DPG Rundbrief Oktober VII 2023

Rundbrief Oktober VII 2023
In diesem Rundbrief berichten wir über:
1- Abed Schokry schrieb heute Morgen aus Gaza
2- Statement von Fouad El Haj gegenüber dem Hauptstadtressort von „nd
3- Demonstrationen gegen das Bombardement Gazas, die am 20.10.2023 stattfanden.
4- Rede des Vizepräsidenten der DPG auf der Demo in Bremen am 20.10.2023.
5- Weitere Aufrufe zum Waffenstillstand:
6- Brief Amira Hass an Bundeskanzler Scholz

1. Abed Schokry schrieb heute Morgen aus Gaza
Eine türkische Nachrichten-Ansagerin weinte in einer historischen Einleitung und sie sagte: „Heute Morgen wollte ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht auf Sendung gehen. Heute ist auf der Welt noch nicht auf gegangen, es ist noch dunkel. Ich schäme mich, vor diesen Bildern zu stehen. Seit 12 Tagen werden Kinder vor den Augen der Welt getötet. Seit 80 Jahren schauen wir und Filme über die Massaker an Juden an und sind betroffen und traurig. Ich wünschte, die Produzenten dieser Filme würden das live sehen. Denn das ist kein Film, sondern Realität. Wir haben das 12 Tage hintereinander geschaut, als wären es Episoden einer Horror-Serie“.

Wir sehen Eltern, die die Leichen ihrer Kinder in Säcken tragen, um sie zu begraben. Sie griffen Krankenhäuser, Moscheen, Kirchen und Notunterkünfte an und bezeichnen diese Menschen und Kinder als Tere und Terroristen, und sie tun dies weiterhin vor aller Welt, ohne dass ihnen jemand sagt, sie sollen damit endlich aufhören.
(Abed Schokry aus Gaza am 21.10.2023)

2. Statement von Fouad El Haj gegenüber dem Hauptstadtressort von „nd“:,
Fuad El Haj, Palästina Stimme, 18.10.2023
Seit 2014 engagiert er sich als Vorsitzender des Berliner Vereins »Palästinensische Stimme« für einen» gerechten Frieden«: »Es geht einfach darum, die Menschen, die hier in Deutschland leben, über den Konflikt in Israel-Palästina aufzuklären, die deutsche und auch die palästinensische Jugend.« Nur mit Austausch und gegenseitigem Verständnis könnte Frieden entstehen, ist El Haj überzeugt. »Wir wollen unterscheiden: Nicht jeder Palästinenser ist ein Terrorist, und nicht jeder Israeli unterstützt die Siedlungspolitik.«

»Die Stimmung ist sehr angespannt, es herrscht großer Frust«, sagt El Haj. Berechtigter Frust, wie er findet: Da sind die Demonstrationsverbote, die es der palästinensischen Community in seinen Augen unmöglich machen, friedlich um die Toten im Gaza-Streifen zu trauern. Da sind die Verbote palästinensischer Symbole an Berliner Schulen. »Eltern rufen mich an und fragen, wie kann das sein, dass mein Kind nicht die Farben Palästinas tragen darf«, erzählt El Haj, der als Organisator eines palästinensischen Kulturfestivals zu einer Ansprechperson für die Community geworden ist.

Auch seine 10-jährige Tochter habe diese Ungleichbehandlung erlebt: Ihre Lehrerin habe ihr das Tragen eines Armbands in den Farben der palästinensischen Flagge verboten. »Da war noch nicht einmal die Flagge selbst und schon gar kein Symbol drauf. Sie hatte das Armband von ihrem verstorbenen Großvater erhalten und sie liebt es.« Die Gleichsetzung von Palästina und Hamas empört El Haj. »Wir können uns nicht von unserer Herkunft distanzieren.«

El Haj erkennt den Frust, spürt ihn selbst. Und trotzdem: Dieses Gefühl dürfe seiner Meinung nach niemals in Gewalt münden. Der versuchte Brandanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Wedding schockiert ihn. »Das ist aufs tiefste zu verurteilen.«

»Deppen« nennt er die Leute, die dafür verantwortlich sind, und »Idioten«. Anschläge auf jüdische Einrichtungen schaden jedem Bemühen um einen gerechten Frieden, wie er ihn sich wünscht. Ebenso distanziert er sich von Parolen wie »Kindermörder Israel« oder »Palästina bis zum Sieg«, die Israel dämonisieren und Gruppendenken befeuern.

