Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Freundinnen und Liebe Freunde,
Bonn/ Gaza am 15. Mai 2025
Bitte glauben Sie mir, dass es mir gar nicht gut gehen kann. Wie denn auch, solange das Morden in Gaza weitergeht!!!
- An die Staats- und Regierungschefs der Weltgemeinschaft,
- 77 Jahre Nakba
- WFP (World Food Programm)
- Josep Borrell
- Sven Kühn von Burgsdorff
- Lage heute nach Gesprächen mit unseren Familien in Gaza
An die Staats- und Regierungschefs der Weltgemeinschaft
Wir erleben keinen gewöhnlichen Krieg in Gaza – wir werden ausgelöscht. Seit mehr als 584 Tagen werden wir unter unablässigem Bombardement und einer von allen Seiten (Luft, Meer, Boden) verschärften Belagerung zerquetscht, begleitet von einem internationalen Schweigen, das grausamer ist als die Bomben selbst und amerikanischen und europäischen Waffen, die dem Besatzer geliefert werden. Mittendrin hungern und dürsten wir. Unsere Kinder sterben an Hunger, an fehlenden Medikamenten und am Entzug jeglicher Lebensgrundlagen – in Zelten und Unterkünften, die kein menschenwürdiges Leben ermöglichen.
Wir in Gaza sterben durch einen Vernichtungs- und Rachekrieg, den, Netanjahu und seine sehr rechtsradikale Regierung fortsetzen. Wie Sie wissen, kommen die Waffen, die uns am brutalsten töten und abschlachten aus Ländern, die nach wie vor dieses Töten unschuldiger Menschen unterstützen. Diese parteiische Politik gibt dem Besatzer und seiner Regierung auf allen internationalen Bühnen Rückendeckung. Diese Unterstützung ist der Grund, warum unsere Auslöschung täglich andauert. Aufgrund dieser voreingenommenen Politik haben viele Länder, die das Morden ablehnen, Angst etwas zu sagen bzw. zu unternehmen. Deshalb verhalten sich viele Staaten „neutral“ oder unterstützen heimlich den Besatzer. Sogar Freunde und manche Verbündete schweigen aus Angst, Feinde zu werden und greifen nicht ernsthaft ein, um das Gemetzel, die Auslöschung der Palästinenser zu stoppen.
Wir in Gaza wissen, dass Sie dies alles kennen. Sie haben die Massaker und Gräueltaten gesehen – und sehen sie weiter. Ohne das Schweigen und die bedingungslose militärische sowie wirtschaftliche Unterstützung bestimmter Länder wäre es nie möglich gewesen. Sie wissen, wie massiv die Hilfe ist, die von diesen Ländern seit Oktober 2023 geleistet wird. Als größte Geldgeber wurden Waffenlager im Nahen Osten eingerichtet, Kriegsschiffe, Flugzeuge, und Soldaten entsendet.
Werden Sie handeln? Werden Sie das Morden beenden, damit die Überlebenden nicht auch noch sterben? Während wir in Gaza durch Ihre Waffen getötet werden, entkommen die Mörder den internationalen Gerichten. Das ist dank einer Politik, die ihnen auf allen globalen Bühnen Schutz gewährt. Das ist weder gerecht noch fair. Wir wissen, dass wir von diesen mächtigen Ländern keine gerechte Haltung erwarten können. Doch Sie könnten die Vernichtung stoppen, indem Sie sich dafür einsetzen, dass die Waffenlieferungen eingestellt werden und internationale Gerichte die Verbrecher bestrafen.
Damit niemand ungestraft davonkommt. Wir in Gaza wissen, dass Sie in der Lage sind, diesen Vernichtungskrieg zu stoppen. Werden Sie es tun? Oder werden Sie weiterhin schweigen, ignorieren, wegschauen und die Besatzungsregierung bedingungslos weiter unterstützen, die dadurch noch mehr Macht erhält, um weiterhin ungestraft und ohne Angst vor Rechenschaft zu töten. Werden Sie es tun, den Krieg stoppen?
Nach mehr als zwei Monaten, in denen die Besatzungsmacht die Waffenruhe gebrochen hat, verschlechtert sich die Versorgungslage im Gazastreifen weiter. Die Besatzungsmacht behauptet, sich nicht an grundlegende internationale Standards gebunden zu fühlen. Trotz einiger Anzeichen eines Erwachens in der globalen humanitären Gemeinschaft, bleibt diese Reaktion äußerst langsam.
