„Wer Hitler abschütteln will, muss heute die Palästinenser verteidigen“, hat der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser geschrieben, der als Jude im „Dritten Reich“ emigrieren musste. Mit diesem Satz hat er die ganze unheilvolle Beziehung zwischen Deutschland, Israel und den Palästinensern geschildert. Deutschland hat unter Berufung auf die Verbrechen der Nazis an den Juden den Staat Israel von Anfang an rückhaltlos unterstützt – politisch, wirtschaftlich und militärisch und tut das auch heute noch. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist das deutsche „Staaträson“. Israel konnte sich aber als Staat nur etablieren, weil sein Siedlerkolonialismus ein anderes Volk – die Palästinenser – aus ihrer Heimat vertrieb, ihr Land raubte und ihre Gesellschaft und Kultur zerstörte. Dieser Prozess dauert bis heute an und macht eine Friedenslösung im Nahen Osten unmöglich. Durch den bedingungslosen Beistand, den Deutschland für Israel leistet, unterstützt es die aggressive und völkerrechtswidrige Expansions- und Besatzungspolitik dieses Staates. Es ist damit an der Unterdrückung der Palästinenser direkt beteiligt. Da diese Politik Israels aber ohne Zukunftsperspektive ist und seine eigene Existenz gefährdet, droht Deutschland sich ein weiteres Mal an den Juden schuldig zu machen. Dieses Buch zeigt auf, warum eine andere Nahost-Politik unbedingt nötig ist.
Arn Strohmeyer: Das verhängnisvolle Dreieck. Deutschland, Israel und die Palästinenser, Gabriele Schäfer Verlag Herne, ISBN 978-3-944487-14-4, 19,50 Euro (www.gabrieleschaeferverlag.de)
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18. September 2014
Apartheid als Staatsräson
Wie der Philosemitismus die Menschenrechte ignoriert
Autor: U. Gellermann
Datum: 18. September 2014
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Buchtitel: Das unheilvolle Dreieck Deutschland, Israel und die Palästinenser
Buchautor: Arn Strohmeyer
Verlag: Gabriele Schäfer
Gegen Judenhass hatten sie jüngst in Berlin demonstriert – die Merkels, die Gaucks und Gabriels – nicht gegen Russenhass, nicht gegen Islamhass, nicht gegen Xenophobie. Als hätten die paar Idioten, die jüngst am Rande von Demonstrationen gegen das Schlachten in Gaza antisemitische Parolen riefen, den deutschen Staat erschüttert und die hochrangige Image- Reparatur-Brigade aus Staat und Regierung auf den Plan gerufen. Tatsächlich gibt es nicht wenige Deutsche, die nach dem erneuten Morden in Gaza die unerschütterliche Solidarität mit Israel in Frage stellen. Was das mit Antisemitismus zu tun haben soll, auch wenn es immer wieder und gern behauptet wird, bleibt ein Rätsel. Der Autor Arn Strohmeyer hat sich mit seinem Buch „Das unheilvolle Dreieck – Deutschland, Israel und die Palästinenser“ genau dieser Frage gewidmet und sie gewissenhaft, kenntnisreich und anständig beantwortet.
Strohmeyer erinnert daran, dass die Palästinenser die deutsche Zeche zahlen, das es ihr Land ist, das man den Israelis nicht zuletzt deshalb zugesprochen hat, weil die Deutschen einen millionenfachen Mord an Juden verübt hatten, und der alte zionistische Siedlungsplan so einen moralischen Schub bekam, der zumindest in Deutschland bis heute anhält. Weil diversen israelischen Regierungen die alten Grenzen aus der Zeit vor 1967 nicht ausreichten, Grenzen die international weitgehend akzeptiert wurden, wollen sie bis heute die realen staatlichen Grenzen Israels nicht festlegen: Es gibt ja noch jede Menge Quadratkilometer im Westjordanland, die nicht von israelischen Siedlern besetzt sind und die, nach dem sonderbaren, biblisch verbrämten Glauben einer israelischen Mehrheit eigentlich ihnen gehören. Man ist in Tel Aviv für neue Grenz-Ziehungen immer offen.