Mit seinen Positionen steht El Haj nicht allein da, betont er. »Viele denken wie ich.« Wie aber diejenigen aus der palästinensischen Community erreichen, die nicht mehr differenzieren und ihrer Wut freien Lauf lassen? »Das ist eine gute Frage. Ich habe keine Antwort.« Eine Idee hat er dann doch: Es bräuchte mehr und besser geförderte Aufklärungsprogramme für junge Menschen. Und das staatliche Bekenntnis, dass eine Solidarisierung mit den von Krieg und Siedlungspolitik betroffenen Palästinenser*innen legitim ist. »Wir wissen ganz genau, welche Verantwortung Deutschland gegenüber Israel hat«, sagt er. Öffentliches Gedenken an Palästina zu unterbinden, würde aber den Konflikt nur weiter anheizen.

Sie interessieren sich für die Arbeit der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft und möchten Mitglied werden? Füllen Sie dazu bitte das Aufnahmeformular aus.
http://dpg-netz.de/wp-content/uploads/2017/09/Mitgliedwerden.pdf

3. Demonstrationen gegen das Bombardement Gazas, die am 20.10.2023 stattfanden.
Die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft und die Palästinensische Gemeinde Bremen hatten zu einer Solidaritätskundgebung für Gaza vor dem Hauptbahnhof-Bremen aufgerufen. Sie wurde nach langen Verhandlungen mit den Behörden und mit einer langen Liste von Ge- und Verboten genehmigt. Vom Artikel 5 unseres schönen Grundgesetzes blieb dabei nicht mehr viel übrig. Die Kundgebung im strömenden Regen verlief friedlich, wenn auch ziemlich turbulent. Die Lautsprecheranlage fiel wegen des starken Regens mehrfach aus – und die Teilnehmer wollten sich häufig nicht an die von der Versammlungsleitung vorgegebenen Parolen halten.
Hier also ein kurzer Video-Bericht: https://youtu.be/6Jx2SUq1KvU

4. Rede des Vizepräsidenten der DPG auf der Demo in Bremen am 20.10.2023.
Liebe Freundinnen und Freunde, Salam
Wir versammeln uns hier in einer enorm aufgeheizten öffentlichen Atmosphäre und ich hoffe auf eine friedliche Kundgebung im Interesse einer positiven Berichterstattung für die palästinensische Sache. Bilder wie aus anderen Städten schaden unserer gemeinsamen Arbeit für Palästina. Die Bürger sol len im Fernsehen und Medien das berechtigte Anliegen der Palästinenser lesen.

Wir verurteilen jeden Antisemitismus. Angriffe auf jüdische Institutionen sind ein absolutes NoGo. Wir verurteilen alle, die die Situation ausnutzen, um Rassismus gegen Juden, Muslime oder Palästinenser schüren.

