Schade: nur Konformismus

Einen Tag vor der großen Palästina-Demonstration hatte am 22. Juli 2014 ein „Bündnis linker Gruppen“, außerdem die jüdische Gemeinde und die Deutsch-Israelischen Gesellschaft zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz aufgerufen. Etwa 200 Menschen waren dem Aufruf gefolgt, hörten sich die Reden an und konnten die Transparente („Gegen jeden Antisemitismus!“) lesen. Gegen diese Losung ist überhaupt nichts einzuwenden, und sie ist auch völlig unumstritten. In den Reden wurde aber deutlich, was eigentlich damit gemeint war, und das war „gegen jede Kritik an Israel“. Die Bildzeitung hatte mit zwei reißerischen Artikeln vom gleichen Tag die Linie vorgegeben. „Jetzt kommt der geballte Israel-Hass auch nach Bremen“, „Jüdische Bürger in Angst“, und „Hass-Demo gegen Israel in der City“.

Die drei Sprecherinnen auf der Kundgebung, die anonym bleiben wollten und ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit „c3“ und „iwg“ angaben, kamen unüberhörbar aus der antideutschen Ecke. Es gehört zu ihrer „Staatsraison“, alles, was die israelische Regierung macht, bedingungslos zu unterstützen. Differenziert wird nicht. Kritik an der Siedlungspolitik, an der Besatzung, an den zivilen Opfern, und das Einfordern des Völkerrechts und der Menschenrechte überhaupt ist ohne Umstände und sofort „antisemitisch“.

Was man auf der Kundgebung hören konnte, war schwer nachvollziehbar. In Bezug auf die Gründe für die jetzige Demonstrationen in vielen deutschen wurde die Gegenfrage gestellt: „Was haben die Auseinandersetzungen in Gaza damit zu tun, dass hier in Deutschland Juden beschimpft und bedroht werden? Zugegeben: erst einmal nichts.“ Außerdem hätten die Menschen, die „jetzt jeden Tag in Massen durch Städte wie Bremen, Essen, Göttingen, Hannover und Berlin ziehen, nicht den blassesten Schimmer, was in Israel und den palästinensischen Gebieten wirklich passiert. Es ist ihnen auch vollkommen egal. Es geht ihnen letzten Endes nur darum, unter dem Deckmantel der sogenannten Israel-Kritik ihre antisemitische Hetze auf der Straße auszu leben.“

Wirklich interessant waren ja eigentlich nicht die hetzerischen Schlagzeilen der Bildzeitung und ihr Echo bei den Antideutschen – weil man sie so erwartet. Interessant und erschreckend war vielmehr, dass sämtliche Differenzierungen fehlten. Dabei hatte die Linksjugend  [solid‘] Bremen noch zu dieser Kundgebung aufgerufen, und gefordert: „Gegen Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und Antizionismus“ aufzutreten. Immerhin hatte sie, wenn auch sehr verschwurbelt, in ihrem Aufruf so formuliert: „Die Aufarbeitung des Konfliktes in seiner Komplexität darf nicht durch vereinfachende Darstellungen und Positionierungen für Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und Antizionismus anschlussfähig gemacht werden.” Zu sehen und zu hören war davon allerdings auf der Kundgebung nichts.

Auch die Vertreterin der jüdischen Gemeinde in Bremen differenzierte nicht, auch von ihr waren keine Zwischentöne zu vernehmen. Im Gegenteil, explizit dankte sie „für die Aktion der jungen Leute“.

Es gibt aber Stimmen jenseits des antideutschen Bildzeitungs-Konformismus. Nicht nur in Kreisen der palästinensischen Organisationen und der Friedensbewegung. In der „End-of-road“, einer viel gelesenen und informativen Internetplattform des Spektrums einer „emanzipatorischen Linken“, schreibt der Sprecher von „no lager“ (22.07.14) in Bezug auf diese Kundgebung: „Nicht nach­voll­zieh­bar ist …die Selbst-Be­schrän­kung auf ‚An­ti­se­mi­tis­mus‘, d.h. die Nicht-Be­reit­schaft, eine linke, mit­hin eman­zi­pa­to­ri­sche Po­si­ti­on zur Si­tua­ti­on in Is­ra­el/Pa­läs­ti­na zu be­zie­hen (nicht zu­letzt in An­leh­nung an un­dog­ma­tisch-lin­ke Po­si­tio­nen, wie sie von ent­spre­chen­den Grup­pen und Netz­wer­ken in Is­ra­el/Pa­läs­ti­na of­fen­siv ver­tre­ten wer­den): Ers­tens, weil die ak­tu­el­len Demos ohne das Ge­sche­hen im Nahen Osten nicht zu ver­ste­hen sind, wie ja aus dem Auf­ruf zur Kund­ge­bung in Bre­men (un­ge­woll­ter­wei­se?) deut­lich wird. Zwei­tens, weil An­ti­se­mi­tis­mus nur eine von vie­len Fa­cet­ten der Kon­flikt­dy­na­mik dar­stellt und drit­tens, weil in Pa­ro­len, oder auf Trans­pa­ren­ten ar­ti­ku­lier­ter Hass auf Is­ra­el nur bei be­stimm­ten Grup­pen bzw. Per­so­nen Aus­druck von An­ti­se­mi­tis­mus ist.“ In dem lesenswerten Artikel wird verwiesen und verlinkt auf den erschütternden Bericht von „medico international“ über eine Demonstration in Tel-Aviv, die unter dem Motto stand: „Jews and Arabs Refuse to Be Enemies!“