„Als ewiges Opfer des Holocaust erklärt sich der jüdische Staat für berechtigt wann und wo auch immer Gewalt anzuwenden“, schreibt Strohmeyer „denn es handelt sich dabei in seinen Augen immer um Selbstverteidigung.“ Dann zitiert er den israelischen Anthropologen Jeff Halper, der achtzehn arabische Friedensangebote aufzählt, die alle von Israel abgelehnt wurden. „Das letzte 2002, in dem die arabischen Staaten Israel die volle Anerkennung anboten, wenn es im Gegenzug das Westjordanland und den Gazastreifen für die Schaffung eines Palästinenserstaates freigeben würde.“ Strohmeyer zitiert viele und häufig israelische Stimmen. Das liegt sicher daran, dass die israelischen Kritiker ihr Land und seine fatale Lage am besten kennen. Aber es mag auch daran liegen, dass sich insbesondere deutsche Israel-Kritiker gern den Antisemitismus-Vorwurf zuziehen, ein Vorwurf der einen schneller zum Paria macht als man Zentralrat der Juden in Deutschland buchstabiert kann.
Denn nach dem langen, großen deutschen Schweigen über den Mord an den europäischen Juden wendeten nicht wenige Deutsche ihren „angelernten Antisemitismus“ zum „angelernten Philosemitismus“ (Günter Grass) und versuchten der fraglosen Schuld und Verantwortung dadurch zu entgehen, dass man aus der Haut der Täter in die Haut der Opfer kroch. Durch einen schamlosen Beifall im israelischen Sechstagekrieg zum Beispiel, den die damalige BILD-Zeitungs-Schlagzeile zum „Blitzkrieg“ veredelte, als seien die Deutschen endlich gemeinsam mit den Truppen Israels unterwegs. Die Opfer der Opfer, die Palästinenser, existierten lange Zeit in Deutschland nur unter dem Begriff des Terrorismus. Bis heute wird ihr Anspruch auf ein Leben ohne Mauern, ohne das israelische Apartheidsregime und ohne den täglichen Terror der israelischen Armee in den besetzten Gebieten von den Deutschen nicht gleichermassen anerkannt wie der Anspruch Israels auf eine sichere Existenz.
Die „Sicherheit Israels auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte (ist) Teil der deutschen Staatsräson und nicht verhandelbar“ verkündete Angela Merkel. Der israelische Historiker Tom Segev kommentierte die Merkel so: „Das hört sich dann an, als wäre es von der Internetseite des israelischen Auswärtigen Amtes abgelesen.“ Doch das Lachen kann einem im Halse stecken bleiben wenn man bedenkt, dass sich Deutschland entlang der Merkel-Räson zum Komplizen der aggressiven israelischen Militär- und Außenpolitik macht. Das argumentiert Strohmeyer nachdrücklich am Beispiel jener deutschen U-Boote, die der israelischen Militärmaschine eine atomare Zweitschlags-Kapazität ermöglicht und so einen Krieg mit dem Iran denkbar macht. Den Politologen Mohssen Massarrat zitiert der Autor mit einem weisen Satz, der einen gültigen Schlusspunkt setzt: „Ein berechtigtes Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Israels wird aber nicht durch nukleare Erst- und Zweitschlagskapazität und eine Sicherheitspolitik gegen die Staaten im Mittlern und Nahen Osten, sondern durch eine Sicherheitspolitik hergestellt, die mit diesen Staaten gemeinsam aufgebaut wird.“
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18. September 2014
Rezension „Das unheilvolle Dreieck. Deutschland, Israel und die Palästinenser.
Plädoyer für eine andere Nahostpolitik“ von Arn Strohmeyer
Ekkehart Drost
Der Bremer Journalist Arn Strohmeyer hat ein neues, drittes Buch vorgelegt. In „Volk ohne Hoffnung“ beschreibt er das Leben der Palästinenser hinter der Mauer. „Wer rettet Israel?“ fragte er 2012. Auf der Grundlage der Geschichte Israels, so wie sie von den Neuen Historikern geschrieben wurde, betrachtete er darin den Ist-Zustand der israelischen Politik, deren Ziel es war und ist, Erez Israel zu schaffen, um dann zu fragen, ob Israel mit der Fortführung einer solchen Politik der Überheblichkeit und Selbstisolierung überleben könne. „Deutschland und Israel“ ist sein letztes Kapitel überschrieben, in dem er die Unterstützung der israelischen Politik des Landraubs, der unzähligen und alltäglichen Menschenrechtsverstöße durch die deutschen Regierungen belegt.
