Entführte israelische Teenager müssen freigelassen werden; Israel muss kollektive Bestrafung von Palästinensern einstellen

14-06-21 attacAmnesty International fordert die unverzügliche und bedingungslose Freilassung der drei israelischen Jugendlichen, die am Abend des 12. Juni 2014 in der Westbank entführt wurden. Außerdem verlangt Amnesty International von den israelischen Behörden, dass sie alle Maßnahmen einstellen, die seit der Entführung gegen die palästinensische Bevölkerung in der Westbank und anderswo verhängt wurden und auf eine kollektive Bestrafung hinauslaufen.

Amnesty International fordert die unverzügliche und bedingungslose Freilassung der drei israelischen Jugendlichen, die am Abend des 12. Juni 2014 in der Westbank entführt wurden. Außerdem verlangt Amnesty International von den israelischen Behörden, dass sie alle Maßnahmen einstellen, die seit der Entführung gegen die palästinensische Bevölkerung in der Westbank und anderswo verhängt wurden und auf eine kollektive Bestrafung hinauslaufen.

Der 19-jährige Eyal Yifrah, der 16-jährige Gilad Sha’er und der ebenfalls 16-jährige Naftali Frenkel sind alle drei Yeshiva-Schüler (Schüler religiöser jüdischer Thora-Schulen) in israelischen Siedlungen in der besetzten Westbank. Sie wurden zuletzt gesehen am 12. Juni 2014 im Siedlungsblock Gush Etzion, der zwischen den Städten Bethlehem und Hebron in der südlichen Westbank liegt. Berichten zufolge hatte einer der drei am 12. Juni gegen 22:25 Uhr abends die israelische Polizei angerufen und gesagt: „Wir sind entführt worden“, bevor jeder Kontakt zu den Teenagern abriss.
Seit dem Morgen des 15. Juni 2014 behaupten der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu und andere hochrangige israelische Offizielle, dass Mitglieder der Hamas für die Entführung verantwortlich seien. Konkrete Beweise dafür haben sie nicht beigebracht. Stattdessen wurde betont, dass der militärische Flügel der Hamas auch in der Vergangenheit schon für Entführungen verantwortlich war. Der Sprecher der Hamas, Sami Abu Zuhri, bestritt noch am gleichen Tag jede Beteiligung, wenn auch andere Offizielle der Organisation und Sprecher und Mitglieder anderer palästinensischer Faktionen Berichten zufolge ihre Unterstützung für die Entführung hatten verlauten lassen.

Es wurden mindestens drei verschiedene Stellungnahmen abgegeben, in denen unterschiedliche Gruppen die Verantwortung für die Entführung der Jugendlichen übernahmen. In einer dieser Stellungnahmen hieß es, dass die Entführung mit der Gruppierung für einen islamischen Staat im Irak und al-Sham in Verbindung stehe; eine weitere Gruppe nannte sich in ihrer Erklärung Ahrar al-Khalil, und in der dritten Stellungnahme wurde behauptet, dass es sich um die al-Aqsa Märtyrer-Brigaden handele. Diese letzte Stellungnahme ist Berichten zufolge später bestritten worden. Es ist völlig unklar, ob auch nur eines dieser Bekennerschreiben überhaupt glaubhaft ist.
Nach internationalem humanitärem Völkerrecht sind Entführungen von Zivilisten und Geiselnahmen zu allen Zeiten verboten, wobei es keine Rolle spielt, ob diese von staatlichen Truppen oder von nichtstaatlichen bewaffneten Akteuren ausgeführt werden.
Amnesty International hat die Errichtung israelischer Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten wiederholt als Verstöße gegen die Vierte Genfer Konvention verurteilt. Der unrechtmäßige Status israelischer Siedlungen wirkt sich jedoch nicht auf den zivilen Status derjenigen aus, die dort leben, arbeiten oder zur Schule gehen. Diese Personen verlieren ihren Status nur dann und nur für den begrenzten Zeitraum, wo sie sich selbst direkt an Kampfhandlungen beteiligen. Bei den drei am 12. Juni entführten Teenagern handelt es sich folglich eindeutig um Zivilisten.

Amnesty International fordert diejenigen, die die Jugendlichen festhalten, auf, sie sofort und bedingungslos freizulassen. Bis zu ihrer Freilassung müssen die Verantwortlichen die Teenager menschlich behandeln und dafür Sorge tragen, dass sie in keiner Weise misshandelt werden, dass sie ihre Familien kontaktieren können und dass ihr Zugang zur jeder gegebenenfalls notwendigen medizinischen Behandlung gesichert ist.
Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat die menschenwürdige Behandlung und die sofortige und bedingungslose Freilassung der Jugendlichen gefordert und angeboten, als neutraler Vermittler aufzutreten.