Die wachsende Frustration unter UN-Agenturen und internationalen Organisationen verstärkt zudem ihr stereotypes Image mangelnder Unabhängigkeit von internationaler Finanzierung und politischem Druck. Die seit 19 Monaten andauernde israelischer Vernichtungskrieg gegen Gaza untergräbt die humanitären, ethischen und rechtlichen Grundlagen, auf denen die internationale Ordnung seit dem Zweiten Weltkrieg beruht – und dies mit zunehmender Geschwindigkeit. Während die internationale Gemeinschaft versucht, das internationale und ethische System zu verteidigen und das kollektive Aushungern durch die Besatzungsmacht zu stoppen – ein ethisch verwerflicher Akt, der das moralische Recht der internationalen Gemeinschaft und die Werte des humanitären Völkerrechts schwächt –, beginnen Stimmen aus der internationalen humanitären Gemeinschaft zu erkennen, dass der Krieg gegen Gaza das liberale internationale System gefährdet. Die Besatzungsmacht schafft für die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebie ten unmenschliche Bedingungen, hält die Blockade des Gazastreifens aufrecht und israelische Regierungsmitglieder prahlen offen damit, den Vernichtungskrieg und das Aushungern der Menschen in Gaza fortzusetzen – ebenso wie das von Israel auferlegte System der Hilfsgüterverteilung im Gazastreifen.
Seit Beginn des Vernichtungskrieges behauptet die Besatzungsmacht, die Blockade des Gazastreifens und die Verweigerung humanitärer Hilfe, Nahrung und Treibstoff stellten keine ernsthafte Bedrohung für das Leben der Palästinenser dar – selbst nach Warnungen der UN und anderer Hilfsorganisationen vor einer akuten Hungersnot. Die Besatzungsmacht hält weiterhin an der absurden Behauptung fest, sie ermögliche die Einfuhr von Hilfsgütern und Nahrungsmitteln durch einen „neuen Mechanismus“, um zu verhindern, dass Hamas diese kontrolliert. Doch von Beginn an hat sie Hunger als Waffe eingesetzt, um die Palästinenser zu bestrafen. Das kollektive Aushungern der Bevölkerung – insbesondere von Kindern, Frauen und Älteren – ist unerträglich. Die globale Untätigkeit angesichts dieses Vernichtungskrieges und der anhaltenden Hungersnot macht die Weltgemeinschaft mitschuldig. Alle sind Komplizen, während Menschen an Hunger und Durst sterben oder für ein Stück Brot getötet werden. Ebenso mitschuldig ist das Schweigen zum Schutz von Hilfskräften, die bei der Verteilung von Nahrung – der grundlegendsten humanitären Pflicht – getötet werden. Die täglichen Mahlzeiten und Essenslieferungen sind vollständig zum Erliegen gekommen.
Nach dem 7. Oktober vertreten einflussreiche europäische Staaten zunehmend die israelische Narrative, dass alle Bewohner Gazas schuldig seien, da sie Hamas gewählt und unterstützt hätten. Es gäbe „keine Unschuldigen in Gaza“, da die Bevölkerung geschwiegen habe. Damit ist die Weltgemeinschaft mitschuldig – sie übernimmt die israelische Erzählung, dass die Menschen in Gaza sterben müssen, weil sie „komplizenhaft geschwiegen“ hätten.
Vorgestern am Dienstag, den 13 Mai 2025, fand im UN-Sicherheitsrat eine Sitzung zur Lage im Nahen Osten, zur palästinensischen Frage und zur eskalierenden humanitären Krise in Gaza statt. Tom Fletcher, UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten, kritisierte den von Israel vorgeschlagenen und von den USA unterstützten Verteilmechanismus für Hilfsgüter in Gaza scharf. Er bezeichnete ihn als „Deckmantel für weitere Gewalt und Vertreibung“ der Palästinenser in dem Kriegsgebiet – eine „reine Farce und gezielte Ablenkung“. Seit dem 2. März dieses Jahres sind keine Hilfsgüter mehr nach Gaza gelangt. Während der Sitzung gab es Widerstand von zentralen europäischen Staaten wie Frankreich und Großbritannien gegen den israelischen Mechanismus. Sie erklärten, sie würden „keine Hilfsmechanismen in Gaza unterstützen, die politische oder militärische Ziele verfolgen“. Der von Israel vorgeschlagene Verteilungsplan lässt derweil rund 130.000 Tonnen Lebensmittel an Gazas Grenzen verrotten, anstatt sie den Hungernden zukommen zu lassen. Das Einzige, was nach Gaza gelangt, ist der Tod – Bomben und Kugeln für den Streifen, während Milch für Säuglinge blockiert wird. Wasser wird verboten, Medikamente verweigert. Die Grenzen sind für das Leben geschlossen.
Dennoch steht die Welt weiterhin tatenlos daneben, während ein Volk im Stillen ausgelöscht, mit Ignoranz eingekesselt und seines grundlegendsten Rechts auf Leben beraubt wird. Die Hungersnot in Gaza untergräbt die Fundamente der internationalen Ordnung und des Völkerrechts in rasendem Tempo. Trotz einiger Anzeichen des Erwachens in der internationalen Gemeinschaft, UN-Organisationen und europäischen Staaten, verschlechtert sich die Lage weiter. Die Hungersnot breitet sich unaufhaltsam aus. Israels Selbstvertrauen speist sich aus dem Fehlen echter Konsequenzen seitens der internationalen
Gemeinschaft – es gibt keine ernsthaften Maßnahmen wie Boykotte, trotz früherer UN-Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs, des Internationalen Strafgerichtshofs und des UN-Sicherheitsrats.
