Deutsche Berichterstattung übernimmt israelische Propaganda

Von Ahmad Yacob und Lena Schmailzl
Das Gros der deutschen Berichterstattung über den jüngsten Krieg im Nahen Osten liest sich aktuell wie eine Übersetzung der Aussagen von israelischer Armee und Regierung. Dabei wurde in israelischen Medien wenige Tage nach Beginn der palästinensischen Offensive von einer Mobilisierung für die sogenannte »Hasbara« berichtet. »Hasbara« ist Hebräisch und heißt »Erklärung« oder »Propaganda«. »Unser Ziel ist es, Menschen, so sehr es nur geht, zu schockieren«, teilte einer der Organisatoren, ein PR-Berater aus der IT-Branche, mit.

Eine Taktik, die aufzugehen scheint: Behauptungen von geköpften Babys, Vergewaltigungen, Hinrichtungen und angeblichen Aufrufen der Hamas, Juden weltweit anzugreifen, wurden von Politikern und Medien wiederholt und verbreitet, ohne dass Beweise dazu vorlagen. Teilweise mussten entsprechende Berichte wieder zurückgenommen werden.

So überarbeitete die Los Angeles Times am 9. Oktober einen Artikel, in dem von Vergewaltigungen die Rede war, und erklärte, die Berichte »konnten nicht bestätigt werden«. Am 12. Oktober hieß es bei CNN, dass offizielle Stellen in Israel Berichte von geköpften Babys nicht bestätigen könnten. Die »Quelle« der Behauptung war der extrem rechte Reservist David Ben Zion. Die Journalistin des israelischen TV-Nachrichtensenders I-24-News, Nicole Zedeck, hatte ihn interviewt und die Nachricht verbreitet, wie Al-Dschasira mitteilte.

DAS KAPITAL: DAS MUSICAL
Das bedeutet nicht, dass nichts davon stimmt oder dass es keine palästinensischen Angriffe auf Zivilisten gab. Angesichts einer oft unklaren Faktenlage jedoch einzelne Behauptungen aufzugreifen und unüberprüft zu wiederholen, dabei auch den Kontext der jahrzehntelangen Unterdrückung der Palästinenser auszublenden ist kein Journalismus, sondern Kriegshetze. Diese dient dazu, den Gegner zu entmenschlichen.

Auf der anderen Seite werden gesicherte Berichte gezielter israelischer Angriffe auf palästinensische Zivilisten in Frage gestellt oder verschwiegen: der Einsatz von weißem Phosphor in dichtbesiedelten Gebieten, Angriffe auf medizinisches Personal und Krankenwagen sowie auf Flüchtende. Diese Verbrechen sind von der UNO und diversen Menschenrechtsorganisationen bestätigt und registriert worden. In deutschen Medien sucht man nach entsprechenden Meldungen meist vergeblich. Am Montag griff die Webseite Electronic Intifada außerdem ein Interview einer Überlebenden des Kibbutz Be›eri auf. Sie hatte in der Radiosendung »Haboker Hazeh« (Stimme Israels) berichtet, dass viele israelische Geiseln von israelischen Einsatzkräften erschossen worden seien, als diese unkontrolliert die Geiselnehmer unter Feuer genommen hätten. Allgemein hieß es, dass die Hamas die Geiseln getötet habe.

Zwar organisiert das israelische Militär geführte Touren für internationale Journalisten, aber der Zugang nach Gaza wird ihnen verweigert. Yumna Patel, Korrespondentin des Nachrichtenportals Mondoweiss, hebt hervor, dass Tel Aviv auf diese Weise das Narrativ stark beeinflussen kann. »Für Israels Regierung ist es eine Win-win-Situation: Sie kann der Welt die Bilder zeigen, die sie will (tote Israelis), während sie die Informationen einschränkt, die die Welt nicht sehen oder hören soll (Einwohner des Gazastreifens als Menschen), und ihr eigenes Volk vor der Wahrheit über ihr kolossales Versagen bewahrt«, schrieb sie vergangenen Dienstag auf X.

Die Gleichsetzung von Hamas und IS stammt vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Schon 2014 hatte er so vor der UN-Vollversammlung argumentiert. Später dehnte er dies auch auf andere Gruppen wie die Hisbollah aus. Die Botschaft lautet: Israels Gegner kämpfen ausschließlich aus islamistisch-ideologischen Gründen. Die Besatzung, die Blockade Gazas, der Einmarsch in den Libanon, Vertreibung, Apartheid und Siedlerkolonialismus werden ausgeblendet. Palästinensische Zivilisten gibt es demnach nicht, ausschließlich »die Hamas«, die schließlich wie der IS ist. Wie es der israelische Verteidigungsminister zu Beginn des jüngsten Kriegs formulierte: »Wir kämpfen gegen menschliche Tiere.«

Quelle (mit freundlicher Genehmigung): junge Welt v. 17.10.2023

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