In den Tagen seit der Entführung der Jugendlichen hat die israelische Armee rund 200 Palästinenser aus der gesamten Westbank verhaftet. Viele dieser Festnahmen fanden in der Region um Hebron statt, wo israelische Truppen in vielen Gegenden Razzien durchführten und Haus für Haus durchsuchten. Berichten zufolge sind die meisten Verhafteten der Hamas zuzuordnen. Mindestens sieben von ihnen sind Mitglieder des PLC, des Palästinensischen Legislativrates, darunter auch Aziz Dweik, der Sprecher des Rates und andere hochrangige Hamas-Politiker. Einige der Verhafteten einschließlich Aziz Dweik waren schon früher ohne Anklage oder Gerichtsverfahren als Administrativhäftlinge von den israelischen Behörden festgehalten worden.
Amnesty International hat die Praxis der Administrativhaft schon mehrfach verurteilt und die israelischen Behörden dringend aufgefordert, die betroffenen Gefangen freizulassen, so sie nicht unverzüglich wegen international anerkannter krimineller Vergehen unter Anklage gestellt werden. Angaben der palästinensischen NGO für Menschenrechte Addameer zufolge befinden sich einschließlich der in den letzten Tagen verhafteten Personen jetzt 18 palästinensische Parlamentarier in Haftanstalten in Israel. Zehn von ihnen werden als Administrativhäftlinge festgehalten, darunter zwei, die jetzt seit dem 12. Juni 2014 im Gefängnis sind: Hassan Yousef und Muhammed Totah. Nach jüngsten Berichten haben israelische Militärgerichte seit dem 12. Juni noch 16 weitere Administrativhaftanordnungen gegen Palästinenser erlassen.

Amnesty International fordert die israelischen Behörden auf, sicherzustellen, dass allen verhafteten Personen der sofortige Zugang zu Rechtsanwälten und der Kontakt zu ihren Familien erlaubt wird. Sie dürfen keiner Art von Folter oder anderen Misshandlungen unterzogen werden und müssen entweder sofort wegen international anerkannter krimineller Vergehen angeklagt oder aber freigelassen werden. Aufgrund der fehlenden Gründe zur Untermauerung der Behauptung der israelischen Behörden, dass die Hamas oder ihre Verbündeten für die Entführungen verantwortlich seien, betrachtet Amnesty International die Festnahme einzelner Personen im Zusammenhang mit den aktuellen Entführungen allein aufgrund ihrer mutmaßlichen Verbindungen mit der Hamas-Bewegung als willkürlich und als einen Verstoß gegen die Vorgaben des internationalen humanitären Völkerrechts.

Im Verlauf einer Verhaftungsrazzia im Flüchtlingslager Jalazun in den Morgenstunden des 16. Juni 2014, die vermutlich im Rahmen der israelischen Operation zur Reaktion auf die Entführungen stattgefunden hat, ist der 20-jährige Palästinenser Ahmad al-Sabareen von israelischen Soldaten getötet worden. Wie berichtet wurde, war Ahmad al-Sabareen vor knapp zwei Wochen erst aus israelischer Haft entlassen worden. Einsätze exzessiver Gewalt vonseiten israelischer Truppen gegen Jugendliche in diesem Flüchtlingslager und in dessen Umfeld hat Amnesty International schon früher dokumentiert. Dabei wurde unter anderem der 15-jährige Wajih al-Ramahi am 9. Dezember 2013 von einem israelischen Soldaten in den Rücken geschossen. Bei den israelischen Verhaftungsoperationen der letzten Tage sind etliche weitere Palästinenser verletzt worden; einige von ihnen noch Kinder. Außerdem wurde der 17-jährige Yazan Ya’qoub am Montagabend nahe des Kontrollpunktes Qalandia von israelischen Soldaten lebensbedrohlich verletzt, als palästinensische Jugendliche in Richtung des Checkpoints marschierten, um gegen die Tötung von Ahmad al-Sabareen zu protestieren.
Seit der Entführung haben israelische Behörden eine Anzahl zusätzlicher Maßnahmen verhängt, die eindeutig als kollektive Bestrafung aller Palästinenser in den besetzten palästinensischen Gebieten zu verstehen sind. Dazu zählen die Verhängung einer vollständigen Abriegelung des Distriktes Hebron in der Westbank, der rund 750.000 Palästinenser daran hindert, sich frei zwischen ihren Dörfern und der Stadt Hebron sowie innerhalb der Stadt zu bewegen. Tausende Einwohner des Hebroner Distrikts, die über eine Genehmigung verfügen, in Israel oder in israelischen Siedlungen zu arbeiten, können ihre Arbeitsplätze nicht erreichen. Bewohnern des Kreises Hebron, die noch keine 50 Jahre als sind, ist es außerdem nicht gestattet, die Westbank über den Grenzübergang an der Allenby-Brücke in Richtung Jordanien zu verlassen. Die israelischen Gefängnisbehörden haben die Familienbesuche für palästinensische Strafgefangene und Häftlinge gestrichen. Über 100 palästinensische Administrativhäftlinge befinden sich seit mehr als 50 Tagen im Hungerstreik, um gegen Israels fortlaufende Anwendung des Administrativhaftverfahrens zu protestieren.
Ihre Leben sind in Gefahr, und der Kontakt zwischen ihnen und ihren Familienangehörigen ist in dieser Zeit für alle Betroffenen besonders wichtig.
Die israelischen Behörden erwägen zudem, offizielle Vertreter der Hamas oder Gefangene, die Einwohner des Westbank sind, in den Gazastreifen zu bringen. Die Vierte Genfer Konvention verbietet es einer Besatzungsmacht ausdrücklich, Personen aus einem besetzten Gebiet zwangsweise an einen anderen Ort zu transferieren oder zu deportieren.

