Heute: Deutschland im Kampf gegen den Antisemitismus, 1. Teil

von Bernd Fischer

Ich fühle mich als Jüdin, die Israel kritisiert, bedroht. Meistens von anderen Juden und von deutschen Konvertiten und von Deutschen, die so tun als wären sie Juden, und von Deutschen, die behaupten, sie wären Antisemitismusbeauftragte.“ (Die Schriftstellerin Deborah Feldman im Gespräch mit Gregor Gysi auf Spiegel online)

Wer Antisemit ist bestimmen wir

Der Kampf gegen den Antisemitismus wird in Deutschland mit aller Härte und Konsequenz geführt, was auch Iris Hefets, Vorstandsmitglied des Vereins „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, zu spüren bekam, als sie von mindestens sechs Polizistinnen und Polizisten in Schutzhaft genommen wurde, um sie daran zu hindern, ein Plakat mit der Aufschrift „Als Jüdin und Israelin: Stoppt den Völkermord in Gaza“ in die Berliner Luft zu halten, wobei die Festnahme mit dem „Versammlungscharakter“ ihrer Ein-Frau-Demonstration begründet wurde.

Dabei diene, so Hefets nach Beendigung der polizeilichen Maßnahme, der Kampf gegen den Antisemitismus „nur als Deckmantel, und Deutschland als großer weltweiter Exporteur von Antisemitismus schafft es sogar, die Idee zu exportieren, dass es sich um die Juden kümmere (…)

Die Deutschen versuchen, ein perverses Narrativ zu schaffen, in dem nur die Juden die Opfer sind, alle Juden, auch die Israelis. Und sie versuchen, das, was die Hamas getan hat, als etwas Antisemitisches darzustellen, was natürlich nicht antisemitisch ist. Das hat nichts mit Antisemitismus zu tun, es ist natürlich antiisraelisch.“

Nicht der erste Kampferfolg:

Über den neuesten deutschen Kampferfolg, genauer: den Rückzug des Schriftstellers, Kulturtheoretikers, Kunstkritikers und Kurators Ranjit Hoskoté aus der Findungskommission der documenta 16, konnte Art-in.de am 13.11.2023 das Folgende berichten:
„Am gestrigen Sonntag trat der Schriftsteller, Kulturtheoretiker, Kunstkritiker und Kurator Ranjit Hoskoté aus der ursprünglich sechsköpfigen Kommission zurück, die mit der Auswahl der Künstlerischen Leitung der 16. Ausgabe der documenta (2027) betraut ist. Ranjit Hoskoté war in den vergangenen Tagen aufgrund seiner Unterschrift unter dem Statement against consulate general of Israel, Mumbai’s event on Hindutva and Zionism
(vom 26. August 2019) und dessen BDS-Bezug mit antisemitischem Gehalt in die Kritik geraten.“

Antisemit, irgendwie vielleicht, vielleicht aber auch nicht: Ranjit Hoskoté

Inzwischen ist die Findungskommission komplett zurückgetreten und dürfte bald nur noch von Leuten besetzt werden, die bereit sind, eine Gesinnungsprüfung in Sachen Israel über sich ergehen zu lassen. Es sei denn, die ganze Veranstaltung, die seit 1955 den Namen „Documenta“ trägt, wird zu Grabe getragen oder nach Kiel verlegt, wo die Landesregierung ein Auge auf sie werfen kann.

Ranjit Hoskoté jedenfalls hat es nichts genützt, „gegenüber der documenta und Museum Fridericianum GmbH in intensiven Gesprächen deutlich gemacht (zu haben), dass er die Ziele von BDS ablehne und die Bewegung nicht unterstütze.“ Als „in die Kritik“ Geratener musste er gehen, so oder so, freiwillig oder nicht. In seinem Rücktrittschreiben von Sonntag, den 12. November 2023 an Andreas Hoffmann, Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum GmbH, schrieb er unter anderem:


Lieber Andreas,

die letzten Tage gehörten zu den zutiefst erschütterndsten Tagen in meinem Leben. Der ungeheuerliche Vorwurf des Antisemitismus wurde gegen meinen Namen erhoben, und zwar in Deutschland, einem Land, das ich mit Liebe und Bewunderung betrachte und zu dessen kulturellen Einrichtungen und intellektuellem Leben ich seit mehreren Jahrzehnten als Schriftsteller, Kurator und Kulturtheoretiker beigetragen habe. Deutsche Berichterstatter*innen, die mein Leben und meine Arbeit nicht kennen, haben mich aufgrund einer einzigen Unterschrift auf einer Petition, die aus dem Zusammenhang gerissen und nicht im Geiste der Vernunft angegangen wurde, verurteilt, denunziert und stigmatisiert. Über mich wurde mit Härte und Herablassung geschrieben, und keiner meiner Verleumder*innen hat es für wichtig gehalten, mich nach meinem Standpunkt zu fragen. Ich habe das starke Gefühl, dass ich einem Scheingericht unterworfen worden bin.

Es ist mir klar, dass in dieser vergifteten Atmosphäre kein Platz für eine differenzierte Diskussion der anstehenden Fragen ist. Und jetzt – was mir wie ein vergeblicher Versuch erscheint, eine Situation zu retten, die nicht mehr zu retten ist – wird von mir verlangt, eine pauschale und unhaltbare Definition von Antisemitismus zu akzeptieren, die das jüdische Volk mit dem israelischen Staat in einen Topf wirft und dementsprechend jede Sympathiebekundung für das palästinensische Volk als Unterstützung für die Hamas ausgibt.

Mein Gewissen erlaubt es mir nicht, diese pauschale Definition und diese Einschränkung der menschlichen Empathie zu akzeptieren. Einer solchen Definition und solchen Einschränkungen haben sich prominente jüdische Denker*innen wie der Philosoph Omri Boehm, der Historiker Moshe Zimmermann, der Kolumnist Gideon Levy, der Philosoph Michael Marder und viele, viele andere widersetzt, die die Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus ablehnen. Ein System, das auf einer derartigen Definition und derartigen Einschränkungen besteht – und das sich entscheidet, sowohl Kritik als auch Mitgefühl zu ignorieren – ist ein System, das seinen moralischen Kompass verloren hat. Ich sage dies mit größter Traurigkeit.

Es schmerzt mich zu sagen, dass solche Hintergründe der historischen Offenheit der documenta für eine Vielfalt von Positionen und ihre Fähigkeit, das Leben der Fantasie in einer unterstützenden Umgebung zu erhalten, zuwiderlaufen. Ich befürchte sehr, dass diese Umstände die Großzügigkeit des Geistes und die Bereitschaft zum Dialog beeinträchtigen werden, die seit langem zu den herausragenden Merkmalen des deutschen Beitrags zur globalen Kulturpolitik gehören.

Daher sehe ich mich nicht in der Lage, meine Pflichten gegenüber der documenta zu erfüllen, einer Institution, für die ich eine große Zuneigung empfinde und die ich seit mehr als zwanzig Jahren gut kenne, seit Okwui Enwezor mich eingeladen hat, auf der Plattform der documenta 11 in Delhi im Mai 2001 ein Panel zu leiten. Es war mir eine Ehre, dem Findungskomitee für die documenta 16 anzugehören, und es war mir ein Vergnügen, Sie kennen zu lernen und mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Mit großem Bedauern muss ich Ihnen meinen Rücktritt anbieten und aus der Findungskommission ausscheiden.

Kielholen in Kiel

Auch im Norden der Republik, in Schleswig-Holstein, wird der Kampf gegen Antisemitismus und anderen Verrat am offiziellen deutschen Volksempfinden mit großer Konsequenz geführt, wie Gisela Sonnenburg in Junge Welt vom 13. 11. 2023 zu berichten wusste:

Es gibt die Stadt Kiel. An der Ostsee, als Möchtegernmetropole von Schleswig-Holstein. Die Kieler Woche bringt die Stadt alljährlich in die Schlagzeilen. Mit Segeln. Die bekannten Kieler Sprotten sind jedoch so ölig, dass die Dosen, in denen sie sich quetschen, nur als Notrationen taugen. Das Ballett in Kiel, nun ja, gibt es auch, es ist nicht so bekannt – und man geht besser nicht hin.

Kiel hat aber auch ein intellektuelles Leben. Und das sieht so aus: Der Politikwissenschaftler und Journalist Patrick Baab, einst an Fernsehdokus über den Fall Uwe Barschel beteiligt und auch mit Kritik am NDR bekannt geworden, verlor seinen Lehrauftrag an der Uni. Weil er nicht einseitig über die Ukraine berichten wollte. Er betreibe russische Propaganda, hieß es. Glück im Unglück: Das Landesarbeitsgericht, nicht in Kiel, sondern in der Stadt Schleswig angesiedelt, gab ihm recht. Die Kündigung war unrechtmäßig. Und Baabs neues Buch »Auf beiden Seiten der Front« darf auch in Kiel gehandelt und gelesen werden.

Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel – sie heißt wirklich so – erlitt also eine Schlappe. Sie steht dadurch heute unter Insidern für einen mit Wissenschaft argumentierenden Zensurstaat, der nur den Bösen und Mächtigen nützen würde. Aber war das nicht zu erwarten? Vor einigen Jahren wurde diese Uni mit einer Untersuchung bekannt, die man heute despektierlich betrachtet. Ihr Ergebnis: Frauen würden bei der Wahl ihrer Partner auf deren Einkommen und Vermögen achten, Männer hingegen würden bei Frauen ein breites Becken, also signalisierte Gebärfähigkeit, bevorzugen. Wer solchermaßen soziales und biologisches Verhalten mischt, dürfte selbst viele Probleme haben. Liegt es an den Kieler Sprotten?

Garantiert israelfeindlich und antisemitisch, vielleicht aber auch nicht: Marjam Samadzade

Und tatsächlich kommt aus Kiel taufrisch die nächste Skandaldiskriminierung. Es geht um die Staatssekretärin Marjam Samadzade, eine erfahrene Juristin, die für „Amnesty for Women“ in Hamburg arbeitete, dann als Rechtsanwältin, Staatsanwältin und Richterin tätig war und als Staatssekretärin in Kiel unter anderem für Integration und Gleichstellung zuständig war. Sie wurde jüngst gefeuert, weil sie auf Instagram am 17. Oktober einen Post kommentierte und weiterverbreitete, der Israels Angriffe auf Gaza kritisierte. Ihrer Amtschefin Aminata Touré (Bündnis 90/Die Grünen) passte das nicht. Die Hoffnung besteht darin, dass Samadzade gegen dieses »grüne« Schmierentheater klagt und gewinnt.“

Schlechte Sitten und Diplomatie am falschen Platz

Wenn Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft DIG, in Erscheinung tritt, werden die Feinde Israels als das entlarvt, was sie sind: Als Feinde Israels oder „eingefleischte“ Feinde Israels oder, noch schöner, als „hauptberufliche Israelhasserin“, was impliziert, dass dieser Hass auch im Nebenberuf oder in der Freizeit, also im Verein, beim Sport, in der Küche oder beim Geschlechtsverkehr betrieben werden kann.

Beck´s Volker muss es wissen und kämpft dagegen mit der Macht seiner Worte und Empörung. Als Präsident der proisraelischen Pressure Group DIG fand er abscheulich, was Christoph Heusgen am 24. Oktober im ZDF zum Besten gab: Im Interesse des Lebens der israelischen Geiseln müsse es „zu einer diplomatischen Lösung kommen.“ Verhandeln mit einer Terrororganisation, die nicht auf der Paylist der Nato steht? „Pfui!“, rief da der Volker Beck und führte sich auf wie einer, der seinem Kind verbieten will, in der Nase zu bohren oder am Daumen zu lutschen. So schlimm war es dann aber nicht, nur vernünftig im Sinne jüdischen und palästinensischen Lebens, doch das Urteil des DIG-Präsidenten war klar und vernichtend: „Heusgen erweist sich als eingefleischter Feind Israels!“

Eingefleischter Feind aller eingefleischten Feinde Israels: Volker Beck, Bündnis90/Die Grünen, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft DIG

Zwei Tage später durfte der Gescholtene um Gnade und Verzeihung bitten, und sie wurden ihm gewährt, wird er doch als Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz noch gebraucht werden, wenn es nach dem Willen von Boris Pistorius mit einer „kriegstüchtigen“ Bundeswehrmacht endlich wieder gegen Russland gehen soll.

Weg damit!

Wenn mir aber was nicht lieb, weg damit ist mein Prinzip“, sagt der alte Kaspar Schlich, der in der Bildergeschichte „Plisch und Plum“ von Wilhelm Busch zwei junge Hunde im Teich ersäufen will. Ersäuft wird Greta Thunberg gerade nicht, ihre Hinrichtung spielt sich nur auf den Feuilletonseiten der freien deutschen Presse ab und hat damit zu tun, dass sie im Gegensatz zu Christoph Heusgen nicht mehr gebraucht wird: Vier Jahre lang war sie das gepriesene große Vorbild, und jetzt wird aus allen Rohren auf sie gefeuert, zumindest in Deutschland. Greta Thunberg wird vom Liebling zum Feind, weil sie zu Palästina nicht die deutsche Norm einhält“, schrieb Dagmar Henn am 13. 11. auf RT.Greta, das für die Bühne geschaffene unschuldige Kind, dessen Hysterie zum internationalen Vorbild gemacht wurde, um der Klimaerzählung eine Art Bernadette zu verschaffen, eine sündenlose Verkünderin, ist unpraktischerweise erwachsen geworden (…) Dass sie bei einer niederländischen Kundgebung für „Klimaschutz“ einer palästinensischen Doktorandin eine Bühne gab, ist jetzt die Grundlage dafür, sie „hauptberufliche Israelhasserin“ zu nennen.“

Volker Beck, auf dessen Konto diese Schelte geht, hat sicher nichts gegen junge Hunde und junge Frauen, vorausgesetzt, sie pinkeln nicht auf den Teppich und beißen nicht, wenn er, der keine Probleme mit ukrainischen Faschisten hat, beim Auftritt einer Palästinenserin in Hysterie verfällt und Zetermordio schreit, wohl wissend, wer gerade im Gazastreifen von wem zu Zigtausenden ermordet wird.

Besagte Doktorandin, Sara Rachdan, deren komplette Kommunikation in den sozialen Medien derzeit genutzt wird, um sie möglichst finster aussehen zu lassen, hat Architektur studiert und promoviert gerade in Amsterdam über jugendgerechte Stadtplanung. Nicht gerade ein Thema, hinter dem man Superschurken vermutet“, schreibt Dagmar Henn. „Aber mit genug Böswilligkeit – und die ist im Zusammenhang mit dem Stichwort Israel bei deutschen Medien immer gegeben – lässt sich daraus eine Geschichte stricken, nach der die unschuldige Madonna der Klimabewegung nun unwiderruflich befleckt ist.

Rachdan habe beispielsweise ein Foto von Leila Khaled gepostet, „Mitglied der Terrororganisation PFLP, die mit 25 Jahren ein Flugzeug entführte“, schrieb dazu die SZ. Die zugehörige SZ-Autorin ist 1996 geboren, also lange nach der Zeit, als Leila Khaled zur Symbolfigur wurde, und weit davon entfernt, zu begreifen, was Khaled nicht nur für arabische Frauen symbolisierte. Für Frauen meiner Generation stand sie, ebenso wie die kleine, zierliche Vietnamesin, die auf dem ikonischen Foto einen viel größeren US-Soldaten gefangennimmt, für den Anspruch von Frauen auf alle Aspekte der Politik.

In den letzten 40 Jahren hat Khaled dann schlicht politisch für die palästinensische Sache gearbeitet. Keine ungewöhnliche Geschichte ‒ Che Guevara war die Ausnahme von der Regel. Und verglichen mit dem, was der spätere israelische Staatspräsident Ben Gurion in seiner Jugend getrieben hat, ist Khaled ein Musterbild der Unschuld.

Thunberg jedenfalls könnte als Ex-Heldin endlich etwas Autonomie erfahren. Ob deutsche Medienvertreter den Genozid in Gaza als solchen erkennen oder nicht, wird auf die Reaktion der Welt keinen Einfluss haben, und auch Leila Khaled wird bleiben, wer sie ist. Und vielleicht, nur vielleicht, kommt auch wieder ein Tag, an dem deutsche Redaktionsstuben nicht mehr vom Untertanengeist in der Buchhalterversion beherrscht werden.“

Und Bremen?

Wer sich einmal wie Andreas Bovenschulte und seine Koalition aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und Linkspartei der ohne-wenn-und-aber-Loyalität mit Israel verpflichtet hat, ist dem Zwang unterworfen, diese Loyalität auch unter Beweis zu stellen, und das geht, wie schon gezeigt, nur durch rigide Ausgrenzung aller Positionen, die sich kritisch bis ablehnend zur israelischen Politik verhalten. Jetzt hat es mit dem Bremer Friedensforum eine Gruppe erwischt, die das Bild der Stadt Bremen als weltoffene und tolerante Stadt seit vierzig Jahren bereichert, in der aktuellen Lage aber als störend empfunden wird. Weshalb die Stadt Bremen den Link zum Bremer Friedensforum von ihrer Website entfernen musste, um nicht in den gezielt gestreuten Verdacht zu geraten, einer Unterstützergruppe der Hamas eine städtische Plattform zu bieten. Das Bremer Friedensforum ist, wie sich unschwer beweisen lässt, weit davon entfernt, eine solche zu sein, aber das sehen andere anders, und einer dieser Anderen heißt Benjamin Weinthal, Journalist bei der Jerusalem Post.

Von ihm erhielt das Bremer Friedensforum am 23.10.2023 per Email die folgende Anfrage aus Jerusalem (orthografische Fehler übernommen):

Shalom Leute,
Die Stadt Bremen hat Bremer Friedensforum von der Website der  Stadtregierung gelöscht.
Was sagen Sie dazu?
Sind Sie eine antisemitische und Pro-Hamas-Gruppe? Kritiker sagen, dass Sie ein Pack von Antisemitism und Pro-Hamas-Aktivisten sind. Was meinen Sie?
Ist Hamas eine antisemitische Terror-Gruppe
Wenn Sie mir ein Statement zusenden, werde ich sie in meinen Bericht erwähnen.
Beste Grüße aus Jerusalem
Benjamin Weinthal“

Benjamin Weinthal können wir getrost als ordinäres Pendant des DIG-Präsidenten Volker Beck betrachten. Über ihn schrieb der 2021 verstorbene Psychologe Rolf Verleger am 10. Oktober 2016 in der TAZ unter der Überschrift Wie ein Kopfgeldjäger“:

Ben Weinthal traf ich vor neun Jahren. Für das jüdische US-Magazin Forward schrieb er damals einen objektiven Bericht über meine Initiative Schalom5767 und zitierte darin ihre Kernaussage: „Das Grundübel ist die seit 1967 andauernde israelische Besetzung palästinensischen Gebiets.“

Danach muss etwas mit ihm passiert sein. Er wirkt jetzt wie ein Kopfgeldjäger. Wo immer Vertreibung und Landraub an den Palästinensern, die Besatzung der Westbank, die Einkesselung Gazas thematisiert wird: Weinthal schwingt sich aufs E-Mail-Ross, schreibt selbst den Haftbefehl „Antisemitismus“ – und schießt gegen die Veranstalter. Nicht ohne Erfolg: Arn Strohmeyer am 26. Januar in Bremen, Abi Melzer am 23. und Nirit Sommerfeld am 30. September, beide in München – abgesagt, verboten. Egal, ob Christ oder Jude, Weinthal fordert: Boykottiert sie, die Verräter und Volksfeinde!

