„Palestinian Lives Matter“ – Protest gegen Annexionspläne

Bernie Sanders in einen Grußwort an die Demonstranten auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv

 

Wie der Weserkurier von heute (08.06.2020) berichtet, haben Gegner möglicher Annexionen Israels im besetzten Westjordanland am Sonnabend auf dem Rabin-Platz im Zentrum Tel Avivs gegen die Pläne der israelischen Regierung protestiert, die Annexion der jüdischen Siedlungen und des Jordantals im Westjordanland voranzutreiben. Auf zahlreichen Transparenten wurde Solidarität mit den Palästinensern zum Ausdruck gebracht. Die neue israelische Regierung unter Führung von Ministerpräsident Netanjahu will – in Übereinstimmung mit US-Präsident Trump – konkrete Schritte im Westjordanland möglicherweise schon im Juli vollziehen. Bereits in den Wochen vor der Vereidigung der Regierung hatte es in Tel Aviv am Wochenende regelmäßig Proteste gegeben. Zu den Rednern bei den Protesten zählte neben dem Vorsitzenden der linksliberalen Merez-Partei, Nitzan Horowitz, auch der linke US-Senator Bernie Sanders. Er war Anfang April aus dem Rennen der Demokraten um die Präsidentschaftskandidatur der Vereinigten Staaten ausgestiegen. Sanders war per Video zugeschaltet. Wie die israelische Tageszeitung „Haaretz“ berichtete, freut er sich, dass so viele, Juden und Araber gleichermaßen, für Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie einstehen würden.

In dem Bericht des Weserkuriers heißt es weiter: „Auf den Schildern der Demonstranten auf dem Rabin-Platz im Zentrum der Stadt waren Sätze wie ‚Palestinian Lives Matter‘ – „Palästinensische Leben zählen“ – in Anlehnung an die aktuell weltweit stattfindenden Proteste, zu lesen. Mehr als 30 Parteien und Nichtregierungsorganisationen hatten im Vorfeld zu der Demonstration aufgerufen. Während die israelische Regierung und mittlerweile auch die USA Jerusalem als rechtmäßige Hauptstadt des Judenstaates ansehen, ist es für die Vereinten Nationen und die meisten ihrer Mitgliedsstaaten noch immer Tel Aviv.

Grund der Proteste ist die von Israels Premier Benjamin Netanjahu angekündigte Annexion des Westjordanlandes, die im Juli beginnen soll. Israel folgt damit dem Nahost-Plan von US-Präsident Donald Trump, den er als „Friedensplan“ bezeichnet und der die Annexion jüdischer Siedlungen in der Westbank und im Jordantal beinhaltet. Das Vorhaben ist international höchst umstritten und wird von der Führung der Palästinenser abgelehnt. Aber auch Nachbar Jordanien läuft dagegen Sturm, denn das Land am Jordan ist ebenfalls unmittelbar davon betroffen.“

König Abdullah von Jordanien habe „erbost“ auf die Ankündigung des israelischen Parlaments reagiert, die Annexion des Westjordanlandes im Juli diskutieren zu wollen. Sollte dies geschehen, so denke Jordanien darüber nach, den seit 1994 bestehenden Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen. Das sagte der Monarch in einem Interview mit dem US-Sender CBS. Der Plan von Trump und Kushner sehe vor, dass nur etwa 70 Prozent der Fläche der Westbank den Palästinensern gehören sollen. Die Siedlungen mit Hunderttausenden Israelis sollen aber bleiben.

Dem Plan könne Jordanien nie zustimmen, so habe Hassan Barari, Mitglied des Washington Instituts für Nahost-Politik und Experte für die israelisch-palästinensischen Beziehungen gegenüber dem WESER-KURIER die Situation erklärt. In Jordanien lebten 40 Prozent aller palästinensischen Flüchtlinge weltweit. Diejenigen, die 1947/48, als der Staat Israel gegründet wurde, ins Land kamen, hätten inzwischen fast alle die jordanische Staatsangehörigkeit. „Sie sind Jordanier“. Aber diejenigen, die im Zuge des Sechs-Tage-Krieges 1967 geflüchtet seien, hätten lediglich Aufenthaltsgenehmigungen. Und dann seien da noch eine halbe Million Palästinenser 1990 aus Kuwait zurückgeschickt worden, weil sie angeblich Saddam Hussein in seinem Krieg gegen das Nachbarland unterstützt hätten.

Auch die Frau des Königs sei so nach Jordanien gekommen. Israel habe die „Kuwait-Palästinenser“ nicht in ihre Heimat reisen lassen. Sie seien in Jordanien hängengeblieben. Diese Flüchtlinge hätten lediglich eine „Gelbe Karte“ mit einem offiziell legalen Status für das Westjordanland, das Israel jetzt annektieren wolle. Als der „Friedensplan“ in Washington ausgearbeitet wurde, so Barari, habe das gesamte Team nur aus jüdischen Teilnehmern bestanden. Die Amerikaner hätten weder mit den Palästinensern, noch mit den Jordaniern gesprochen, obwohl Jordanien traditionell amerikafreundlich sei. Bararis Kinder gingen alle in die amerikanische Schule, der König habe in den USA studiert. Der Monarch fühle sich deshalb brüskiert, so die Einschätzung des Politikwissenschaftlers, der an der jordanischen Universität in Amman Internationale Beziehungen lehrt.

Das politische Überleben Jordaniens läge im Fadenkreuz Israels und Amerikas. Doch wenn der König dem Trump-Plan zustimmen würde, verlöre er seinen Job. „Es ist eine Frage der Identität für Jordanien.“ Wenn die Palästinenser einen eigenen Staat bekämen und die Flüchtlinge zurückgingen, könnte auch Jordanien endlich ein eigener Staat werden. Abschließend machte der Nahostexperte Barari, wie der Weserkurier berichtet, einen ungewöhnlichen, überraschenden Lösungsvorschlag für die verfahrene Situation: „Ich würde eine allumfassende Ein-Staaten-Lösung akzeptieren: ein demokratischer Staat mit Palästinensern, Jordaniern und Israelis.“ Doch mit dieser Meinung dürfte der Politikwissenschaftler in Jordanien weitgehend alleine stehen. Die Stimmung im Land sei eindeutig gegen Israel gerichtet. Immer wieder würden die Menschen gegen den Nachbarn auf die Straße gehen. Mit den Israelis gemeinsam in einem Staat zu leben, das würden sich weder Jordanier noch die dort lebenden Palästinenser vorstellen können. Quelle: Weserkurier vom 08.06.2020 (link hinter einer Bezahlschranke) siehe auch: Deutschlandfunk vom 08.06.2020