Hebron ist (nach Ost-Jerusalem) die zweitgrößte Stadt im Westjordanland. Mit ihren rd. 200.000 Einwohnern war und ist es auch heute noch ein wichtiges ökonomisches und kulturelles Zentrum. Hebron hat eine uralte und – wie in Palästina üblich – sehr bewegte Geschichte. Der biblischen Überlieferung zufolge liegen hier die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob sowie ihre Frauen Sara, Rebekka und Lea in der Höhle Machpela begraben. Hebron ist das älteste und ein wichtiges religiöses Heiligtum für das Judentum, das Christentum und den Islam als den drei abrahamitischen Religionen. Über der Höhle Machpela wurde – in jüngerer Zeit – zunächst eine jüdische Pilgerstätte, dann eine byzantinische Kirche, die später in eine Moschee umgewandelt wurde, die dann von den Kreuzrittern zerstört und (wieder) durch eine Kirche ersetzt wurde. Seit dem Sieg Saladins (eines Kurden) 1187 über die Kreuzritter ist die Kirche eine Moschee. Die berühmte Ibrahim Moschee gilt als die älteste religiöse Stätte, die noch regelmäßig genutzt wird.
Am 25. Februar 1994 drang Baruch Goldstein,
ein jüdischer Arzt und national-religiöser Fanatiker, mit einem automatischen Gewehr in die uralte Moschee ein. Er erschoss 29 der Betenden, verwundete 150, wurde, bevor er nachladen konnte, von den Überlebenden überwältigt und schließlich mit einem Feuerlöscher erschlagen. Das Massaker erschütterte Israel und Palästina. In Hebron breiteten sich sofort danach Unruhen aus. Die israelische Armee verhängte nur für die palästinensische Bevölkerung – aber nicht für die Siedler – eine mehrmonatige Ausgangssperre. Die Moschee wurde für sieben Monate geschlossen und eine Hälfte zu einer Synagoge umgebaut. Nur noch zwei von den ursprünglich sieben Eingängen stehen heute den muslimischen Gläubigen und Besuchern offen. Sie müssen zwei Checkpoints der Armee passieren und sich Durchsuchungen, Befragungen und häufig Demütigungen durch die Soldaten gefallen lassen.
Es ist kaum zu glauben, aber dem Massenmörder wurde in der nahen Siedlung Kirjat Arba ein Denkmal gesetzt. Spiegel-online (01.10.1999) beschrieb es so: „Goldsteins Grab könnte prächtiger, erhabener kaum sein. Es liegt am Eingang von Kirjat Arba auf einem Hügel mit weitem Blick über das biblisch steinige Land … Auf dem höchsten Punkt der Anlage ist ein Achteck gepflastert, das von steinernen Schreinen für Gebetbücher und Gedenkkerzen und einem rituellen Waschplatz gesäumt wird. Darin eingelassen ein Marmorblock mit einer Grabplatte, die Inschrift in alttestamentarischem Hebräisch: ‚Hier liegt Doktor Baruch Kappel Goldstein, ein Heiliger. Ohne Fehl und mit reinem Herzen opferte er sich für sein Volk, die Thora und das Land Israel. Möge Gott diesen Gerechten segnen, sein Blut rächen, seiner Seele ewige Ruhe geben.'“ Das Denkmal ist in der israelischen Gesellschaft umstritten; es wurde einmal von der Armee abgerissen und einmal wieder aufgebaut. Der Goldstein-Kult, vor allem unter den national-religiösen Siedlern in Kirjat Arba, ist ungebrochen und dauert bis heute an.
In Hebron haben sich an die 500 besonders radikale Siedler in vier kleineren Siedlungen mitten in der Altstadt
in verschiedenen Häusern festgesetzt; 7000 Isarelis wohnen in der großen Siedlung Kirjat Arba. Das israelische Militär hat in der Stadt ein komplexes System der Überwachung und Kontrolle über alle Bewegungen der Bewohner errichtet, welches sich laufend ändert. Das „H-1“-Gebiet steht unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde, das „H-2“-Gebiet unter Kontrolle der Armee. Über die gesamte Stadt, besonders über die Altstadt, ist ein Netz von Checkpoints, Beobachtungstürmen, Straßen- und Durchgangssperren gelegt. Einige Viertel können nur von ihren Bewohnern betreten werden, die sich mit den ihnen zugeteilten Nummern an den Checkpoints, wo sie durchsucht, befragt und oft schikaniert werden, ausweisen müssen.