Sein neues Buch „Das unheilvolle Dreieck. Deutschland, Israel und die Palästinenser. Plädoyer für eine andere Nahostpolitik“ ist ein überzeugender Appell an alle Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft und Kirchen, endlich die Palästinenser als das zu betrachten, was sie spätestens seit 1967, eher noch seit 1948, tatsächlich sind: Die Opfer der Opfer. „Wer Hitler abschütteln will, muss heute die Palästinenser verteidigen.“ zitiert Strohmeyer am Anfang seines Buches den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Alfred Grosser.
Nicht einmal Spurenelemente dieser Aufforderung fanden sich in den Reden bei der Berliner Kundgebung gegen Antisemitismus vom 14.9.2014. Im Gegenteil: Betrachtet man das Plakat, auf dem zu dieser Veranstaltung aufgerufen wurde, so stehen Davidstern und die israelische Flagge nebeneinander. Diese Montage beschwört geradezu eine Gleichsetzung, über die der Autor auf Seite 79 schreibt: „Aus der Gleichsetzung von Juden, Zionisten und Israel folgt (…) die Gleichsetzung von Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik.“ Das Leid der Palästinenser wurde weder bei diesem aktuellen Anlass – Repräsentanten der muslimischen Gemeinden in Deutschland saßen zwar auf der Gäste-Tribüne, hatten aber kein Rederecht – noch beim jüngsten Massaker im Gazakrieg 2014 durch die Bundesregierung thematisiert. In einem Interview mit dem DLF bezeichnete der Nahostexperte Michael Lüders dieses Schweigen als „eine Schande für Deutschland“.
Strohmeyers Verdienst ist es, akribisch nachgewiesen zu haben, dass die moralisch-ethischen Schlussfolgerungen aus dem Holocaust „die Politiker der nachfolgenden Generationen kaum tangieren“, diese ihrer Verantwortung auch für die Palästinenser und deren Existenzrecht und Selbstbestimmung niemals gerecht wurden. Der Autor verweist auf eine Vielzahl jüdisch-israelischer Intellektueller, Politiker und Historiker, u.a. Ilan Pappe, Simcha Flapan, Shlomo Sand, Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann, Avraham Burg, Gideon Levy, Amira Hass, Aktivisten wie Reuven Moskovitz und Jeff Halper, um nur die bei uns bekanntesten zu nennen, die „der destruktiven Politik ihres Staates entgegentreten“. Sie fordern Deutschland und die deutsche Politik mit deutlichen Worten auf, die Realität im Nahen Osten zur Kenntnis zu nehmen. Dazu müsse der Druck auf Israel verstärkt und aus humanistischer Gesinnung heraus das Schweigen gegenüber den israelischen Menschenrechtsverstößen beendet werden.
In einem längeren Kapitel widmet sich Strohmeyer dem Antisemitismus-Argument, mit dem Israel-Kritik hierzulande diffamiert wird. Er zitiert die Kernaussagen von Elie Wiesel, dem führenden Apologeten einer „Sakralisierung des Holocaust“ und entlarvt mit dem amerikanisch-jüdischen Historiker Peter Novick diese Strategie, die zu einem völlig verstellten Bild der historischen und politischen Realität im Nahen Osten führe, „weil es die wirklichen Ursachen des Palästina-Konfliktes verdränge“. Strohmeyer lässt in diesem Kapitel schließlich Ilan Pappe zu Wort kommen, der sich vehement gegen die Vereinnahmung des Holocaust durch die israelische Regierung wendet, wenn diese ihre Unterdrückung der Palästinenser mit dem an ihnen begangenen Verbrechen zu rechtfertigen sucht. Eine befreiende Wirkung im Kampf gegen diese Strategie sieht Pappe in der internationalen Boykottbewegung BDS, der inzwischen auch viele Juden „durch ihre Achtung vor dem historischen jüdisch-christlichem Erbe“ angehören.
