Er könne seine „Pflichten nicht länger in dem Wissen erfüllen, dass dieses Ministerium (Foreign, Commonwealth and Development Office) möglicherweise an Kriegsverbrechen beteiligt ist“, so der britische Diplomat Mark Smith in der Begründung für seinen Rücktritt aus Gewissensgründen. Mark Smith war zuständig für die Erteilung von Waffenexportlizenzen und Terrorismusbekämpfung.
Kurze Zeit später, am 2.9.2024 gab die neue britische Regierung bekannt „rund 30 Waffenexportgenehmigungen (von insgesamt 350) nach Israel für den Einsatz in Gaza wegen Bedenken hinsichtlich des humanitären Völkerrechts“ mit sofortiger Wirkung zurückziehen zu wollen. Zur Begründung wird ausgeführt: „Die britische Bewertung kommt zu dem Schluss, dass ein klares Risiko besteht, dass bestimmte Rüstungsexporte nach Israel als Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verwendet werden könnten“.
Nach britischer und deutscher Rechtslage reicht zur Begründung das Risiko, dass exportierte Waffen zu Kriegsverbrechen verwendet werden könnten. Der Nachweis, dass diese tatsächlich beabsichtigt oder schon vollzogen sind, ist nicht erforderlich.
Wie in Deutschland gehen in Großbritannien Personen und zivilgesellschaftliche Organisationen auf dem Klageweg gegen Waffenlieferungen nach Israel vor. In Großbritannien ist das unter anderem die Organisation Global Legal Action Network (GLAN) in Kooperation mit Al-Haq einer palästinensischen NGO für Menschenrechte mit Sitz in Ramallah.
GLAN & Al-Haq erklärten einen Tag nach der Pressemitteilung der Regierung, das Verfahren gegen die Regierung fortsetzen zu wollen, trotz der Regierungsentscheidung. Die Juristen vermuten unter anderem ein Schlupfloch für die Lieferung von Ersatzteilen des Kampfjets-35, der eine zentrale Rolle für den Bombenkrieg in Gaza spielte und spielt.
Die Regierungsentscheidung besagt: „Britische Komponenten für das multinationale F-35-Kampfflugzeugprogramm werden von dieser Entscheidung ausgenommen, es sei denn, sie gehen direkt nach Israel.“ Es wäre doch gelacht, wenn sich im Rahmen des „Joint Strike Fighter Program (JSF)“, dem länderübergreifenden Entwicklungsprogramm für F-35 Kampfjets, an dem neben USA, Israel und Großbritannien noch elf weitere Länder beteiligt sind, nicht Mittel und Wege ausmachen ließen, damit F35-Ersatzteile ihren Weg nach Israel auf indirektem, aber legalen Wege finden.
Die Skepsis der Juristen:innen von GLAN & Al-Haq wird auch dadurch genährt, dass die Erklärung der Regierung auf mögliche Kriegsverbrechen in selektiver Weise eingeht. Hingewiesen wird darauf „dass Israel möglicherweise das Völkerrecht in Bezug auf humanitäre Hilfe und Gefangene verletzt hat, aber sie hat es einfach vermieden, eine Bewertung der Luftangriffe vorzunehmen.“
Die hohe Zahl von Verletzten und Verwundeten wird aber durch Luftangriffe verursacht, bei deren Ausführung die F-35 Kampfjets eine wesentliche Rolle spielen. Die britische Regierung verantwortet ähnlich wie die US-amerikanische eine doppelzüngige Politik:
Menschenrechtsrhetorik nach innen, Fortsetzung von Waffenexporten so, dass die israelische Kriegsführung nicht beeinträchtigt wird. US-Präsident produzierte im Mai d.J. einen öffentlichen Konflikt mit Netanjahu durch einen Liefer-Stop bei 2000-Pfund-Bomben, angeblich weil die Israelische Armee den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtete. Dabei wurden schon bis Dezember 2023 so viele dieser Bomben geliefert, dass die Luft-Kriegsführung in Gaza durch den „Lieferstop“ nicht im Geringsten beeinträchtigt wurde. Das US-Außenministerium genehmigte „stillschweigend“ noch im März 2024 den Transfer von 25 F-35 Kampfjets und Triebwerke, daneben „mehr als 1.800 MK84-Bomben mit einem Gewicht von 2.000 Pfund und 500 MK82-Bomben mit einem Gewicht von 500 Pfund, wie Beamte des Pentagons und des Außenministeriums“ (Washington Post vom 29.3.2024).