Die Shuhada-Straße,
einst eine lange und lebendige Geschäftsstraße, ist heute tot, eine Geisterstraße. Die Geschäfte sind geschlossen und die Engänge und Schaufenster zugeschweißt. Jeden Tag müssen ihre Bewohner an den Checkpoints warten, was Stunden dauern kann, bis sie von den Soldaten und Soldatinnen durchgelassen werden. Auf Kinder, Alte und Kranke wird keine Rücksicht genommen. Es kann Stunden dauern, bis in einem Notfall ein Rettungswagen durchgelassen wird. In einer Straße in der Altstadt kommen die Schikanen auch von den oberen Stockwerken einiger Häuser, die jetzt von jüdischen Siedlern bewohnt werden. „Die Siedler werfen heißes Öl, Urin, Stühle, Sofas, Müll oder was immer sich durch die Fenster werfen lässt, hinunter. Und die Soldaten beobachten dieses Treiben von ihren Wachttürmen und mit ihren Kameras. Zum Schutz der Ladeninhaber und ihrer Kunden musste eine Konstruktion aus Drahtnetzen errichtet werden.“ (Ausstellungsbroschüre „Ghost Town, Hebron“, S. 37)
Seit der Besetzung der ersten Wohnungen und Häuser durch israelische radikale Siedler in Hebron sind Gewalttätigkeiten aller Art an der Tagesordnung: „Beschimpfungen, Prügeleien, das Werfen mit Steinen und mit Müll, das Vergiften von Brunnen, der Versuch, Bewohner mit Autos anzufahren, Schüsse aus Gewehren, Zerstörung von Eigentum, Behinderungen bei der Ernte, das Ausreißen oder Verbrennen von Olivenbäumen … Viele Attacken werden von Minderjährigen ausgeführt.“ (Ausstellungsbroschüre „Ghost Town, Hebron“, S. 32) Schikane und Erniedrigungen der unterschiedlichsten Art werden auch von Soldaten und der Polizei an den Checkpoints oder sonstwo bei Personenkontrollen ausgeübt.
(Hebron im März 2014)
Die Altstadt von Hebron
ist heute eine Geisterstadt. Die Fotos und die Filme, die in der Ausstellung gezeigt werden, können nur einen blassen Eindruck dessen vermitteln, was für die Bewohner ihr quälender und schikanöser Alltag geworden ist. Wer als Besucher hier durchgeführt wird, wie der Schreiber dieses Berichtes, ist schockiert. Der Schock ist nachhaltig. In Hebron zeigt die israelische Besatzung ihre hässlichste Fratze.
„Youth Against Settlements“
wurde 2008 in Hebron gegründet. Die Gruppe hat sich der Gewaltlosigkeit verschrieben, Sie organisiert Aktionen des zivilen Ungehorsams und direkte Hilfen für die Bewohner. Ihr jüngster Erfolg ist die Errichtung eines Kindergartens in einem alten wieder hergerichteten Haus für 27 Kinder. Das Ziel der Gruppe ist es, die Bewohner zu ermutigen, Widerstand zu leisten, dem Druck durch die Besatzung nicht nachzugeben und zu bleiben. Ein wichtiges Ereignis ist die jährlich stattfindende „Open Shuhada-Street Campaign“. Das „Somod-Center“ mitten im H-2-Gebiet ist zu einem beliebten Treffpunkt mit vielen Aktivitäten des zivilen Widerstands geworden. Dazu gehören Aktivitäten für Kinder, Sprachkurse für englisch und hebräisch, Rechtskunde, soziale Medien, Kurse für Fotografie und Video und natürlich „social events“.
