Im Kurier am Sonntag v. 21.06.2020: Gastkommentar über die Politik Israels

Eine Annexion wäre ein tödlicher Schlag für den Frieden

Auf die von der neuen rechtsnationalen israelischen Regierung bekannt gewordenen Pläne zur Annexion der Siedlungen und des Jordantals folgten weltweit Proteste. Immer mehr wird in Deutschland kritisiert, dass sich Israel zu einem Apartheidstaat entwickelt. Menschenrechtler werden von Institutionen, die Israels Regierung unkritisch zur Seite stehen, als Antisemiten beschimpft. Dies verharmlost den tatsächlich gefährlichen Antisemitismus.In Israel selbst wird verschärft gewarnt. 56 ehemalige israelische Minister und Abgeordnete sagen offen, „eine Annexion würde ein tödlicher Schlag für eine Friedensmöglichkeit und die Schaffung eines Apartheid-Staats“ bedeuten. 300 Ex-Offiziere und Mossad-Chefs warnen: „Je größer die Kluft zwischen den israelischen Bürgern und den palästinensischen dauerhaften Anwohnern, desto mehr wird die Realität eine Apartheid sein.“ Für 50 UN-Menschenrechtsrat-Experten ist das die „Vision einer Apartheid des 21. Jahrhunderts“.

Zionistische Denker beschreiben die „nationale Wiederbelebung des jüdischen Volkes“ von jeher als „Rückkehr“ einer in der Fremde lebenden Nation in ihre historische Heimat. Dies ist die Folie, vor der die politische Entwicklung in Israel in den verschiedenen Phasen realisiert wird, allen Diskussionen über Frieden und Zweistaatlichkeit zum Trotz. 1947 betrug der Gebietsbesitz vor dem umstrittenen UNO-Teilungsbeschluss etwa 93 Prozent für die Palästinenser und sieben Prozent für die ursprünglich friedliebende kleine jüdische Gemeinschaft. Nun wird das von israelischen Siedlungen zersiedelte und nach allen Seiten vom Zugang zu anderen Ländern abgeschnittene Rest-Palästina nach den geplanten Annexionen nur noch etwa 15 Prozent des ursprünglichen Gebietes Palästina ausmachen – bei erheblich größerem Bevölkerungsanteil der Palästinenser. Der einzige Weg zum Frieden als Alternative zur zunehmend unrealistischeren Zwei-Staatenlösung wäre die Wandlung in einen Staat mit echter Demokratie für alle Einwohner des Landes.

Dies aber erscheint als Illusion angesichts der eklatanten Verstöße gegen Völkerrecht, der stillen Vertreibungspolitik, dem Bestreben, die palästinensische Identität auszulöschen und der jahrzehntelangen Ignoranz aller UN-Resolutionen und Grundsätze der 4. Genfer Konvention. Ziel war immer ein jüdischer Staat, wie er 2018 im Nationalstaatsgesetz von der Knesset festgeschrieben wurde. Dieser aber kann kein demokratischer Staat für alle Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten sein. Ist der Weg in den Apartheid-Staat also vorgezeichnet?

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