Erstmals seit dem verhängnisvollen Bruch zwischen den beiden großen Palästinenserorganisationen von Fatah und Hamas gibt es eine neue Einheitsregierung. Präsident Mahmud Abbas vereidigte – nach langen und mühevollen Verhandlungen – am 2. Juni 2014 ein Expertenkabinett unter Führung des bisherigen Ministerpräsidenten Rami Hamdallah. Vier Minister aus dem Gaza-Streifen konnten nicht teilnehmen, da Israel ihnen die Reise nach Ramallah verweigert hatte. Die Hamas-Regierung erklärte noch am gleichen Tag ihren Rücktritt. Die neue Regierung ist eine Kompromisslösung der palästinensischen Organisation und deshalb eine reine Expertenregierung, der kein Mitglied der Hamas angehört. Sie soll die längst überfälligen allgemeinen Wahl vorbereiten.
Die Regierungsbildung ist allgemein als ein wichtiger Schritt in Richtung Verständigung begrüßt worden, sogar von der Regierung der USA, die aber eine formelle Anerkennung von der konkreten Politik der neuen Regierung abhängig machen will. Die israelische Regierung reagierte dagegen sofort und kompromisslos ablehnend. Sie rief dazu auf, die neue Regierung nicht anzuerkennen. „Die Hamas ist eine Terrororganisation, die zur Zerstörung von Israel aufruft“, sagte Netanyahu. Eine Zusammenarbeit „wird nicht den Frieden stärken sondern den Terror.“ (Die Welt online v. 03.06.14)
„Die Welt“, das Springer-Flaggschiff und dem rechten publizistischen Spektrum in Deutschland zugeordnet, kommentierte die kompromisslose Haltung der israelischen Regierung mit einer deutlichen Warnung: „Der israelische Feldzug gegen die Legitimität der neuen Palästinenserregierung könnte … schnell zum Kampf gegen Windmühlen werden.“
Kommentar im Bremer Weserkurier
Regelrecht hasserfüllt, herablassend, feindselig und ignorant reagierte der (produzierende) Chefredakteur des Bremer Weserkuriers Daniel Killy. Er kommentierte (Weserkurier v. 03.06.14) die Einigung von Fatah und Hamas und die Bildung der neuen Einheitsregierung so: „Mit der Bildung der sogenannten Einheitsregierung der Palästinenser im sogenannten Westjordanland hat die sogenannte Nahostpolitik der EU und Vereinigten Staaten ihren Offenbarungseid geleistet. Ohne Widerstand des sonst so wertetreuen Westens wurde zugelassen, dass die Terrororganisation Hamas – als solche gilt sie offiziell in der EU und den USA – eine allpalästinensische Regierung mitträgt… Wieder einmal wird Israel vom Westen im Stich gelassen… Kein Wunder, dass Israel im Kampf gegen den Terror nur auf sich selbst vertraut.“
In der israelischen Öffentlichkeit
In der israelischen Öffentlichkeit, jedenfalls in ihrem nicht religiös-nationalistischen Teil, wird die Bildung der neuen palästinensischen Regierung begrüßt. Barak Ravid, der bekannte Kommentator der „Haaretz“ (v. 3. Juni 2014), äußerte sich ebenso bitter wie ironisch über die schroffen Kommentare „seiner“ Regierung: „Wir müssen feststellen, dass die Macho-Erklärungen, die vom israelischen Kabinett abgegeben wurden, wohl weniger mit einer Verkennung der Realität oder mit Illusionen zu tun haben. Auch nicht damit, dass das andauernden ‚Nein‘ irgendwie das internationale Image Israels verbessern könnten. Hoffnungsvoll können wir auch festhalten, dass die israelische Regierung es offenbar nötig hat, zur eigenen Beruhigung im Dunklen auf dem Friedhof laut zu pfeifen. Es bleibt uns nur die Feststellung, dass die Äußerungen der starken Männer“ der Regierung (tough-guy-pronouncements) sich gezielt an zwei Gruppen richten: an die öffentliche Meinung in Israel und an die republikanischen Abgeordneten in Washington.“ (Haaretz v. 03.06.14)
Presseerklärung von Gush Shalom (Adam Keller)
Abschließend sei die Presseerklärung von Gush Shalom, der ältesten und wichtigsten Friedensorganisation in Israel, vollständig wiedergegeben.
„Gush Shalom gratuliert dem Palästinensischen Volk und seinen Führern zu der Einigung, mit der sie die in der Vergangenheit überaus verhängnisvolle Spaltung überwinden. Unsere Glückwünsche richten sich an die Palästinenser, aber genauso auch an Israel. Die neue palästinensiche Regierung kann und sollte ein Partner in den Friedensverhandlungen mit Israel sein.
Dass die Hamas in die Regierungsbildung einbezogen wurde, ist kein Grund für Israel, jetzt den Boykott auszurufen und in die Konfrontation zu gehen. Im Gegenteil: die Einigung ist ein Segen. Jetzt bietet sich für Israel die Chance, zu verhandeln und eine Übereinkunft mit den Repräsentanten der Palästinensern, die jetzt alle wichtigen Organisationen in der Westbank und im Gaza-Streifen vertreten, zu erreichen. Ein solches Abkommen, wenn es denn zustande kommt, hätte eine solide Grundlage und könnte wahrscheinlich mit der Zustimmung einer großen Mehrheit der Palästinenser rechnen.
Dass jetzt Premierminister Netanyahu die neue Regierungsbildung mit starken Worten verurteilt, ist pure Heuchelei. Es war schließlich Netanyahu selber, der Verhandlungen mit der Hamas, vermittelt durch Ägypten, geführt hat und der mindestens zwei Abkommen mit der Hamas zugestimmt hat: im Jahre 2011 dem sogenannten „Shalit Deal“, der zum Austausch von Gefangenen führte und 2012 dem Waffenstillstandsabkommen im Gazastreifen.
Diese Abkommen, die mit der Hamas abgeschlossen wurden, könnten und sollten das Vorspiel für ein zukünftiges Friedensabkommen mit der neuen Regierung der Palästinenser, das jetzt erreichbar wird.
Dass Netanyahu jetzt dermaßen gegen ein Abkommen mit den Palästinensern opponiert, zeigt, dass er gar nicht verhandel will. Er will nicht über ein Ende der Besatzung und auch nicht über einen Rückzug der Armee aus der Westbank reden. Netanyahu war damals nicht dazu bereit, als er mit der alten von der Fatah gebildeten Regierung verhandelte, und er ist es jetzt auch nicht. Über einen Frieden wird nicht verhandelt, egal mit welcher palästinensischen Regierung.“
Sönke Hundt (Übersetzungen v. Verfasser)