„Youth Against Settlements“ hat für den Februar 2016 eine Wanderausstellung organisiert, die am 15. Februar ihre Premiere im Gemeindezentrum St. Pauli in Bremen-Neustadt hatte. Die nächsten Orte sind Berlin (17. – 18.02. und 24. – 28.02.), Jena (19. – 20.02.), Schneeberg im Erzgebirge (22. – 23.02) und im Wendland (29.02.) Die Ausstellung heißt „Ghost Town, Hebron“. Sie wurde von YAS, der Hochschule für Design in Karlsruhe und von Fee Schreier (die „Kurve“ in Wustrow) entwickelt und will einen Eindruck vom Leben unter der Besatzung mit fast lebensgroßen Fotos und von den Jugendlichen selbst produzierten Videos auf zwei großen Bildschirmen vermitteln. Die ausgestellten Materialien stammen von jungen Hebroner AktivistInnen, die teilweise zum ersten Mal mit professionellen Film- und Fotokameras arbeiteten. Die Ausstellung ist Teil der „SpeAction Tour“ von YAS, die ihrerseits Teil der Open Shuhada Street Kampagne ist.
Murad Amro und Jawal Abuaishah
waren die beiden jungen Palästinenser aus Hebron, die anlässlich der Eröffnung der Ausstellung am 15. Februar ihre Präsentation zeigten und von ihrem Leben und ihren Aktivitäten erzählten. Ihre Argumentation war sehr einfach und sehr eindringlich: sie konfrontierten ihre Lebensrealität mit den wichtigsten Artikeln aus der Menschenrechtskonvention (verabschiedet von der UNO am 10.12.1948) und mit Auszügen aus dem Besatzungsrecht für Sieger. Diese Grundsätze des internationalen Rechts würden für alle Menschen gelten, warum also nicht auch für die Menschen in den von Israel besetzten Gebieten?
In der Schule am Leibnitzplatz
war am Vormittag ein Treffen mit dem Leistungskurs Geschichte der 12. Klasse organisiert worden. Einige Kontakte zur Schule gab es schon vorher; denn einige Schülerinnen und Schüler hatten die YAS schon im letzten Jahr hier getroffen und waren zu einem Schüleraustausch in Haifa gewesen. Die Schüler und Schülerinnen sahen sich zuerst die Ausstellung an und machten sich dann an ein Rollenspiel. So schlüpften sie in die Rollen von israelischen Soldaten, Polizisten, Siedlern und palästinensischen Bewohnern, so wie sie sich in verschiedenen Situationen an den Checkpoints begegnen. Auch hier war die Premiere in Bremen, denn das Rollenspiel soll auch an den anderen Orten der Wanderausstellung stattfinden. Ausgedacht und die Rollen entwickelt hatte Thimna Bunte. Wie sie erzählte, wurde von den Schülerinnen und Schülern begeistert mitgespielt. Sie hätten auf diese Art auch emotional empfinden, was es heißt, heute in Hebron zu leben. Thimna arbeitet seit fünf Jahren in Bethlehem als Friedensfachkraft, hat die Ausstellung mit organisiert und sich um Vorträge, Schulworkshops und Lobby-Besuche bei der Politik und Diplomatie gekümmert. Finanziert wird die Ausstellung von der „Heinrich-Böll-Stiftung in Palästina und Jordanien“ und von der „Kurve“ in Wustrow im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) und des Projektes „Gewaltfreie Initiativen Stärken“.
In Bremen wurde die Ausstellung und die Veranstaltungen unterstützt von: AK Nahost Bremen, biz Bremen, Bremer Friedensforum, Deutsch-Palästinensische Gesellschaft Bremen, Ecumenical Accompaniment Programme for Palstine and Israel (EAPPI), Human Rights Group of Kurve Wustrow, ICAHD Gruppe Bremen, Nahost-Forum Bremen, Palstinian Missio Berlin, Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin und Scales for Justice.
Die Gäste aus Hebron waren in der Jugenbildungsstätte „LidiceHaus“ untergebracht und wurden von Anette Klasing betreut, die auch die Moderation an diesem Abend übernommen hatte. Leider – so ist zum Schluss anzumerken – haben die Bremer Medien von diesem Abend im Gemeindezentrum St. Pauli fast keine Notiz genommen; entsprechen gering war die Besucherzahl.
Heinz Bocher