77 Jahre Nakba
Das palästinensische Volk begeht den 77. Jahrestag der Nakba unter neuen Bedingungen beispielloser Unterdrückung und täglicher Massaker, verübt von der rechtsgerichteten extremistischen Netanyahu-Regierung, mit dem Ziel, den verbliebenen Teil unseres standhaften Volkes aus der Heimat zu vertreiben und die palästinensische Geschichte auszulöschen. Die Nakba war nicht nur eine dunkle Vergangenheit in unserer Geschichte oder eine schmerzhafte Erinnerung an die Zelte der Flucht, sondern sie reicht bis in die Gegenwart und hat tiefgreifende Krisen auf sozialer, existentieller und nationaler Ebene für unser gesamtes Volk hervorgebracht. Ein langer Zug von Menschen, das wenige Hab und Gut bei sich, das sie tragen können. Aus ihren Häusern getrieben, entwurzelt und entrechtet. Die Bilder damals und heute sind sich erschreckend ähnlich. Vor 77 Jahren, rund um die Staatsgründung Israels im Mai 1948, vertrieben wurden. Heute gedenken wir nicht nur der Vergangenheit, sondern ziehen Lehren, vergleichen historische Phasen: zwischen den Kapiteln der Nakba und ihrem über 30 Jahre andauernden Krieg, zwischen 77 Jahren Exil und Aufständen. In der aktuellen Phase erlebt die Bevölkerung Gazas eine neue Nakba und die Welt schaut tatenlos zu. 77 Jahre „Katastrophe“ für Palästinenser: Zum Nakba-Tag kündigt Israel Ausweitung von Gaza-Feldzug an. Anstatt das Leid zu beenden.
WFP (World Food Programm)
Hunger ist eine wahllose Waffe, die die Zivilbevölkerung und vor allem schwache Menschen trifft, Kinder, Kranke und ältere Menschen. Der Einsatz des Hungers als Kriegswaffe ist ein
Kriegsverbrechen. Das Welternährungsprogramm (WFP) teilte mit, dass Familien in Gaza hungern, und die benötigten sehr dringend Nahrungsmittel, welche an der Grenze blockiert sind. Laut aktuellen Daten zur Ernährungssicherheit, wird klar, dass wir uns in einem Wettlauf gegen die Zeit befinden, um eine Hungersnot im Gazastreifen zu verhindern. Denn wenn wir warten, bis eine Hungersnot in Gaza bestätigt ist, wird es für viele zu spät sein. Wir drängen die internationale Gemeinschaft, dringend zu handeln, um die Hilfslieferungen nach Gaza wieder aufzunehmen und um die Lebensmittel nach Gaza einzuführen, bevor es zu spät ist.
Josep Borrell
Der Spanier, nun befreit von den Zwängen seines Amtes, warf am Wochenende in einem Zeitungsinterview Israel zum wiederholten Mal einen „Genozid“ vor und urteilte: „Europa hat sich in den Augen der übrigen Welt völlig diskreditiert, weil wir gezeigt haben, dass uns das Leben der Palästinenser egal ist.“
Sven Kühn von Burgsdorff
Europa darf in Gaza nicht tatenlos zusehen. Das Versäumnis der Union, entschlossener zu handeln, hat schwerwiegende geopolitische Folgen. Die EU hat Milliarden in die Hilfe für Palästina gesteckt und sich routinemäßig für eine Zweistaatenlösung eingesetzt, während sie sich scheute, politischen Druck auf Israel auszuüben. Lage heute nach Gesprächen mit unseren Familien in Gaza Es gibt Hungersnot, das ist kein Märchen, das ist eine verdammte Tatsache. Nur an zwei Tagen in der Woche bekommen meine Neffen und Nichten Brot zu essen. Brot essen wir täglich und gehört zu jedem Essen zu. Dieses Brot besteht NICHT nur aus Mehl… Darin sind Nudeln, Linsen, Reis, Tierfutter und sehr wenig Mehl. Obst, Gemüse, Fleisch oder Käse bzw. Joghurt, das gibt es seit Monaten nicht mehr…. Ebenso gibt es weder Leitungs- noch Trinkwasser, keine Medikamente…. Was für eine verlogene Welt?
Ich schäme mich sehr, das mitansehen zu müssen und nichts dagegen tun zu können. Alle Appelle und Unterschriften haben nichts bewegt. Denn die Waren werden verderben, bevor sie den hungernden Menschen in Gaza geliefert werden. Diese Welt hat weder Werte noch Moral mehr. Es gelten Doppelstandards und die Menschen sind nicht gleich. Die Würde des Menschen ist leider antastbar.
Mit traurigen Grüßen
Abed Schokry