Am 3. April 2019 fand in der Evangelisch-Reformierten Kirchengemeinde Bremen-Blumenthal eine Podiums-Veranstaltung zum Thema „Ist Kritik an den Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen des Staates antisemitisch oder vielmehr notwendig?“ statt. Teilnehmer waren Prof. Dr. Ulrich Duchrow (Theologe und Mitverfasser der „Wittenberger Erklärung 2017“), Dr. Bernd Moldenhauer und Dr. Widu Wittekindt (Deutsch-Israelische Gesellschaft Bremen). Ein kurzer Bericht über die Veranstaltung von Hildegard Lenz erschien dazu am 8. April auf dieser Webseite (http://nahost-forum-bremen.de/?p=9293#more-9293)
Als Erwiderung zu dem Bericht schickten uns Bernd Moldenhauer und Widu Wittekindt den folgenden Text mit der Bitte um Veröffentlichung. „Wir denken“, schrieben sie, „dass es im Sinne einer fairen Auseinandersetzung ist, wenn wir in Ihrer Webseite veröffentlicht werden. Es hilft immer, Dialoge statt aneinander vorbei redender Monologe zu haben. Für diese Gelegenheit danken wir Ihnen und wünschen Frohe Ostern und Chag Pessach Sameach!“ Der Bitte kommt die Redaktion gerne nach und veröffentlicht hier den Text ohne Kommentar.
Nach der Einführung, in der er auf seine Lebenserfahrungen einging (1970 Apartheid Südafrika, 1982 imperialer Kapitalismus) stellte Duchrow Positionen des von ihm herausgegebenen Aufsatzbandes vor. Sein eigener Beitrag in diesem Band geht von der 500 – jährigen Geschichte des protestantischen Antisemitismus aus. Sie ist längst nicht aufgearbeitet und verstanden, wird aber sofort überlagert vom Konflikt zwischen dem Staat Israel und den Palästinensern.
Für Duchrow ist eine Diskussion über das Problem Israel/Palästina nur auf der Basis der Annahme der einseitigen und illegitimen Ausübung israelischer Gewalt vorstellbar. Schon hier verschweigt er arabisch-palästinensische Gewalt seit der Mandatszeit in der Gründungsphase zweier möglicher Staaten (UNO Res 181). Wir erinnern an den Generalsekretär der Arabischen Liga nach dem Teilungsbeschluss: „Die Araber wollen einen Vernichtungskrieg. Es wird ein gigantisches Massaker geben, das später einmal im gleichen Atemzug mit den Massakern der Mongolen und der Kreuzfahrer genannt werden wird.“
Duchrow verschweigt die Geschichte der arabischen Aggression gegen die jüdische Gemeinschaft – in Gewaltrunden 1920, 1921, 1929, 1936-39 und 1947-48. Die Angreifer sind für Duchrow immer die Israelis, das Opfer sind immer Araber. Araber sind immer das Objekt, nicht das Subjekt.
Auch die vielfache Gewalt gegen Juden überall in der Welt (Beispiel München 1972) unterdrückt Duchrow und nennt sie bei Nachfrage „legitime Gegengewalt“. Als Beispiel gibt er einen sogenannten Vertreibungsplan „Dalet“ im Unabhängigkeitskrieg Israels an und beruft sich auf „sogar jüdische“ Autoren – als ob das den Wahrheitsgehalt erhöhen würde.
Zitat des jüdischen Historiker Jaacov Lozowick: „Niemand hat je ein Dokument gefunden, das bezeugt, dass es eine Politik der Vertreibung der arabischen Bevölkerung gegeben hätte, denn die gab es nicht. Der Krieg begann im November 1947, und bis Juni 1948 bestand das Ziel der Juden darin, die Entschlossenheit der Araber zu überleben, sie zu vernichten. Offene Vertreibungen ereigneten sich vor allem ab Juni, und selbst da war es offenbar eine Atmosphäre, sie zum Gehen zu ermuntern, und es gab auch Fälle von Mord, aber keine klare Politik der Vertreibung.“
Geschichtsbilder kann man durch schlichtes Auslassungen und Nichterwähnung verzerren. Die kriegerischen Konflikte zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten haben etwa 100 000 Opfer auf beiden Seiten gefordert. Jedes einzelne ist zu beklagen. Gleichzeitig sind in den Bürgerkriegen und Kriegen zwischen nahöstlichen Staaten weit über zwei Millionen Menschen getötet worden. Allein in Syrien sind 11 Millionen Menschen immer noch auf der Flucht oder im Exil. Wenn es um Humanität und Gerechtigkeit geht – und darin sind wir mit Duchrow jederzeit einig – , darf man über diese ungeheuerlichen Zahlen und die Gewaltgeschichte der Region nicht schweigen. Sie hat lange vor der Bildung europäischer Nationalstaaten und lange vor dem europäischen Imperialismus begonnen.
Die Quellen Duchrows sind erschreckend einseitig. Er beruft sich nur auf die Quellen, die in sein Bild passen. Das ist u. E. unwissenschaftlich. Summa summarum bewerten wir seinen Vortrag als extrem einseitig, geschichtsverdrehend und wegen der völlig irrigen Behauptung, Israel sein ein Apartheids- und Unrechtsstaat als nicht hinnehmbar.
20.4.2019
Dr. Bernd Moldenhauer
Dr. Widu Wittekindt