza ist irreführend und verzerrend. Es gibt keinen Krieg in Gaza: Es gibt eine wilde Offensive, die Israel gegen Menschen führt, von denen die meisten in keinerlei Aktivitäten gegen Israel verwickelt sind.“

Wasser? Leitungswasser/ Trinkwasser, verschmutzt, salzig, nicht trinkbar. Die Menschen filtern es mit primitiven Methoden, kochen es (wenn es dafür Energie gibt) ab oder trinken es verschmutzt, weil es keine Alternative gibt“, Erdgas? Seit Monaten nicht geliefert. Die Menschen kochen mit Holz oder alles, was brennt. Die gesundheitliche Lage? Keine ausreichenden Medikamente, keine Krankenhäuser, keine medizinischen Geräte, nicht genügend medizinisches Personal. Die Menschen werden krank und  warten still auf den Tod. Die Hoffnung, die wir als Bewohner/innen von Gaza einst in verschiedene abstrakte Instanzen wie die internationale Gemeinschaft, das Völkerrecht, das Internationale Gericht sowie die arabische und islamische Welt gesetzt hatten, entpuppte sich als bloße Illusion.

Wir haben diese Hoffnung aufgegeben. Die Weltgemeinschaft hat den Gaza-Test nicht bestanden und ist moralisch völlig bankrott. Weder die islamische Welt noch die  arabische hat ihre Aufgabe gegenüber der palästinensischen Zivilbevölkerung erfüllt. Wir fühlen uns von ALLEN im Stich gelassen.

 In Gaza
Die Menschen in Gaza sind eingeschlossen und das seit fast 18 Jahren und nun werden sie seit 18 Monaten von Bombardement und Angriffen aus der Luft, aus dem Meer und von Panzern gleichzeitig beschossen.

Strom gibt es kaum, und wenn die Kinder versuchen die Handys ihrer Eltern aufzuladen, so besteht die große Gefahr, dass sie angegriffen werden. So wurde ein Kind durch einen israelischen Luftangriff sehr stark verletzt. Es war das einzige Kind seiner Eltern. Ob es überleben wird, konnten die Ärzte das noch nicht sagen. Die Menschen in Gaza haben inzwischen nichts mehr zu essen und die Märkte sind seit längerer Zeit leer. Waren gibt es kaum noch. Und wenn Reste angeboten werden, sind die Preise sind astronomisch. Das Bargeld fehlt seit Beginn des verdammten Krieges  gegen den Gazastreifen. Die finanzielle Not ist sehr verheerend, denn die Bevölkerung hat kein Einkommen seit dem Beginn des Krieges. Ersparnisse sind längst verbraucht und das Geld, was der eine oder andere irgendwie bekommt, reicht nicht aus, um sich selbst die grundlegendsten Lebensbedürfnisse zu besorgen, wenn man sie finden  wollte.

Wasser wird rationiert und steht nur für wenige Minuten zur Verfügung wöchentlich. Die Menschen stehen in langen Schlangen, um einen einzigen Behälter mit wenigen Litern Trinkwasser zu füllen. Das Wasser reicht kaum zum Kochen und kaum zum Trinken. Während der ganzen Zeit in der Schlange für Wasser explodiert etwas neben oder inmitten der Wartenden. Der Tod gehört zum Alltag und oft beneiden die Menschen in  Gaza die, die schon getötet worden sind, denn sie leiden nicht mehr. Die Kinder weinen  vor Hunger und Angst. Männer und Frauen verabschieden sich von ihren  Liebsten unter den Trümmern ihrer Häuser.

Wenn das Bombardement nicht die Bevölkerung des Gazastreifens tötet, werden der Hunger und der Durst bzw. die Blockade das Leben kosten. Oder die Menschen sterben infolge der sehr schlechten medizinischen Versorgung. Es gibt nämlich kaum medizinische Versorgung. „Wir können nur sehr eingeschränkte medizinische Leistungen anbieten, aufgrund des akuten Medikamentenmangels. Wenn keine  Medikamente eingeführt werden, werden wir viele Patientenleben verlieren.“Der Leiter der medizinischen Nothilfe Organisation in Gaza-Stadt.

 Die UNRWA:
„Israel hat die Waffenruhe beendet und eine überraschende Welle von Luftangriffen gestartet, die Hunderte Palästinenser im Gazastreifen getötet haben. Und die Israelischen Behörden verhindern humanitäre Hilfe und kommerzielle Lieferungen am Zugang zum Gazastreifen seit dem 2. März“.

 Die Presse
Es wurden 211 palästinensische Journalisten/innen in Gaza getötet. Ausländische Journalisten/innen dürfen das Elend in Gaza nicht sehen. Israel verbietet allen ausländischen Berichterstattern den Zugang. Offenbar gibt es genug zu verbergen. Es ist erstaunlich, dass die Regierungen der Welt, sich mit diesem Verbot abfinden, mit eigenen Augen zu sehen, was in Gaza geschieht. Es ist ebenso erstaunlich oder passt ins sogenannte Narrativ, dass die Berichte der palästinensischen Journalisten/innen bezweifelt werden. So wird in den Nachrichten hier immer wieder betont, dass die Berichte, die Zahl der Getöteten nicht „objektiv“ nachprüfbar sind, weil die Quelle von Palästinensern vor Ort kommt. Aber dass Israel den internationalen Medien verbietet, die Nachrichten vor Ort zu überprüfen, wird nicht gesagt.

Auch die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ protestiert nicht gegen dieses Verbot, sich ein Bild vom Leid der Menschen und von der nahezu vollkommenen Zerstörung ihrer Lebensgrundlage zu machen. Die Anzahl der getöteten Journalisten/innen in der  Geschichte des 20. Und 21. Jahrhunderts:
– Zweiter Weltkrieg: 68
– Vietnam: 66
– Afghanistan (20 Jahre): 127
– Gaza: 211
Ein dringender Appell an die Welt: Schweigt nicht zum Leid der Palästinenser und lasst ihre Schreie nicht ungehört! Handelt endlich, damit dieser Krieg gestoppt wird. Seien Sie bitte heute die Stimme aller Palästinenser:innen und helfen Sie ihnen, damit das Morden aufhört und ein echter Frieden zustande kommt. Ich wünschte, ich wache auf und dies ist alles nur ein Alptraum gewesen.
Mit sehr traurigen Grüßen
Ihr
Abed Schokry

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