DPG: Stellungnahme der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V. zur Koalitionsvereinbarung der neuen Ampelregierung ab Dezember 2021

Rundbrief Dezember I 2021Deutschland enttäuscht schon wieder… Die neue deutsche Nahostpolitik

„Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson. Wir werden uns weiter für eine verhandelte Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 einsetzen. Die anhaltende Bedrohung des Staates Israel und den Terror gegen seine Bevölkerung verurteilen wir. Wir begrüßen die begonnene Normalisierung von Beziehungen zwischen weiteren arabischen Staaten und Israel. Wir machen uns stark gegen Versuche antisemitisch motivierter Verurteilungen Israels, auch in den VN (Vereinten Nationen). Einseitige Schritte erschweren die Friedensbemühungen und müssen unterbleiben. Von der palästinensischen Seite erwarten wir Fortschritte bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Dies gilt ebenso für den Verzicht auf jede Form von Gewalt gegen Israel. Wir fordern den Stopp des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus.“ (Auszug Koalitionsvertrag 11/2021)

Dieser Koalitionsvertrag wird Grundlage der Regierungserklärung und Richtschnur des Handels der neuen Regierung.

Schon der erste Satz dokumentiert eindeutig die einseitige Orientierung an den Interessen der völkerrechtswidrigen israelischen Regierungspolitik. Wie von der bisherigen Regierung wird die sog. „Staatsräson-Politik“ als Leitmotiv definiert. Wie bislang wird unterstellt, dass Israel als Staat bedroht sei, dies angesichts einer des in der Welt modernsten und am bestausgerüsteten Militär und ebensolchen Geheimdienstes.

An anderer Stelle des Kapitels über „Menschenrechte“ steht: „Die Menschenrechte als wichtigster Schutzschild der Würde des Einzelnen bilden dabei unseren Kompass.“ Seltsamerweise ist kein Hinweis darauf zu finden, dass die Menschenrechte der Palästinenser seit Jahrzehnten tagtäglich durch diverse völkerrechtswidrige Unterdrückungsmaßnahmen durch Israel missachtet werden. Diese Ignoranz der realen Situation pervertiert den formulierten Willen, weltweit die Menschenrechte einzufordern, die selbst von israelischen Wissenschaftlern, ehemaligen Regierungschefs und Geheimdienstchefs als in den besetzten Palästinensischen Gebieten missachtet angesehen werden.

Im Gegensatz zur vorigen Regierung findet sich in dieser Koalitionsvereinbarung die scheinbar fortschrittliche Forderung nach „einem Stopp des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus“. Dies verkommt allerdings zur auch vom vorigen Außenminister gelegentlich rhetorisch geforderten Phrase, da keinerlei konsequente Folgen zur Verhinderung durch Sanktionen oder ähnliche Maßnahmen, auch nur angedeutet werden. Dazu passt auch die Nachfolge im Außenministerium durch die grüne Ministerin.

Von ihr wird eher ein „weiter so“ der bisherigen folgenlosen lauen Ankündigungspolitik und einer bedingungslosen Freundschaft selbst zu offen radikal rechtskonservativen bis rassistische israelische Politiker zu erwarten sein, legt man bislang bekanntes Engagement auf außenpolitischem Gebiet zu Grunde, vor allem in Richtung Nahostpolitik der USA.

Die Formulierungen zu Forderungen an die Palästinenser offenbaren ein eindimensionales Verständnis, was die Gewaltausübungen und -erfahrungen der beiden Bevölkerungen betrifft. Die textimmanente einseitige Stigmatisierung der Palästinenser als bedrohliche Menschen, von denen „Gewaltverzicht“ und „Fortschritte bei Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte“ einzufordern seien, verkennt nicht nur die aktuellen Mahnungen in zig UN-Resolutionen und zahlreichen weltweiten Mahnungen von Hunderten von Vertretern in Wissenschaft und Politik, gerade in den letzten Jahren der zunehmenden Vertreibungs-, Apartheid- und Annexionspolitik in den besetzten Gebieten Palästinas. Sie zeigt auch deutlich, in Palästinensern keine Menschen zu sehen, die systematischer Gewalt durch den israelischen Staatsterror ausgesetzt sind. Die Tabuisierung der Gewalterfahrung der Palästinenser korrespondiert mit der absurden Anmaßung „sich stark zu machen“ gegenüber den Vereinten Nationen, um die „Versuche antisemitisch motivierter Verurteilungen Israels, auch in den Vereinten Nationen“ zu stoppen.

Positiv zu bewerten ist die Absichtserklärung, dass „VN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) finanziell weiter zu unterstützen und dabei ein unabhängiges Monitoring zu unterstützen, um Fehlentwicklungen entgegen zu wirken“. Das hilft sicher vielen in der ärgsten Not vor Ort in Palästina, bleibt vor dem ausbleibenden Kurswechsel hin zu dem im allgemeinen formulierten Politikansatz ein spezifisches Trostpflaster, denn die „Außenpolitik soll wertebasiert und europäisch aufgestellt werden“ und die neue Regierung will sich für „den Schutz von Frieden und Menschenechte weltweit einsetzen“, wobei dabei „unsere Werte“ Leitmotiv seien. Ein gut formuliertes Narrativ. Aber legt man diese Legende zugrunde, trifft dies auch in Zukunft nicht auf Palästina zu. Fragt man noch abschließend, wie die neue Regierung innenpolitisch beim Thema Israel agieren wird, so ist auch hier die korrespondierende grundlegende Einstellung klar, denn Basis ist der Beschluss des vorigen Bundestags zur gewaltfreien zivilrechtlichen BDS-Bewegung und die Orientierung dieses fatalen Signals an der inzwischen weltweit von zahlreichen renommierten Antisemitismus-Experten hinterfragten Definition der Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken (IHRA). Damit wird es auch unter dieser neuen Regierung ermöglicht, die friedensorientierte Aufklärung über die tagtäglichen völkerrechtswidrigen Übergriffe und die zunehmende Tendenz Israels hin zu einem Apartheid-Staat weiter als „israelorientierter Antisemitismus“ zu diffamieren.

Leider gibt diese Koalitionsvereinbarung insgesamt wenig Hoffnung auf einen konstruktiven nachhaltigen Beitrag zur Verständigung zwischen Palästinensern und Israelis und Überwindung der auch im aktuell zunehmenden wissenschaftlichen Diskurs zur Überwindung der Instrumentalisierung des Holocaust und Akzeptanz einer neuen sachbezogenen Antisemitismusdefinition, wie exemplarisch die Jerusalemer Erklärung von 2021 aufzeigt.

Einziger Pluspunkt aus heutiger Sicht ist die Nominierung der zukünftigen Kulturstaatsministerin, die zu wenigen gehörte, die im vorigen Bundestag gegen den fatalen BDS-Beschluss von 2019 stimmte, und dies sicher aus der Grundüberzeugung des Eintritts für Menschenrechte. Für die deutsche Kulturpolitik dürfte das ein mehr an Verständnis für eine offene Diskussion über Israel/ Palästina bedeuten, wie es eine gemeinsame Initiative vieler renommierter Kulturschaffender im letzten Jahr begonnen hatte. Nicht zu verwundern, dass sich wie zu erwarten das deutsche „Leitmedium“ Bild sogleich am 26.11. heftig auf diese Personalie einschoss.

Dr. Detlef Griesche, DPG-Vizepräsident

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