Dass wir die Kritik der beiden DIG-Vertreter (Dr. Widu Wittekindt und Dr. Bernd Moldenhauer) ungekürzt und ohne Kommentar auf unsere Webseite gesetzt haben, hat für Diskussionen gesorgt. So ist Ulrich Duchrow ganz entschieden der Meinung, dass die DIG seine Anliegen und seine Äußerungen falsch wiedergegeben hat. Es sei wohl das Einfachste, schrieb er uns, wenn man einfach seinen Vortrag komplett bei uns auf die Webseite setzte. Dann könne jeder vergleichen und sehen, wessen Argumenten man glauben könne.
Nachtrag v. 7. Mai 2019
Inzwischen haben uns Dr. Widu Wittekindt und Dr. Bernd Moldenhauer ebenfalls ihre Texte, die sie auf der Veranstaltung vorgetragen haben, mit der Bitte zugeschickt, diese ebenfalls hier zu veröffentlich. Der Bitte kommen wir gerne nach.
Hier also die vollständigen Texte:
- Prof. Dr. Ulrich Duchrow: Religionen für Gerechtigkeit in Palästina/Israel
- Dr. Widu Wittekindt: Gegenrede zu Duchrow
- Dr. Bernd Moldenhauer: Diskussion mit Ulrich Duchrow
Nachbemerkung der Redaktion
Eigentlich war ja an dem Abend in Bremen-Blumental nur der Vortrag mit Diskussion von Ulrich Duchrow geplant. Das Thema ist ja auch für einen Abend umfangreich genug. Dann aber wurde die Forderung an die Gemeinde herangetragen, dass den Thesen von Duchrow – weil zu israelkritisch – etwas entgegengesetzt werden müsse. Sonst könne die Veranstaltung nicht stattfinden. Woraufhin die Gemeinde die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) aufforderte, ihrerseits einen Referenten zu stellen. Diese schickte dann die Herren Wittekindt und Moldenhauer, die dann mehr als die Hälfte der knappen Zeit für sich in Anspruch nahmen. Veranstaltungen als Streitgespräch oder in Dialogform finden wir prima.
Wie wär’s? Bei einer der nächsten von der DIG organisierten Veranstaltung werden – weil zu israelfreundlich – die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft (DPG) oder der Arbeitskreis Nahost eingeladen, die Gegenposition darzustellen.
Religionen für Gerechtigkeit in Palästina/Israel
Von Ulrich Duchrow
Am 3.4.2019, 19.30 Uhr in der Ev.-ref. Kirchengemeinde in Bremen-Blumenthal
1. Einführung
Gern möchte ich Sie auf eine Lernreise mitnehmen, eine Lernreise meines eigenen Lebens. Vielleicht leuchten Ihnen dann meine heutigen Einsichten ein.
Ich war 10 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg und die Naziherrschaft mit ihren Verbrechen endete. Meine Schulzeit war geprägt von der Auseinandersetzung mit dieser schuldhaften Vergangenheit und den Perspektiven einer anderen Zukunft. Schon in der höheren Schule entdeckte ich Dietrich Bonhoeffer und las alle damals erscheinenden Bücher von ihm. Deshalb nenne ich seine Schriften meine „theologische Muttermilch“.
Als ich 1970 Direktor der Studienabteilung des Lutherischen Weltbundes wurde, drängte sich bald ein Problem in den Vordergrund: das Leiden der Menschen im südlichen Afrika unter der Apartheid. Zusammen mit VertreterInnen der dortigen Kirchen lasen wir Bonhoeffers Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“.
Dieser Aufsatz wurde im April 1933, wenige Monate nach der Machtergreifung durch Hitler geschrieben. Wenn man weiß, dass sonst kaum noch ein Theologe über die Frage theologisch arbeitete und sogar in der später entstehenden Bekennenden Kirche niemand an die Frage der Juden herangehen wollte, kann man über Bonhoeffers theologische Klarsicht nur staunen. Sein Argument ist: Die Kirche interveniert normalerweise nicht direkt in die Politik. Es gibt aber Situationen, in denen die Kirche dem Rad in die Speichen fallen muss und nicht nur die Opfer verbinden darf, die unter die Räder eines trunkenen Kutschers gekommen sind. Das ist erstens der Fall, wenn der Staat zu wenig Staat ist, d.h. z.B., wenn er den Juden alle Rechte entzieht, oder zweitens, wenn er als zu viel Staat in die Angelegenheiten der Kirche eingreift, wie z.B. mit der Durchsetzung des Arierparagraphen, d.h. wenn er der Kirche befiehlt, alle jüdischstämmigen Pfarrer zu entlassen.
Damit befindet sich die Kirche in statu confessionis, in einer Bekenntnissituation, in der das Kirchesein der Kirche und die Integrität des Glaubens auf dem Spiel steht. Das Ergebnis unserer damaligen Bemühungen war die Erklärung der Vollversammlung des LWB 1977, dass Apartheid einen Bekenntnisfall für die Kirche darstellt. 1984 wurde dann auch die Mitgliedschaft der weißen Lutherischen Kirchen im südlichen Afrika suspendiert, weil diese den Beschluss nicht anerkennen wollten. Im Jahr 1982 erklärte auch der Reformierte Weltbund Apartheid zur Häresie.