Adania Shibli: Eine Nebensache (eine Buchbesprechung)

Adania Shibli: Eine Nebensache (Roman), Berenberg – Verlag, Berlin 2022

Dieses deutsche Debüt eines Romans von der 1974 geborenen Palästinenserin aus Ramallah hat schon in manchen Rezensionen in den Feuilletons großer deutscher Medien zu sehr begeisterten Zustimmungen geführt. Und dies obwohl im ersten Teil des Buches zwar distanziert und sachlich ein sehr reales unglaubliches Verbrechen israelischer Soldaten aus dem Jahr 1974 beschrieben wird, bei dem eine Gruppe israelischer Soldaten bei einer Begegnung mit einer Gruppe Beduinen erst die Männer erschossen und dann ein junges Beduinenmädchen erst vergewaltigte und dann tötete.

Im zweiten Teil verbindet sich die Recherche einer jungen Palästinenserin dieses realen Falles mit dem aktuellen Alltag 50 Jahre später in Form einer Ich-Erzählung, in der die Protagonistin im Schauplatz einer stummen, leeren Negev-Wüste vieles über dieses Land und seine vielfältigen Probleme und Begrenzungen erfährt. Shibli verwebt die Geschichten beider Frauen zu einer „eindringlichen Meditation über Krieg, Gewalt und die Frage nach Gerechtigkeit“ wie es im Klappentext heißt. Es ist schon ungewöhnlich, dass in der Rezensionsnotiz des Feuilletons eines großen deutschen Leitmediums formuliert wird, dass dieses „große aktuelle Buch …hoffen lässt, dass die Autorin noch mehr schreiben wird“. Für die englische Übersetzung war sie 2020 für den National Book Award nominiert und 2021 für den International Booker Prize.

Die 160 atmosphärisch verdichteten Seiten lesen sich so berührend spannend, dass man das Buch in einem Rutsch liest und es uns voller Gedanken und Fragen zurücklässt. Selten wurde die Seelenlosigkeit von Menschen in Uniform in einem Land in permanentem Ausnahmezustand der Besatzung so poetisch beschrieben. Exemplarisch mag das die Schlussszene verdeutlichen, in der die Protagonistin mit ihrem Auto zufällig in eine scheinbar friedliche Militärzone fährt und unverhofft mit einer Gruppe von israelischen Soldaten konfrontiert wird und plötzlich die Gefühle der Angst und Hilflosigkeit in ihr hochkommen. In dieser kurzen Szene verbindet sich die Erinnerung an den Jahrzehnte zurückliegenden Fall mit der exemplarischen tagtäglichen Realität einer Besatzung und dem unmittelbaren eigenen Empfinden. Die seltene einhellige Meinung des deutschen Feuilletons über dieses ungewöhnliche literarische deutsche Debut des dritten Buches der Autorin verdankt sich auch einer sehr verdienstvolle Übersetzung von Günther Orth. Sehr sehr empfehlenswert!

Dr. Detlef Griesche (Bremen 30. Juli 2022) (Vizepräsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V.)