»Losgelöst von allen Wurzeln …«, eine Dokumentation der Auftritte von Esther Bejarano und Moshe Zuckermann

Die politischen Zionisten behaften den Diaspora-Juden seit jeher mit allerlei Schmähungen. »Schwach« und »unproduktiv« sei er − ein »Nervenjude«. Laut zionistischer Ideologie habe dieser seine Existenzberechtigung nur noch als zu überwindender Gegensatz zum propagierten »Muskeljuden« (Max Nordau), erklärt Moshe Zuckermann. Dabei sei »es gerade das hybride Milieu der Diaspora, das es dem Judentum ermöglichte, besondere Produktivität zu entfalten«, meint der israelische Historiker und verweist auf Heinrich Heine, Karl Marx, Theodor W. Adorno.

Die Verteidigung der von diesen »nervösen Juden« repräsentierten kritisch-humanistischen Denktradition war das zentrale Anliegen der »Wanderung zwischen den jüdischen Welten«, die Zuckermann zusammen mit Esther Bejarano auf Einladung der Kulturzeitschrift Melodie und Rhythmus und der jW im vergangenen Oktober unternahm. Moderiert von dem Schauspieler Rolf Becker sprachen das ehemalige Mitglied des Mädchenorchesters von Auschwitz und der Sohn von Holocaust-Überlebenden unter dem Titel »Losgelöst von allen Wurzeln …« (ein Zitat aus Stefan Zweigs »Die Welt von Gestern«) über ihre Erfahrungen als Juden im Land der Täter und ihr kritisches Verhältnis zum zionistischen Staat. Von ihren gemeinsamen Auftritten in Berlin und Hamburg wurde eine Dokumentation gedreht, die morgen abend in der jW-Ladengalerie vorgestellt wird – in Anwesenheit von Rolf Becker.

Das nationalistische »neue Judentum«, eine Antwort auf den modernen Antisemitismus, habe sich im Laufe des nunmehr 50jährigen Okkupationsregimes in den besetzten Gebieten in Form von Militarismus und einer Politik der Gewalt tief in die Gesellschaft Israels »eingefräst« − eines Landes, das sich sukzessive faschisiere und gegenüber den Palästinensern zum »Apartheidstaat« entwickele, so Zuckermann. Für die Holocaust-Überlebenden sei es nie der Heimathafen gewesen, als der es staatsoffiziell dargestellt wird: »Sie wollten uns dort gar nicht haben«, berichtet Bejarano, die 15 Jahre in Israel gewohnt hat und wie viele Überlebende dem willkürlichen Verdacht der Nazikollaboration ausgesetzt war. »Man hat uns vorgeworfen, dass wir überlebt haben.«

Wegen der israelischen Angriffskriege und Unterdrückung der Palästinenser ging sie mit ihrer Familie 1960 schweren Herzens zurück nach Deutschland, das, wie sie betont, so lange nicht ihre Heimat sein werde, wie Nazis dort weitgehend ungehindert agieren können. Als »Unheimat«, wenngleich eine »vertraute« − er hat hier von 1960 bis 1970 gelebt –, betrachtet auch Moshe Zuckermann die BRD mit ihren stets verleugneten NS-Kontinuitäten. »Aber in der Tat, wo soll ich hin?« brachte Rolf Becker die existentielle Frage der von seinen beiden Freunden vertretenen jüdischen Generationen mit einem Heine-Zitat auf den Punkt.

Dass sich ausgerechnet in der Linken des Täterlandes fanatische Unterstützer der Regierungspolitik Israels unter dem Label »antideutsch« formieren konnten, analysierte das Trio als ein Phänomen des nach Niedergang des Realsozialismus einsetzenden Rechtstrends. Sie operierten mit sich aus antijüdischen Ressentiments speisenden Abstraktionen von Juden (die sich etwa in der Gleichsetzung von Judentum mit Zionismus äußern) als »neue Identitäts-Projektionsfläche«, so Zuckermann − nicht selten auch mit deutscher Schuldumkehrung verwandter Demagogie. Jüdische Linke werden regelmäßig zur Zielscheibe von Hasskampagnen: »Es ist eine Sauerei überhaupt«, meint Esther Bejarano, »wenn wir, ehemalige Verfolgte des Naziregimes, bezichtigt werden, ›Antisemiten‹ zu sein.« Die ebenfalls von Antideutschen praktizierte Verleumdung von Kommunisten als »Nationalsozialisten« liege ganz auf der Linie der deutschen Regierung, ergänzt Rolf Becker − eine Feststellung, die bewusst macht: Die als »antideutsch« camouflierte deutsche Wut tobt vor allem gegen den einst doppelt verfemten diaspora-jüdischen Marxismus, wie ihn etwa Walter Benjamin verkörpert hatte. Wäre der Philosoph heute noch am Leben, würde er von »israelsolidarischen« Täterenkeln wegen seiner radikal emanzipativen Vorstellung von den Verdammten dieser Erde als rettender Messias der gesamten Menschheit und wegen seiner Zionismus-Kritik (er bescheinigte dem »National-­Jüdischen« einen Hang zur »Rassenideologie«) als »Nazi« beschimpft werden.
Von Susann Witt-Stahl

Filmpremiere von »Losgelöst von allen Wurzeln …« morgen in der jW-Ladengalerie, Torstraße 6, Berlin um 19 Uhr. Die DVD kann für 9,90 ­Euro im jW-Shop bestellt werden.

Quelle (mit freundlicher Genehmigung): junge Welt v. 01.02.2017

 
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