Und Deutschland? In die Verlegenheit, dass sich die Bundesregierung zu Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg explizit äußern muss (wie die britische Regierung), kann sie kaum kommen. Die bisherigen Verfahren gegen Waffenexporte scheinen zu zeigen: Die rechtlichen Gegebenheiten in Deutschland sind so, dass Verfahren gegen Waffenlieferungen sich schon im Vorfeld von Verfahrensfragen so verheddern, dass die Regierung nicht genötigt wird, sich in der Hauptsache zu positionieren, zur Frage nämlich des Risikos einer Begünstigung von Kriegsverbrechen durch Waffenlieferungen.
Ein anderer Unterschied kommt hinzu: Einen deutschen Amtsträger wie Mark Smith, der nicht nur ein Gewissen hat, sondern sich an diesem orientiert, scheint hierzulande ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
Dafür haben wir schließlich die Staatsräson als kollektiven Gewissen-Ersatz, um die uns die ganze Welt beneidet.
Hier der Brief v. 16.08.2024 von Mark Smith
https://x.com/HindHassanNews/status/1824509627796439188/
Mitschuld des FCDO1 an Kriegsverbrechen
Ich schreibe Ihnen an meinem letzten Tag im FCDO mit einer Nachricht, die ich nie senden wollte.
Ich trete nach einer langen Karriere im diplomatischen Dienst mit Trauer zurück, aber ich kann meine Pflichten nicht länger in dem Wissen erfüllen, dass dieses Ministerium möglicherweise an Kriegsverbrechen beteiligt ist.
Als ehemaliger Verantwortlicher für die Beurteilung von Waffenexportlizenzen in MENAD bin ich ein Experte auf dem Gebiet der Politik für den Verkauf von Waffen. An diesem Tag erleben wir eindeutige und unbestreitbare Beispiele für Kriegsverbrechen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht in Gaza, die vom Staat Israel begangen werden.
Hochrangige Mitglieder der israelischen Regierung und des Militärs haben offen genozidale Absichten geäußert, israelische Soldaten nehmen Videos auf, brennen absichtlich Zerstörungen an und plündern ziviles Eigentum und geben offen zu, Gefangene vergewaltigt und gefoltert zu haben.
Mehr als die Hälfte der Häuser in Gaza und über 80 % der Gewerbeimmobilien wurden beschädigt oder zerstört. Ganze Straßenzüge und Universitäten wurden dem Erdboden gleichgemacht. Humanitäre Hilfe wird blockiert und Zivilisten bleibt regelmäßig kein sicheres Quartier, in das sie fliehen können. Krankenwagen des Roten Halbmonds wurden angegriffen, Schulen und Krankenhäuser sind regelmäßig Ziele von Angriffen. Dies sind Kriegsverbrechen.
Es gibt keine Rechtfertigung für die fortgesetzten Waffenverkäufe Großbritanniens an Israel, und dennoch werden sie fortgesetzt. Ich habe dies auf allen Ebenen der Organisation angesprochen, auch im Rahmen einer offiziellen Whistleblowing-Untersuchung, und nichts weiter als ein „Danke, wir haben Ihre Bedenken zur Kenntnis genommen“ erhalten.
Minister behaupten, dass das Vereinigte Königreich eines der „robustesten und transparentesten“ Systeme zur Genehmigung von Waffenexporten weltweit hat, doch das ist das genaue Gegenteil der Wahrheit. Als Beamter mit uneingeschränkter Befugnis, der ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Illegalität in dieser Abteilung äußert, ist es zutiefst beunruhigend, auf diese Weise missachtet zu werden. Es ist meine Pflicht als Beamter, dies anzusprechen.
Ich bitte Sie als Beamte mit gutem Gewissen, sich den vielen Kollegen anzuschließen, die ebenfalls Bedenken zu diesem Thema geäußert haben. Das FCDO hat einige der brillantesten, fleißigsten und gutherzigsten Menschen, die ich je kennengelernt habe, und ich bin stolz darauf, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.
Ich hoffe, dass wir stolz auf unsere Geschichte zurückblicken können.
Mit freundlichen Grüßen,
Mark
1 Foreign, Commonwealth and Development Office, https://www.gov.uk/government/organisations/foreign-commonwealth-development-office