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Im Gazastreifen wird die Zahl der Christinnen und Christen auf Grund des Krieges immer kleiner. Das hat der palästinensische lutherische Pfarrer und Theologe Mitri Raheb bei einem Österreich-Besuch gesagt. Palästinensische Kirchenvertreter fühlten sich im Stich gelassen.
Pfarrer: „Wohl Letztes Kapitel von Christentum in Gaza“
Eine Delegation des „Obersten Präsidialausschusses für Kirchenangelegenheiten des Staates Palästina“ hält sich derzeit in Österreich auf, um über die verheerenden Auswirkungen des Krieges auf die palästinensische Bevölkerung zu berichten. Der Tenor: Das Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser und im Besonderen auch die immer schwierigere Situation der christlichen Minderheit kümmere den Westen kaum. Auch die Kirchen im Westen würden viel zu wenig Engagement für ihre Glaubensgeschwister im Heiligen Land zeigen.
Wien ist die erste Station der palästinensischen Delegation, wie deren Leiterin Amira Hanania sagte. Man wolle letztlich nicht um mehr oder weniger als um Gerechtigkeit und Frieden werben. Die Delegation wird auch noch in die Slowakei, nach Ungarn, Slowenien und Kroatien reisen.
Pfarrer: „Die Welt schaut weg“
Der Delegation gehört auch Pfarrer Raheb an. Die Situation in Gaza sei verheerend, die Delegation spricht von mehr als 41.000 tote Palästinenser, darunter mehr als 16.000 Kinder, 100.000 Verwundete, „und die Welt schaut weg“, so Raheb. Ein Aspekt des Dramas: „Das ist wohl das letzte Kapitel des Christentums in Gaza. “Etwa 1.200 Christinnen und Christen lebten vor dem Krieg in Gaza, fünf Prozent wurden bisher getötet, 30 Prozent konnten ausreisen. Die christliche Minderheit werde immer kleiner. Dabei sei Gaza in den ersten Jahrhunderten ein bedeutendes Zentrum des Christentums gewesen, so der Pfarrer.
Muslime und Christen gleichermaßen betroffen
Rund 50.000 einheimische Christen leben noch im Westjordanland, davon die Hälfte in und um Bethlehem, führte Raheb weiter aus. Was wenige wissen: 86 Prozent des Landes von Bethlehem stünden unter israelischer militärischer Kontrolle, die Palästinenser könnten nur über 14 Prozent verfügen. Raheb berichtete zudem von zunehmenden Überfällen jüdischer Siedler auf palästinensische Dörfer und von Vandalismus, der von Siedlern und dem israelischen Militär gleichermaßen verübt werde.
Immer neue und willkürliche Checkpoints würden es der palästinensischen Bevölkerung fast unmöglich machen, von einem Ort zum nächsten zu gelangen. So seien einige Dörfer im Westen von Bethlehem derzeit gänzlich abgeschnitten. Andere Straßen dürften nur von 9.00 bis ca. 14.00 Uhr von den Palästinensern benutzt werden, damit die jüdischen Siedler ungehindert ihre Arbeitsplätze erreichen und nach Hause zurückkehren können. Raheb: „Wir sind eingesperrt wie in einem Kaninchenstall.“ Das alles betreffe muslimische wie christliche Palästinenser gleichermaßen.
Die palästinensischen Kirchenvertreter orten eine Doppelmoral des Westens im Blick auf den Krieg im Heiligen Land. Der lutherische Geistliche Raheb formulierte es drastisch: „Die internationale Gemeinschaft lässt das palästinensische Volk im Stich. Gelten die Menschenrechte nur für weiße, blonde und blauäugige Menschen?“
Strukturelle Gewalt der Siedler
Der anglikanische Priester Fadi Diab berichtete, dass auch alle kirchlichen Einrichtungen in Gaza – Kirchen, ein Krankenhaus, die christliche Universität, eine Schule und ein Kulturzentrum – von Israel bombardiert worden seien. Zur Situation im Westjordanland sagte der Geistliche, dass es bei den Übergriffen und Überfällen der jüdischen Siedler um strukturelle Gewalt gehe und nicht nur um individuelle kriminelle Vergehen. Er sei auch selbst vor noch nicht allzu langer Zeit bei der Autofahrt zwischen zwei Orten von jüdischen Siedlern überfallen worden.
Diab: „Die Menschen hier fühlen sich einfach im Stich gelassen.“ Und: „Ohne Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben.“ Gerechtigkeit sei die Voraussetzung für Frieden im Heiligen Land.
Pater: „Verheerende“ Situation in Bethlehem“
Der aus Kroatien stammende Franziskaner Sandro Tomasevic lebt seit vielen Jahren im Heiligen Land, vor allem in Bethlehem. Die sozioökonomische Situation der Bevölkerung dort sei „verheerend“. Der Tourismus, von dem die Mehrheit der Menschen existenziell abhängig ist, sei völlig zum Erliegen gekommen. 70 christliche Familien hätten das Land bereits verlassen, so Tomasevic.
Der Ordensmann berichtete zudem von zunehmenden Übergriffen jüdischer Extremisten gegen als Christen erkennbare Geistliche in der Altstadt von Jerusalem. Diese Entwicklung habe schon längere Zeit vor dem aktuellen Krieg begonnen.
Gegen Gewalt, von wem auch immer
Pfarrer Raheb ergänzte zur Situation in Jerusalem, dass die israelische Regierung bestrebt sei, möglichst viele christliche Immobilien in der Altstadt in ihren Besitz zu bekommen. Der pluralistische Charakter Jerusalems sei in Gefahr. Einhellig appellierten alle Kirchenvertreter an die Verantwortlichen der Kirchen im Westen, auf ihre Regierung Einfluss zu nehmen. Es brauche verstärkten Druck auf Israel, damit es in einem ersten Schritt zumindest zu einem Waffenstillstand kommt. „Jeder Waffenstillstand rettet Leben“, so Raheb. Und Delegationsleiterin Hanania ergänzte: „Als Christen sind wir gegen Gewalt, von wem auch immer sie ausgeht.“
Krieg seit fast einem Jahr
Der Krieg Israels gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas dauert seit fast einem Jahr an. Radikale Hamas-Terroristen hatten am 7. Oktober 2023 einen Angriff auf die israelische Zivilbevölkerung verübt, bei dem rund 1.200 Menschen getötet, verletzt und etwa 250 verschleppt wurden. Etwa 100 israelische Geiseln befinden sich noch immer im Gazastreifen, wie viele noch leben, ist unbekannt.
Israels Krieg gegen die Hamas forderte bisher allerdings mehrere Tausend zivile Todesopfer und Verletzte. Zudem wurde fast die gesamte Infrastruktur im Gazastreifen zerstört.
Quelle: Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V. Zur Sache 18-2024