Der Menschenrechtsaktivist Abdallah Abu Rahma in Bremen

Abdallah Abu Rahma am 22. September 2016 in Bremen

In der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch hatte die jüngste Razzia der „moralischsten Armee der Welt“ morgens um 2.30 Uhr begonnen – und der Referent hatte erst am Morgen davon in Berlin erfahren. Eine Einheit der Armee war in das Dorf Bi’lin und auch in sein Haus eingedrungen, wo die Soldaten Handys, Computer und schriftliche Unterlagen beschlagnahmten und die schlaftrunkenen Bewohner, darunter natürlich auch seine Kinder, terrorisierten. Zum Glück konnte der bekannte Fotojournalist Haitham Khatib alarmiert werden, der die Razzia filmen und innerhalb von Stunden über die Facebook- und Youtube-Netze verbreiten konnte. Das Youtube-Video hier. Dass das Filmen nicht wie sonst von den Soldaten unterbunden wurde, erklärte Abu Rahma mit der verborgenen Absicht der Aktion: ihm und seiner Familie sollte ein „Warnschuss vor den Bug“ gegeben werden.

Verhaftungen, Prozesse, Verurteilungen

Abdallah Abu Rahma wurde schon viermal verhaftet und von israelischen Militärgerichten verurteilt. 2009 wegen „Aufwiegelung“ sowie „Organisation und Teilnahme an illegalen Protesten“ zu 15 Monaten. Zuletzt 2015 zu einer viermonatigen Bewährungs und einer Geldstrafe in Höhe von etwa 1.150 Euro. Die Strafe wird vollstreckt, sollte er sich wiederum an Aktionen beteiligen, die die israelischen Behörden als „Behinderung von Soldaten in der Ausübung ihres Dienstes“ ansehen. Er hatte sich, deshalb das Urteil, 2012 am Kontrollpunkt Beitunia Militär-Bulldozern in den Weg gestellt.

Abu Rahma erzählte von den Absurditäten dieses letztes Prozesses so anschaulich, vom Erstaunen des Richters über die Maßlosigkeit der Anklagen sowie von der Dürftigkeit der Beweise, dass sich beim Publikum eine Mischung aus Erschütterung, Belustigung und Entsetzen einstellte. Der Angeklagte wurde schließlich aus der Untersuchungshaft entlassen, wohl auch, weil es ihm und seinen Freunden gelungen war, tatsächlich eine internationale Kampagne von Menschenrechtsorganisationen zu organisieren. Sogar Catherine Ashton engagierte sich für ihn und brachte ihre tiefe Besorgnis über das Vorgehen Israels gegen einen Vertreter des gewaltfreien Widerstands zum Ausdruck.
Mehr darüber hier.
Und auf Abu Rahmas Facebook-Seite.

Beginn des Widerstands

Der Widerstand in Bi’lin begann 2004, als bekannt wurde, dass die Apartheid-Mauer das Dorf von mehr als der Hälfte seines Landes abschneiden würde, was die Lebensgrundlage für die Dörfler zerstört hätte. Die Bewohner gründeten das „Bil’in Popular Comittee Against The Wall“, und tatsächlich gelang es ihnen, durch phantasivolle tägliche und später wöchentlich Aktionen den Bau über einen längeren Zeitraum zu verzögern. Selbst als die Mauer doch gebaut war, gelang dem Comittee noch ein Teilerfolg: sie erwirkten vor dem Obersten Gerichtshof Israels tatsächlich ein viel beachtetes Urteil, das zwar nicht die Mauer, aber ihren Verlauf in diesem Abschnitt für illegal erklärte und den Abriss verfügte.