Zuallererst: das Bombardement des Gazastreifens muss sofort aufhören. Es muss ein Waffenstillstand beschlossen werden mit anschließenden sofortigen Friedensverhandlungen, organisiert und begleitet von den wichtigsten einflussreichen Mächten der Welt. Zur Situation in Gaza: 1. Situation im Gaza: Bombardierung ziviler Einrichtungen/UN sagt (vorgestern) 23 UN-Institutionen wurden getroffen/Schulen/Wohnhäuser/der Rafah-übergang wurde mehrfach bombardiert. Gestern Nacht wurde die orthodoxe Kirche bombardiert. Absperrung von Wasser, Lebensmitteln, Medikamenten, verstößt gegen die 4. Genfer Konvention Ich fand die Aussage der Korrespondentin Gezeera, eine junge Mutter. Sie beschrieb, wie sie in den Süden des Gazastreifens flohen. Aber auch hier bombardiert Israel. Es gab niemand, der sie versorgen konnte, weil die Menschen auch im Süden in Angst und Schrecken leben, von der Blockade betroffen sind, bombardiert werden. Sie ist mit der Familie wieder nach Gaza zurückgekehrt: Wenn wir sterben, wollen wir in unseren eigenen vier Wänden in Würde sterben, war ihre Schlussfolgerung.

Wir setzen uns für Frieden ein. Gegen Angriffe auf Zivilisten – wer auch immer. Hamas hat schreckliches Verbrechen begangen. Wir verurteilen das. Verantwortliche dafür müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Aber Verbrechen kann man nicht mit noch mehr Verbrechen sühnen. Israel verübt Staatsterror gegen die Zivilbevölkerung. Die Palästinenser befürchten eine 2. Nakba. Sie sollten auf den Sinai gehen. Dies entspricht einem alten Plan, den Israel seit den 1950ern regelmäßig ins Spiel bringt.

Die meisten Medien übernehmen einseitig die Perspektive der israelischen Rechtsregierung und Militärführung, ohne dass Raum für differenzierte nachdenkliche Argumentationen bleibt. Verweise auf jahrzehntelang kumulierte Konflikte und mögliche Ursachen werden umstandslos als Ablenkung und TäterOpfer-Umkehr gebrandmarkt. Selbst hochangesehene internationale Experten, die die völkerrechtswidrige Besatzungspraxis Israels kritisieren, werden des „israelbezogenen Antisemitismus“ bezichtigt.

Viele Palästinenser befürchten, dass Israel unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terror eine zweite Nakba vorbereiten könnte: die Vertreibung der Bewohner aus Gaza in die ägyptische Wüste Sinai. Und der Zorn ist umso verständlicher, wenn wir von israelischen Politikern und Militärs eine Sprache hören, die wir in Deutschland zuletzt im Faschismus kannten. Wer Menschen als „Tiere“ bezeichnet, muss sich fragen lassen, wie weit es bei allem Zorn mit seiner Menschlichkeit her ist In dieser aufgeheizten Situation wird man insbesondere in Deutschland bereits als pathologischer Antisemit diffamiert, wenn man kritische Fragen stellt. Nach 56 Jahren Besatzungsregime, nach der – unzählige Male wegen Völkerrechtswidrigkeit verurteilter – Siedlungs- und Landraubpolitik, nach der gezielten Tötung von durchschnittlich 400 Palästinenser*innen pro Jahr, sowie nach der unmissverständlichen Aufkündigung der nach wie völkerrechtlich verbindlichen Zweistaatenlösung durch die Ende des Vorjahres an die Macht gekommene israelische Ultra-Rechts-Regierung, deren wesentliche Partner unmissverständlich den Anspruch Israels auf das gesamte Territorium durchsetzen wollten, kann es doch für jeden nur einigermaßen informierten Menschen eine Frage der Zeit bis zu einer massiven Widerstandsaktion gewesen sein. Auch wenn man Art und Umfang dieser Aktion verurteilen mag, so war diese durchaus ein erwartbarer Akt des Widerstandes Wer also immer die seit 1948 anhaltende völkerrechtswidrige Vertreibungs- und Besatzungspolitik Israels ohne Einspruch und/oder Verurteilung hingenommen und/oder unterstützt hat, muss sich daher völlig legitim den Vorwurf der Doppelmoral gefallen lassen. Übrigens sollte es vielen der aktuellen Israel – Unterstützer*innen auch bekannt und/oder bewusst zu sein, dass es auch vor und nach der Gründung des jüdischen Staates zu schrecklichen Übergriffen und Verbrechen seitens jüdischer Terrororganisationen gekommen ist. Keiner der damaligen Täter wurde jemals zur Verantwortung gezogen, manche davon sind sogar in höchste Staatsämter Israels aufgestiegen.

Es ist erst wenige Wochen her, dass Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in der UNO-Generalversammlung stolz eine Karte zeigte, die den neuen „friedlichen Nahen Osten“ darstellen sollte. Da war kein Stück palästinensisches Land mehr zu sehen, sondern Groß-Israel vom „Fluss bis zum Meer“. Schon 1948 hat die ethnische Säuberung (die Nakba) begonnen und die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung vertrieben. Die Nakba ist für die Palästinenser ein Prozess, der nie aufgehört hat. Wir sprechen von einer „On-Going Nakba“. Die Enteignungen palästinensischen Landes gehen weiter durch immer mehr Siedlungsbau.

Im Krieg 1967 wurde das Westjordanland, der Gazastreifen und die Golanhöhen erobert und ein völker-rechtswidriges Besatzungsregime errichtet. Die palästinensische Bevölkerung wurde in alter kolonialistischer Manier hinter großen Mauern und Zäunen in Reservate weggeschlossen und aller Menschen- und Bürgerrechte beraubt. – Über das Westjordanland herrscht eine Militärdiktatur und der von allen Seiten abgeriegelte Gazastreifen wurde nach dem Abzug der Israelis zum „größten Freiluftgefängnis der Welt“, zu dem ein UN-Bericht schon vor Jahren voraussagte, dass kein menschenwürdiges Leben mehr möglich ist. Amnesty International und mehrere israelische NGOs wie auch ehemals hochrangige israelische Politiker haben in den letzten 2 Jahren Israel eindeutig als Apartheidstaat charakterisiert. Selbst die USA und viele liberale Jüdische Organisationen weltweit warnte noch vor kurzem vor der weiteren Ausdehnung der Annektion und Terror der Siedlerorganisationen. Die Netanjahu-Regierung kehrte unterdessen zu ihrer langjährigen Politik der Vertreibungs- und Unterdrückungspolitik zurück und verschärfte sie noch, da sie erkannte, dass die weltweite Isolierung und die internen Spaltungen der Palästinenser-Organisationen ausgenutzt werden könnten, um so die Möglichkeiten eines palästinensischen Staates zu untergraben, den einige Hamasführer zu akzeptieren behauptet hatten.
Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hatte schon früher 2019 vor Mitgliedern des Likud angekündigt: „Wer die Gründung eines palästinensischen Staates vereiteln will, muss die Hamas unterstützen und Geld an sie überweisen“, erklärte Netanjahu im März 2019 vor Mitgliedern der Likud-Partei. „Das ist Teil unserer Strategie – die Palästinenser in Gaza von den Palästinensern im Westjordanland zu isolieren.“ Schon früher war es immer Politik, möglichst die Palästinenser zu spalten. Er wollte schon immer ein Gegengewicht zur PLO, um sagen zu können: es gibt niemanden, mit dem wir verhandeln können!

Israel hat als die hegemoniale Macht nie den Versuch gemacht, eine Friedenslösung, die diesen Namen ver-dient, gemeinsam mit den Palästinensern zu finden. Die Zwei-Staaten-Lösung wäre es gewesen, die Saudi-Arabien 2002 gegen die Anerkennung Israels angeboten hat. Dieser Lösungsvorschläge wurde abgelehnt. Oslo war eine Chance. Rabin wurde von den eigenen Israelis umgebracht und seither gibt es keine Versuche mehr. Andererseits wurden nach den Osloer Verträgen mehr Siedlungen gebaut als je zuvor! Im Gegenteil: in der ultrarechten Regierung, die nach der letzten Wahl ins Amt kam, wurden Rassisten Minister wie Itamar Ben Gvir, die offen und ohne Widerspruch für eine völlige Annektion der Westbank eintraten und sogar wie der Minister für Finanzen Bezalel Smotrich offen verkündeten, Palästinenser gäbe es gar nicht.

Die USA und anderem westlichem Staate haben Israel auch materiell und moralisch jahrzehntelang unterstützt, anstatt Druck auf ihn in Richtung Frieden auszuüben. Das Schicksal der Palästinenser war dem Westen völlig egal außer der immer wieder wiederholten Mantra einer 2-Staatenlösung, auch als die längst tot war durch die Zerklüftung durch immer mehr und größere Siedlungen in der Westbank. Jahrzehntelang wurde stets von den USA und auch Deutschland gegen den weiteren Siedlungsbau geredet, getan wurde nichts, ja selbst in Jerusalem wurde den Palästinensern zusehends immer mehr Teile der Stadt genommen und schließlich quasi annektiert und zur alleinigen Hauptstadt Israels ausgerufen. Wieder außer rhetorischen Protesten etlicher Länder nichts.

Immer wieder wird seit Jahren auch von uns gewarnt, dass die Situation explosiv ist. Die Weltöffentlichkeit hat die Augen verschlossen. Mantra mäßig wurden die Bekenntnisse zur 2-Staaten-Lösung wiederholt und man weigerte sich zur Kenntnis zu nehmen, dass die israelische Regierung schon längst in Worten und Taten davon Abstand genommen hatte.

Jetzt ist durch den Ausbruch der Hamas und die nicht zu entschuldigenden Taten an Frauen und Kindern ein hohes Risiko eingegangen, dass am Ende das Gegenteil erreicht wird: noch härtere Maßnahmen der völker-rechtswidrigen Besatzungsmacht, noch mehr Landraub für Siedlungen in der Westbank, noch mehr Zerstörung von Häusern und Plantagen, den Lebensgrundlagen der Palästinenser, noch mehr unkontrollierte Gewalt und noch mehr Tod durch Siedlerterror wie mit den Pogromen in Huwara zu Anfang dieses Jahres. Allein in diesem Jahr wurden vor dem Beginn der aktuellen Auseinandersetzungen mehr als 200 palästinensische Zivilisten, darunter 38 Kinder, in der Westbank von Besatzungssoldaten oder Siedlern erschossen.

Für die Palästinenser ist die Nakba nicht nur ein historischer Erinnerungstag, sondern eine sich fortsetzende Erfahrung: Um den Siedlungsbau in der Westbank voranzutreiben wird täglich palästinensischer Boden kon-fisziert, Häuser und Schulen werden zerstört, Menschen aus ihren Dörfern vertrieben. Landwirtschaftliche Flächen und Jahrhunderte alte Oliven-Plantagen – die Lebensgrundlage palästinensischer Bauern – werden zerstört. Diese Maßnahmen verstoßen gegen Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention, die auch Israel unterzeichnet hat. Mauern und Sperranlagen wurden gebaut, die nach einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs völkerrechtswidrig sind. Israel hätte das Recht eine Mauer, um ihr Territorium zu bauen, aber diese Mauer wurde unter dem Vorwand des Selbstschutzes zur Zerstückelung des Westjordanlandes gebaut.

Der Gazastreifen wurde wie ein „Freiluftgefängnis“ abgeriegelt. Über Tausend Palästinenser sind oft seit Jahren ohne Gerichtsverfahren inhaftiert („Administrativhaft“), darunter 147 Minderjährige. Sicherheit, Stabilität und Frieden in der Region des Nahen Ostens können nur durch die Gerechtigkeit, Freiheit und Unabhängigkeit des palästinensischen Volkes erreicht werden. Die Abkehr von unterzeichneten Abkommen durch Israel und die Nichteinhaltung international gültiger UN- Resolutionen führten letztlich zur Zerstörung eines Friedensprozesses, der seinen Namen verdient. Die Lösung kann nur die Gründung eines unabhängigen, souveränen palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt sein, entsprechend den Beschlüssen der Vereinten Nationen. Gleichzeitig muss die Klärung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge auf der Basis der UN-Resolution 194 endlich angegangen werden.

Es gibt keine militärische Lösung für diese jahrzehntelange vielschichtige und komplexe Situation zwischen Palästinensern und Israelis. Nur ein Ende der völkerrechtswidrigen Besatzung und ein eigener Staat für die Palästinenser wird eine nachhaltige Gewaltfreiheit ermöglichen. Zunächst ist aber ein sofortiger Waffenstillstand zu organisieren um das Töten von Kindern, Frauen und alten Bürgern, die keine Fluchtmöglichkeiten haben, zu beenden. Wir fordern auch die Freilassung von Geiseln. Dann sollte, um eine nachhaltige Lösung für Frieden und Selbstbestimmung zu finden, endlich Friedensverhandlungen beginnen, organisiert und orchestriert von einflussreichen Nationen.

Die völkerrechtswidrige Besatzung muss ein Ende haben
Daniel Barenboim, der berühmte Dirigent forderte in einem Appell dieser Tage: „Beide Seiten müssen Feinde als Menschen erkennen. Für Israels Sicherheit ist Hoffnung für die Palästinenser nötig“. Ohne eine gerechte Lösung für das palästinensische Volk wird es im Nahen Osten keinen Frieden geben, das müssen alle begreifen.
Vielen Dank für Euer Kommen und euren friedlichen Protest. Salam

Mehrere Bremer Medien haben berichtet, und das relativ fair: Buten und Binnen Fernsehen am 20.10. 19.30 (Mediathek!), der Weser-Kurier am 21.10 ganzseitig, RTL Am 20.10, Buten und Binen Radio 1, am 20.10 (Mediathek!) und in der homepage des AK-Nahost Bremen (www.nahost-forum-bremen.de) ist mit dem oben angegebenen Link ein umfassender Filmbericht von Sönke Hundt erschienen, der die ganze Veranstaltung dokumentiert.

5. Weitere Aufrufe zum Waffenstillstand:
• #CeasefireNow: Open Call for an Immediate Ceasefire in the Gaza Strip and Israel to Prevent a Humanitarian Catastrophe and Further Loss of Innocent Lives
• Jewish Voice for Peace an Präsident Biden
• Offener Aufruf zu einem sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen und in Israel, um eine humanitäre Katastrophe und weitere Verluste unschuldiger Menschenleben zu verhindern

6. Brief Amira Hass an Bundeskanzler Scholz
Deutschland, du hast seit Langem deine historische Verantwortung betrogen.
Amira Hass, 16.10.2023
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am vergangenen Donnerstag: „Das Leid und die Not der Zivilbevölkerung im Gazastreifen werden nur noch zunehmen. Auch dafür ist die Hamas verantwortlich.“ Aber gibt es eine Grenze für dieses zunehmende Leid, wenn man bedenkt, dass Sie und Ihre Kollegen im Westen Israel uneingeschränkt unterstützt haben?

Werden Sie es hinnehmen, dass 2.000 palästinensische Kinder getötet werden? Sind 80.000 ältere Menschen, die möglicherweise an Dehydrierung gestorben wären, wenn die Wasserversorgung aus Israel nicht erneuert worden wäre, in Ihren Augen eine legitime Zunahme des Leidens? Sie sagten auch: „Unsere eigene Geschichte, unsere Verantwortung, die sich aus dem Holocaust ergibt, macht es für uns zu einer ewigen Aufgabe, für die Existenz und Sicherheit des Staates Israel einzutreten.“

Aber Herr Scholz, es gibt einen Widerspruch zwischen diesem Satz und dem oben zitierten. „Das Leid und die Not werden zunehmen“ ist ein Blankoscheck für ein verwundetes, verletztes Israel, das hemmungslos vernichten, zerstören und töten darf, und riskiert, uns alle in einen regionalen Krieg zu verwickeln, wenn nicht sogar in einen dritten Weltkrieg, der auch Israels Leben gefährden würde, seine Sicherheit und Existenz. Wohingegen „Verantwortung, die sich aus dem Holocaust ergibt“, bedeutet, alles zu tun, um einen Krieg zu verhindern, der in einem endlosen Kreislauf zu Katastrophen führt, die zu Kriegen führen, die das Leid vergrößern.

Das habe ich von meinem Vater gelernt, einem Überlebenden der deutschen Viehwaggons bereits 1992 sagte er mir jedes Mal, wenn ich aus Gaza mit Berichten über die Unterdrückung seiner Bewohner durch Israel zurückkam: „Es stimmt, das ist kein Völkermord, wie wir ihn erlebt haben, aber für uns endete er nach fünf oder sechs Jahren. Für die Palästinenser dauert das Leid seit Jahrzehnten an.“ Es ist eine andauernde Nakba.

Ihr Deutschen habt Eure Verantwortung, die sich „aus dem Holocaust“ ergibt – also aus der Ermordung unter anderem der Familien meiner Eltern und dem Leid der Überlebenden – längst verraten. Sie haben sie verraten, indem Sie ein Israel vorbehaltlos unterstützt haben, das besetzt, kolonisiert, den Menschen Wasser entzieht, Land stiehlt, zwei Millionen Menschen in Gaza in einem überfüllten Käfig einsperrt, Häuser zerstört, ganze Gemeinden aus ihren Häusern vertreibt und Siedlergewalt fördert.

Und das alles geschah unter der Schirmherrschaft eines sogenannten Friedensabkommens, dem Sie und andere westliche Führer zugestimmt haben. Sie haben zugelassen, dass Israel im Widerspruch zu diesem Abkommen in seiner europäischen Interpretation handelt – als Weg zur Gründung eines palästinensischen Staates in den von Israel 1967 besetzten Gebieten, den viele Palästinenser gerade deshalb unterstützten, weil sie weiteres Leid und Blutvergießen verhindern wollten.

Es gibt genügend Diplomaten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die darüber berichtet haben, wie Hunderttausende junge Palästinenser unter der arroganten Unterdrückung durch Israel und der willkürlichen Tötung von Zivilisten jede Hoffnung und jeden Sinn ihres Lebens verloren haben. Palästinensische Menschenrechtsaktivisten haben immer wieder gewarnt, dass Israels Politik nur zu einem Gewaltausbruch unvorstellbaren Ausmaßes führen könne. Auch israelische und jüdische Friedensaktivisten haben Sie gewarnt.

Aber Sie sind Ihrem Weg treu geblieben und haben Israel die Botschaft übermittelt, dass alles in Ordnung sei – dass niemand es bestrafen oder den Israelis durch energische diplomatische und politische Schritte beibringen wird, dass es mit der Besatzung keine Normalität geben kann. Und dann bezichtigten Sie Israels Kritiker des Antisemitismus.

NEIN, diese Kolumne ist keine Rechtfertigung für die Mord- und Sadismus Orgie, die die bewaffneten Hamas-Männer begangen haben. Es ist auch keine Rechtfertigung für die schadenfrohen Reaktionen einiger Palästinenser und die Weigerung anderer, sich mit den in ihrem Namen begangenen Gräueltaten auseinan-derzusetzen.

Vielmehr ist es ein Aufruf an Sie, die aktuelle Kampagne des Todes und der Zerstörung zu stoppen, bevor sie eine weitere Katastrophe über Millionen von Israelis, Palästinenser, Libanesen und vielleicht sogar Bewohner anderer Länder in der Region bringt.
Amira Hass

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