Die militärische Gewalt überdeckt den gewaltfreien Widerstand – und gemeinsame Perspektiven von Israelis und Palästinensern. Was die Europäische Union jetzt tun kann, damit das Töten im Gaza-Krieg ein Ende findet. Ein Kommentar von Wiltrud Rösch-Metzler. Die Autorin ist Bundesvorsitzende der internationalen katholischen Friedensbewegung Pax Christi.
Der neue Gaza-Krieg hat die alten Koordinaten einer Bewertung verschoben. Er traumatisiert die Bevölkerung von Gaza und von Teilen Israels langfristig. Er schädigt den Staat Israel, weil er zeigt, wie moralisch fragwürdig Drohnen-, Schiffs-, Panzer und Bombenattacken sind, besonders wenn Schulen, Marktplätze, Krankenhäuser und das einzige Kraftwerk Gazas zerstört werden – und Kinder, Frauen und Alte tot oder als Invaliden zurückbleiben. Er schädigt Palästinas Regierung, die ein weiteres Mal ohne Zugeständnisse für ihren Staat dastehen wird. Er stärkt in Israels Regierung jene, die nicht mit Palästina verhandeln wollen. Und er überdeckt den lebendigen, gewaltlosen Widerstand der palästinensischen Zivilgesellschaft.
In Deutschland jedoch wurden flugs wieder die alten Koordinaten angelegt. Personen des öffentlichen Lebens von Angela Merkel bis Nikolaus Schneider warnten zu Recht vor Antisemitismus und den Raketen der Hamas, vermieden es aber, lautstark einen Stopp der israelischen Bombardierungen zu fordern. Wer sich in diesem Szenario für die Rechte der Palästinenser einsetzt, ist wieder dort, wo er vor dem Krieg hingerückt wurde: auf der antiisraelischen oder gar der antisemitischen Seite.
Die immer wieder mit Waffengewalt erstrittene angebliche »Befriedung« der Palästinenser schafft keinen Frieden von Dauer und auch keine Sicherheit für Israel. Die Weltgemeinschaft muss wieder zurück zum Ausgangspunkt des Konfliktes: zum Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung. Man weiß es spätestens seit der gescheiterten Vermittlung von US-Außenminister John Kerry: Es ist Israels Regierung, die ihnen dieses Recht verwehrt.
Noch im Jahr 1967, nachdem Israel Golan, Sinai, Gaza und die Westbank samt Ostjerusalem erobert hatte, forderte der UN-Sicherheitsrat in der Resolution Nr. 242 den Rückzug Israels aus den eroberten Gebieten. Einzig der Sinai wurde an Ägypten zurückgegeben. Diese Resolution, würde sie denn durchgesetzt, würde den Palästinensern ein selbstbestimmtes Leben ohne Besatzung ermöglichen. Palästinenser und Israelis begegnen sich nicht auf Augenhöhe: Eine hochgerüstete Macht, die über viele Repressionsmittel verfügt, steht einem besetzten Volk gegenüber, das gewalttätige und gewaltlose Mittel des Widerstandes einsetzt. Nicht die palästinensische Autonomiebehörde baut auf Israels Staatsgebiet Mauer und Siedlungen, sondern Israels Regierung auf dem Gebiet der Palästinenser. Nicht die Palästinenser sperren den Personen- und Warenverkehr von Israelis ab, sondern die israelische Regierung blockiert den Personen- und Warenverkehr der Palästinenser.
Um von der militärischen »Lösung«, einer Dauerbesatzung Palästinas, wegzukommen, braucht es Verhandlungen zwischen den beiden Seiten. Israelische und palästinensische Friedens- und Menschenrechtler sind überzeugt, dass nur Druck von außen die Politik Israels noch ändern kann. Einen ersten Schritt unternimmt die Europäische Union (EU). Seit Januar erhalten die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen in der Westbank und Ostjerusalem kein Fördergeld mehr aus der EU. Der nächste Schritt wäre die Kennzeichnung von Siedlungsprodukten, damit die Verbraucher entscheiden können, ob sie Waren aus diesen Siedlungen kaufen möchten.
Es gibt Empfehlungen von EU-Behörden, was Staaten tun könnten, um die Verletzung des Völkerrechts durch Israel nicht zu unterstützen – zum Beispiel sich im völkerrechtswidrig annektierten Ostjerusalem nicht von israelischen Regierungsangestellten begleiten zu lassen. Auch über Sanktionen sollte nachgedacht werden. Mehrere Nobelpreisträger, von Desmond Tutu bis Adolfo Pérez Esquivel, rufen zu einem Waffenembargo gegenüber Israel auf, bis die Regierung dort internationales Recht einhält.
Um nicht wieder im alten Koordinatensystem zu landen, braucht es den Druck der Zivilgesellschaft. Dieser organisiert sich derzeit weit über die EU hinaus: El Salvador, Brasilien, Chile, Ecuador und Peru zogen ihre Botschafter aus Protest gegen den Gazakrieg aus Israel ab.
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