Abu Rahma: „Das war ein großartiger Erfolg – nicht nur für Bil’in, sondern auch für das Prinzip des gewaltfreien Widerstands. Hätten wir unseren Fall nicht dauerhaft publik gemacht, wären wir wohl untergegangen. Die Entscheidung war zwar zu unseren Gunsten gefallen, doch die Israelis machten zunächst keinerlei Anstalten, den errichteten Zaun zu entfernen. Tatsächlich geschah dies erst im Juni 2011 und der neue Verlauf der Sperranlage, diesmal als Betonmauer erbaut, konfisziert noch immer 25 Prozent unseres Landes. Wir demonstrieren gegen den andauernden Landraub und Siedlungsbau in der gesamten Westbank. Wir demonstrieren gegen die Mauer, die uns von unseren Freunden und Verwandten trennt. Wir demonstrieren gegen die Unterdrückung und Diskriminierung der palästinensischen Bevölkerung und gegen die Okkupation im Allgemeinen.“

Bil’in ist nicht mehr der einzige Ort im Westjordanland, der sich mit den Methoden des gewaltfreien Widerstands zur Wehr setzt. Inzwischen sind Nil’in, Nabi Saleh, Kufr Qaddoum, Al-Maasara dazu gekommen. Die Widerständler vernetzen sich, organisieren den Erfahrungsaustausch und die gegenseitige Unterstützung. Jedes Jahr findet eine Konferenz statt. Seit Januar 2013 werden Protestcamps veranstaltet. Bab al Shams war das erste dieser Art: Die Aktivisten errichteten ein Zeltlager im so genannten E1-Gebiet in Ostjerusalem, um gegen Israels Pläne zur Bebauung dieses letzten Korridors zwischen Jerusalem und dem Westjordanland zu protestieren. Das Camp wurde zwar bereits nach zwei Tagen gewaltsam aufgelöst, zerstört und viele Aktivisten verhaftet, doch die Aktion erregte große internationale Aufmerksamkeit. Daraufhin wurde es mehrere Male wiederholt, zuletzt im Januar 2014 in den Ruinen des historischen kanaanitischen Dorfes Ein Hijleh im Jordantal.

Auszeichnungen

Der Aktivist aus dem kleinen Dorf Bli’in ist für seinen Mut und für seine Hartnäckigkeit vielfach ausgezeichnet worden, u.a. 2008 mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis der Deutschen Gesellschaft für Menschenrechte, von der EU als „Verteidiger der Menschenrechte“, und Amnesty International nannte ihn einen „Gefangenen aus Gewissensgründen“.

Der gewaltfreie Widerstand des Dorfes wird inzwischen von vielen Menschenrechtsorganisationen sowie vielen israelischen und internationalen FriedensaktivistInnen aktiv und finanziell unterstützt. Besonders geschickt nutzen die Dörfler und ihre UnterstützerInnen die Medien und verstehen es, die internationale Öffentlichkeit – die einzige Waffe, über die sie verfügenzu informieren und zu mobilisieren . Der Film „5 Broken Cameras“, der in dem Dorf spielt, ist um die Welt gegangen, wurde auch im Deutschen Fernsehen (3 Sat am 12. Mai 2015) gezeigt und sogar für den Oscar nominiert.

Die Veranstaltung in Bremen

wurde organisiert bzw. unterstützt von:

vlnr: Dethlef Griesche, Abdallah Abu Rahma, Claus Walischewski, Doris Flack

  • Nahost-Arbeitskreis Bremen,
  • die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft (DPG) Bremen,
  • das Israeli Comittee Against House Demolitions (ICAHD) und
  • das Bremer Friedensforum.

Dethlef Griesche begrüßte den Gast im Namen der Bremer Organisationen; Doris Flack und Claus Walischewski hatten den nicht leichten Part der Übersetzung übernommen.

Leider waren nur recht wenige Besucher und Besucherinnen gekommen, die dem Referenten aber mit langem Beifall dankten.

Übrigens:

die Bremer Leitmedien, der Weser Kurier, das Lokalfernsehen und die Taz, glänzten durch Abwesenheit. Trotz rechtzeitiger Information hatten sie jede Vorankündigung der Veranstaltung mit dem berühmten und international bekannten Menschenrechtler abgelehnt. Die ziemlich antideutsch-lastige Taz Bremen hätte sich ein Beispiel an ihren Berliner KollegInnen nehmen sollen! Die Veranstaltung in Berlin hat nämlich am 15. September im dortigen taz-Café stattgefunden, und die Bundes-Taz hatte am 22. September 2016 einen ausführlichen Artikel über den Abend inklusive Bericht über die Razzia im Haus von Abdallah Abu Rahma gebracht.
Sönke Hundt

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