Als „Antwort auf den Antisemitismus“ geht Strohmeyer auf Deutschlands Weg zum Philosemitismus ein. Diesen Weg haben Politik, Geschichtswissenschaft und Kirchen bereits in der Nachkriegszeit eingeschlagen, ein Weg, der auch dazu angelegt war, zur „Entsorgung der deutschen Vergangenheit“ beizutragen, wie der Autor unter Verweis auf Historiker wie Eberhard Jäckel und Hans Ulrich Wehler schreibt. Unter Berufung auf den Holocaust wurde nach 1989 immer stärker Partei auf der weltpolitischen Bühne ergriffen. Erwähnt sei hier beispielhaft Joschka Fischers Begründung eines „Engagements“ im Bosnien-Krieg, „unter völliger Missachtung des aus dem Holocaust zu ziehenden moralischen Anspruchs“, wie A.S. feststellt.
Bis heute, so Strohmeyer, habe dieser Philosemitismus die deutsche Politik in ihrem Verhältnis zu Israel beherrscht, was besonders in Angela Merkels Knesset-Rede (Israels Sicherheit als deutsche Staatsraison) zum Ausdruck kommt. Der Autor konstatiert: „Der Philosemitismus als verfestigter politischer Stil erstarrt zum inhaltsleeren Ritual, das ein wirklich angemessenes Erinnern des Ungeheuren unmöglich macht. Und er verhindert die wirklichkeitsnahe Kenntnisnahme der politischen Fakten und ein entsprechendes Reagieren, wofür die deutsche Nahost-Politik ein äußert beredtes Beispiel ist.“
Detailliert und mit zahlreichen Belegen – eine Feststellung, die durchgängig für das gesamte Buch gilt – wird über die Geschichte der deutschen Waffenlieferungen an Israel und die Rüstungskooperation zwischen beiden Ländern informiert, eine Geschichte, die trotz der „Richtlinien für den Rüstungsexport“ noch nicht an ihr Ende gekommen ist. Vielleicht ist die Kritik durch den SPD-Vize Ralf Stegner an dieser Politik ein kleiner Hoffnungsschimmer. Die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ hat Stegner in einem Brief vom 18.9.2014 ermuntert, bei seiner Kritik zu bleiben. Zur Rüstungskooperation mit Israel stellt Strohmeyer fest: „Die Leidtragenden einer solchen Politik sind vor allem die Palästinenser, an deren Kontrolle, Besetzung und Unterdrückung sich Deutschland so aktiv beteiligt.“ (S. 104)
An der oben erwähnten Berliner Kundgebung nahmen auch die führenden Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche mit Redebeiträgen teil. Über die Stellung der Kirchen zum Nahostkonflikt heißt es gegen Ende von Strohmeyers bemerkenswertem Buch: „Die Kirchen mystifizieren und schweigen zum Unrecht.“ Der Autor setzt sich hier mit der „Nach-Auschwitz-Theologie“ auseinander und bezieht sich dabei im Wesentlichen auf das hervorragende Buch von Peter Bingel und Winfried Belz („Israel Kontrovers“) sowie auf den amerikanisch-jüdischen Psychotherapeuten Mark Braverman. Dem Urteil der Autoren schließt sich Strohmeyer an, wenn sie (Bingel/Belz) konstatieren: „Die Nach-Auschwitz-Theologie ist hinsichtlich des modernen zionistisch-nationalistischen Israel mit seinem säkularen Fundament und seiner unvertretbaren Politik gegenüber den Palästinensern völlig blind.“ Ohne Entmythologisierung und Entideologisierung des Begriffs Israel und seiner Realität kann es keinen Frieden in der nahöstlichen Region geben.
Arn Strohmeyer, profunder Kenner Israel-Palästinas, Netzwerker und Aktivist, häufiger Kommentator im Palästina-Portal, hat ein Buch geschrieben, das für alle Leser, die nach anspruchsvoller Lektüre über den Nahostkonflikt suchen, eine wahre Fundgrube ist. Aber auch denjenigen, die immer noch nicht die Ursachen dieses Konflikts zur Kenntnis nehmen (wollen), sei „Das unheilvolle Dreieck“ zum Nachdenken empfohlen.
Ekkehart Drost, 18. September 2014