Darüber hinaus haben die israelischen Behörden den Grenzübergang Erez geschlossen. Ausgenommen hiervon sind nur Patienten, die einer dringenden medizinischen Behandlung bedürfen. Für die begrenzten Kategorien von Personen, die über die Erlaubnis verfügen, diesen Übergang zu nutzen, ist Erez der einzige Weg für den Personenverkehr zwischen dem Gazastreifen und Israel. Kerem Shalom, der einzige Eingangsort für Waren in den Gazastreifen, ist bis auf die Einfuhr begrenzter Mengen an Treibstoff ebenfalls geschlossen.

Diese jüngsten Maßnahmen der kollektiven Bestrafung kommen zu den vielen, seit langem bestehenden Strafmaßnahmen, die von den israelischen Behörden gegen palästinensische Zivilisten verhängt wurden, noch hinzu. Dazu zählt auch die siebenjährige Blockade des Gazastreifens, die von Amnesty International und zahlreichen anderen Organisationen wiederholt als offenkundiger Verstoß gegen die Vierte Genfer Konvention verurteilt worden ist.

Die Anwendung kollektiver Bestrafungen kann durch keinen wie auch immer gearteten Grund gerechtfertigt werden, auch nicht durch Verstöße vonseiten einer anderen Partei. Über die letzten Tage haben bewaffnete palästinensische Gruppen wieder ungelenkte Raketen aus dem Gazastreifen nach Israel abgefeuert. Es sind jedoch keine Verletzten gemeldet worden. Amnesty International hat das Abfeuern dieser Raketen schon mehrfach als Kriegsverbrechen verurteilt. Diese Raketenattacken können aber die weiteren Maßnahmen zur kollektiven Bestrafung der 1,7 Millionen Palästinenser im Gazastreifen in keiner Weise rechtfertigen. Darüber hinaus ist Israel verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass alle etwaigen Militäroperationen im Gazastreifen oder anderswo mit den Vorgaben des internationalen humanitären Völkerrechts übereinstimmen. Letztere verlangen, dass alle gangbaren Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um zivile Opfer zu vermeiden. Allein in den letzten Tagen starb am Sonntag der 10-jährige Ali al-‘Awour an den Verletzungen, die er am 11. Juni bei einem israelischen Raketenschlag erlitten hatte. Durch israelische Luftangriffe im Gazastreifen sind in den letzten Tagen noch mehrere weitere palästinensische Zivilisten verletzt worden.

Amnesty International fordert die israelischen Behörden dringend auf, alle Maßnahmen, die eine kollektive Bestrafung von Zivilisten darstellen, unverzüglich aufzuheben, und zwar sowohl jene, die bereits seit längerer Zeit bestehen, als auch die spezifischen Maßnahmen, die erst seit dem 12. Juni 2014 verhängt wurden. Kollektive Bestrafungen von Zivilisten sind sowohl durch die Vierte Genfer Konvention als auch anhand des internationalen humanitären Völkergewohnheitsrechtes untersagt.

Verbindlich ist das englische Original: Abducted Israeli teens must be released, Israel must cease collective punishment of Palestinians.
http://www.amnesty-koeln-gruppe2415.de/gruppe/index.php/Main/20140619001

urgent action

http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-152-2014/hungerstreikender-gefahr?destination=node%2F2939

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert