»Die jungen Menschen beider Seiten sind kriegsmüde«

Das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« setzt sich für inhaftierten israelischen Militärdienstverweigerer ein. Gespräch mit Helga Dieter
Interview: Gitta Düperthal

Das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« hat 1.100 Unterschriften für die Freilassung des Kriegsdienstverweigerers Udi Segal aus dem Militärgefängnis in Israel gesammelt. Was ist der Hintergrund dieser Kampagne?

Das Recht auf die Verweigerung des Militärdienstes ist für unsere Friedenspolitik fundamental. Udi Segal ist nun 19 Jahre alt und bereits zum vierten Mal inhaftiert – wegen desselben »Deliktes«. Er ist zudem als Teilnehmer der Aktion »Ferien vom Krieg« 2013 hier in Deutschland gewesen, die ich damals koordiniert habe: In jährlich veranstalteten Dialogseminaren kommen junge Israelis und Palästinenser zusammen, die sich zu Hause nicht treffen dürfen. In dieser Zeit entwickeln sie intensive Kontakte zu den sogenannten Feinden. Die Teilnahme erfordert Mut, in angespannter Lage könnte ihm dies als Kollaboration ausgelegt werden.

In den vergangenen zwölf Jahren haben 1.060 junge Menschen aus Israel gemeinsam mit ebenso vielen gleichaltrigen Palästinensern aus den besetzten Gebieten bewiesen: Sie können ohne jede Gewalt zusammen unter einem Dach leben. Auch während im Juli und August israelische Raketen in Gaza Zerstörung und Tod brachten und Kassem-Raketen unter den Bewohnern Israels Angst und Schrecken verbreiteten: Weltweit wurde der Ruf nach zivilen Vermittlern laut. Zu dieser Zeit führten im Seminar 54 Leute »Friedensverhandlungen von unten«. Lösungswege wurden für die schwierigsten Probleme aufgezeigt, auch zur Siedlungs- und Flüchtlingsfrage. Die jungen Menschen beider Seiten sind kriegsmüde, demzufolge zu schmerzhaften Kompromissen bereit.

Wie geht Israel mit jungen Menschen um, die Kriegsdienst verweigern?

Wer einberufen wird und sich weigert; muss meist kurzzeitig, etwa für ein oder zwei Wochen, ins Militärgefängnis. Anschließend bekommen sie erneut eine Einberufung. Weigern sie sich wieder, eine Uniform überzuziehen, werden sie erneut verurteilt und inhaftiert. Ich kenne einen jungen Mann, dem das zehn Mal passiert ist. Sie haben danach kaum Chancen, im öffentlichen Dienst zu arbeiten, können nicht Lehrer oder Erzieher werden. Eine gängige Art zu verweigern, besteht in Israel darin, ein ärztliches Attest einzureichen, sich quasi herauszumogeln.

Sie haben die Unterschriftenlisten mit der Forderung, Udi Segal aus dem Gefängnis zu entlassen, an den israelischen Botschafter in Berlin geschickt. Was erhoffen Sie?

Natürlich ist es problematisch, sich an den Botschafter zu wenden; und damit an den Vertreter einer Regierung, die absichtsvoll und rücksichtslos ihre Sicherheits-, Wirtschafts- und Machtinteressen kriegerisch durchsetzt – auch gegen internationales Recht. Aber die israelische Organisation »New Profile«, die sich seit 1997 für Demilitarisierung der israelischen Gesellschaft einsetzt, hatte aufgerufen, bei der Botschaft zu protestieren. Wir haben uns der Kampagne angeschlossen, gleichwohl wir moralische Appelle an Machthabende für eher wirkungslos halten.

Warum haben Sie sich dennoch angeschlossen?

Mit dem Appell haben wir über die Bedeutung des Militärdienstes im Alltagsleben und die fehlende Möglichkeit der Verweigerung in der israelischen Gesellschaft informiert. Mitten im Gazakrieg löste das Debatten aus. Einigen Unterzeichnern waren Udis Argumente zu einseitig und radikal. Sie meinten, vor dem Hintergrund der Rolle der deutschen Wehrmacht bei der Ermordung der Juden gelte es, als Deutscher zum Militarismus in Israel zu schweigen. Die Befürchtung, als Israel-Kritiker des Antisemitismus verdächtigt zu werden, spielt dabei eine Rolle. Andere, die den Kampf der Palästinenser gegen die Besatzung unterstützen, geht der Appell für einen Verweigerer nicht weit genug. Gleichwohl haben in der Nah-Ost-Debatte bekannte Wissenschaftler mit entsprechenden konträren politischen Positionen den Appell unterschrieben. Sie unterstützen jenseits aller Kontroversen das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern; auch in Israel, mitten im Krieg.

www.connection-ev.de/israel-refuser-form

Quelle (mit freundlicher Genehmigung): junge Welt v. 06.10.14

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