Nun hat er sich in der taz über ein Seminar in Hildesheim verbreitet. Das Seminar hatte zuletzt sechs Teilnehmer, und es gibt längst eine sachverständige Kommission unter Leitung von Prof. Schüler-Springorum, die sich der Sache annimmt. Aber darauf möchte Weinthal nicht warten. Der Skalp der Hochschulpräsidentin muss her. Bekommt er dafür eine Prämie?

Der nächste Skalp an Weinthals Gürtel soll Christoph Glanz aus Oldenburg werden. Glanz habe gefordert, man solle den Staat Israel nach Baden-Württemberg verlegen. Das, so Weinthal, habe auch Ahmadinedschad gesagt, also sei dies antisemitisch. Es ist aber nicht antisemitisch: Es wäre allenfalls anti-schwäbisch. Denn es bedeutet: Die Zeche für die jahrhundertelange Verfolgung und Diskriminierung von Juden in den christlichen Teilen Europas und für die Vernichtung des deutschen und europäischen Judentums durch Deutschland und seine Helfer sollte Deutschland bezahlen, nicht Arabien.“

Protestkot

Wer es aber wagt, sich mit Benjamin Weinthal anzulegen, muss mit Reaktionen rechnen, die eine frühkindliche Störung vermuten lassen. Er oder sie wird dann, wenn auch nur verbal, mit Protestkot, genauer: mit Scheiße beworfen. Diese Erfahrung musste vor nicht allzulanger Zeit Björn Luley machen. Luley, von 1977-2015 beim Goethe-Institut tätig, davon zehn Jahre als Leiter des Goethe-Instituts in Damaskus, hatte den Fehler gemacht, sich per Email an Weinthal zu wenden, um einen seiner Artikel zu kritisieren: Weinthal hatte sich darüber beschwert, dass es einem iranischen Filmteam vom Auswärtigen Amt erlaubt worden war, nach Deutschland zu kommen und hier einen Film zu drehen. Iraner! Antisemiten!! Luley, darüber offenbar erbost, schrieb an „Mr. Weinthal“, ob es diesen wirklich etwas angehe, wer in Deutschland filmen dürfe. Die Iraner müssten unter dem schrecklichen Mullah-Regime leiden, aber das sei noch lange kein Grund, das Land dermaßen in den Dreck zu ziehen. „Konzentrieren Sie sich lieber auf die furchtbare Politik Ihres Landes in der Westbank und Ost-Jerusalem oder Hebron“.

Auf das, was dann geschah, hätte Luley vermutlich gern verzichtet: Sein Rechner wurde von Weinthal mit 1.475 (eintausendvierhundertfünfundsiebzig) Emails überflutet, manche 200–300-mal mit immer demselben Inhalt. Zum Beispiel:

fick dich. du bist ein nazi“.
„du bist ein nazi-schwein.“
„du bist mein lieblingsantisemit. du kannst mich gerne verklagen. ich freue mich darauf. du bist auch der schmock des jahres.“

Bei alledem wird sich Weinthal wohl auf den Umstand verlassen, dass die Jerusalem Post, wie das Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern im Juli 2020 schrieb, „ihren Sitz im Ausland hat: Klagen wegen Verleumdung über Ländergrenzen hinweg sind natürlich etwas umständlich, und die Erfolgsaussichten einer Klage eines Deutschen gegen die Jerusalem Post vor einem israelischen Gericht, wenn man von Weinthal als „pro-Hamas“ oder „antisemitisch“ bezeichnet wird, wären sehr fraglich.

Hinzu kommt, dass Weinthal auch noch Mitarbeiter („research fellow“) einer US-amerikanischen Stiftung ist: Diese Foundation for Defense of Democracies  hält große Stücke auf ihn: Für sie ist er von seinem Berliner Standort aus ihr „Auge und Ohr in Europa“ (s. https://www.fdd.org/team/benjamin-weinthal/).“

Genannter Stiftung wird laut Wikipedia „eine Nähe zur Republikanischen Partei und konservativen Kreisen in der US-Politik nachgesagt. In den Medien – insbesondere im politisch linken Spektrum – wird sie in außenpolitischen Fragen zumeist den Falken unter den Denkfabriken zugeordnet.“

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