In den letzten beiden Wochen ist die rechtsextreme Politik der Regierung Netanjahu von vielen Juden und Israelis scharf und umfassend kritisiert worden. Es hat in Jerusalem und Tel-Aviv große Friedensdemonstrationen gegeben. Die Opposition in Israel ist zwar zur Zeit klein, aber es gibt sie und sie sollte auch bei uns nicht überhört werden. Alles antisemitisch?

Die deutschen Medien folgen nicht alle der Linie der Bildzeitung. Gestern abend in den Tagesthemen (vom 22.07.14; nachzuhören hier) kam Ralf Verleger, das bekannte ehemalige Direktoriumsmitglied des Zentralrats der Juden und der Verfechter eines aufgeklärten Judentums hierzulande, zu Wort. Seine Kritik an der deutschen Politik gegenüber Israel war deutlich verbunden mit der Aufforderung, „dass die arabische Seite in diesem Konflikt endlich mehr gehört wird.“ In der gleichen Sendung kommentierte Sabine Rau (WDR): „Es sind Palästinenser, die die Verzweiflung auf die Straße treibt. Es sind Deutsche, die sich empören über die brachiale Unerbittlichkeit dieses Feldzuges. Es sind Menschen, die nach der Verantwortung der Politik fragen.(…) Dass die Hamas so stark wurde, ist auch das Ergebnis der unerbittlichen Siedlungspolitik Israels. Unter Premier Netanjahu, der getrieben wird von Populisten und Scharfmachern, ist die Situation Gaza jetzt eskaliert. Außenminister Avigdor Liebermann spricht davon, ‚den Stall auszumisten‘ und ein anderes Regierungsmitglied verspricht ‚ein Ticket in die Hölle‘.“ Ist auch dieser Kommentar antisemitisch?

Zum Schluss sei aus dem Aufruf der israelischen Friedensbewegung von gestern (22.07.14) zur Kundgebung auf dem Rabin-Platz in Tel-Aviv zitiiert:

„Der Krieg ist böse. Wir sind nicht auf die Welt gekommen, um uns gegenseitig umzubringen. Wir glauben an die Gleichheit der Menschen, die für alle, vom Mittelmeer bis zum Jordan, gelten muss. Wir glauben, dass alle, Juden und Araber, Israelis und Palästinenser, das Recht auf ein erfülltes Leben haben. Wir glauben, dass es in diesem Krieg eine Lösung geben wird, die den Frieden bringt. Und wir beklagen die militaristische Propaganda an, die zur Zeit in der israelischen Öffentlichkeit so laut zu vernehmen ist. Wir sind gegen Raketen, Panzer, Kampfjets und Kanonen aus Israel und Gaza. Wir sind gegen jegliche Gewalt, die sich gegen Menschen richtet, egal welcher Religion, Rasse, Hautfarbe oder welchen Geschlechts sie angehören.

Es gibt eine Opposition in Israel! Die Unterdrückung des palästinensischen Volkes muss beendet werden! Friedensgespräche müssen endlich begonnen werden! Der israelische Staat muss unverzüglich seine Politik ändern!“

Der Demonstration und der Kundgebung heute auf dem Marktplatz ist zu wünschen, dass viele Menschen kommen, die ihrer Trauer und ihrer Wut Ausdruck verleihen wollen. Es ist zu wünschen, dass sie wie geplant diszipliniert verläuft,  und – nicht zuletzt – dass Provokationen frühzeitig erkannt und verhindert werden.
Sönke Hundt

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