Organisatoren von israelkritischer Veranstaltung werden in Frankfurt am Main mit Antisemitismusvorwürfen überzogen. Gespräch mit Matthias Jochheim

Matthias Jochheim ist Psychotherapeut, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von IPPNW (Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) und Sprecher des »Koordinationskreises Palästina Israel« (Kopi)

Sie wollen im Juni in Frankfurt am Main eine Konferenz unter dem Titel »50 Jahre israelische Besatzung in Palästina – Unsere Verantwortung für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts« ausrichten. Diskutiert wird, ob diese stattfinden darf. Sie als Veranstalter wurden des Antisemitismus bezichtigt, der Träger des Veranstaltungsortes »Ökohaus« kündigte die Räume. Warum? 
Auf die Berichterstattung über die israelkritische Veranstaltung durch Vertreter der israelischen Regierungspolitik folgte ein wahrer »Shitstorm«: Das Frankfurter Ökohaus erhielt Mails aus Kanada, den USA, Südafrika mit Beschimpfungen und Diffamierungen, es würde sich angeblich mit Nazis einlassen, etc. Der Frankfurter Bürgermeister Uwe Becker, CDU, hat sich eingeschaltet. Er behauptete, es handele sich um eine antijüdische, antisemitische Veranstaltung. Er setzte den Träger unter Druck, den Vertrag mit uns zu kündigen. Wir werden anwaltlich dagegen vorgehen. Die aufgeführten Gründe der Sicherheit halten wir weder für legitim noch für stichhaltig, die Veranstaltung abzusagen.

Welche Gründe wurden genannt?
In Mails und anonymen Telefonaten sei mit Gewalt gedroht worden, eine Eskalation habe stattgefunden. Der Frankfurter Bürgermeister hat angekündigt, vor dem Ökohaus mitdemonstrieren zu wollen. Ich bin freilich für Demonstrationsfreiheit. Wir haben ihm aber geantwortet, doch in der Versammlung mit uns über die Situation in Israel und Palästina zu diskutieren. Darauf hat er nicht reagiert. Für eine liberale Stadt wie Frankfurt halten wir dieses Vorgehen für skandalös. Die Drohungen gegen das Ökohaus markieren keine Gefährdung der Sicherheit. Von uns geht keine Gewalt aus. Sollte es Leute geben, die Randale machen wollen, ist unsere Versammlungsfreiheit davor zu schützen. Man will uns einschüchtern.

Kritik gegenüber der israelischen Regierung gibt es immer wieder – weshalb nun das rigide Vorgehen gegenüber dem Bündnis Kopi, einem Zusammenschluss von 28 Gruppen?
Ich kann es mir nur so erklären: Die israelische Regierung ist internationaler Kritik für ihre Besatzungspolitik ausgesetzt. Unsere Versammlung, bei der drei Vertreter der israelischen Friedensbewegung Vorträge halten werden, findet 50 Jahre nach dem Sechstagekrieg 1967 statt. Seit Israel das Westjordanland, den Gazastreifen, die Golanhöhen und Ostjerusalem völkerrechtswidrig annektierte, befindet sich die palästinensische Bevölkerung in einem perspektivlosen Zustand der Rechtlosigkeit, verschärft durch den Siedlungsbau. Dies provoziert einen schwelenden Kriegszustand – für den internationalen Frieden eine Gefahr. IPPNW, als Teil der Friedensbewegung, fordert eine tragfähige politische Lösung für beide Seiten.

Inwiefern hat all das mit der Kampagne BDS, »Boykott, Deinvestitionen, Sanktionen«, zu tun, deren Unterstützung israelischen Staatsangehörigen verboten ist und die Ministerpräsident Benjamin Netanjahu »als größte aktuelle Bedrohung« seines Landes bezeichnet?
Im Programm unserer Tagung ist von BDS keine Rede. Die in unserem Bündnis organisierten Organisationen IPPNW und Pax Christi rufen dazu nicht auf. Ich persönlich halte die international breit unterstützte Kampagne aber für legitim. Einer der Vertreter der israelischen Friedensbewegung wird bei der Konferenz über gewaltfreien Widerstand sprechen – vermutlich auch über diese von der palästinensischen Zivilgesellschaft entwickelte Kampagne, die übrigens Organisationen wie die »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« mittragen. Sie knüpft an den Widerstand der Antiapartheidbewegung in Südafrika an: Solange die Rassentrennung dort existierte, sollten keine südafrikanischen Produkte gekauft werden. Sie zielt darauf ab, an den Staat Israel zu appellieren, die Besatzung der palästinensischen Gebiete zu beenden. Mit Antisemitismus hat das nichts zu tun. Das wurde sogar gerichtlich festgestellt: Den jüdischen Publizisten Abi Melzer, der BDS ebenso als legitim ansieht, hat die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, als Antisemiten diffamiert. Er hat dagegen geklagt. Unter Androhung einer Strafe von 250.000 Euro wurde dies vom Gericht untersagt.
Interview: Gitta Düperthal, junge Welt

Quelle (mit freundlicher Genehmigung): junge Welt vom 30.03.2017
https://www.jungewelt.de/2017/03-30/index.php

mehr Infos über die Konferenz hier: https://www.kopi-online.de/wordpress/?p=3383

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2 Gedanken zu „Organisatoren von israelkritischer Veranstaltung werden in Frankfurt am Main mit Antisemitismusvorwürfen überzogen. Gespräch mit Matthias Jochheim

  1. Mich hat die Situation in Palästina nie besonders interessiert. Nun erst, durch die Vehemenz und Dreistigkeit, mit der die Israellobby gegen die Meinungsfreiheit sowie das Bekanntwerden von Verbrechen des israelischen Staates agiert, rückt das Ganze für mich in den Fokus.
    Frage: Sind die israelischen Eliten die neuen Nazis, und deutsche Politiker mehr und mehr ihre Erfüllungsgehilfen?

  2. Es ist wirklich grotesk. Besonders gruselig ist die Verfolgeungsvehemenz durch die Antideutschen, die offenbar blind dafür sind, dass sie ihren „arischen“ Großvätern immer ähnlicher werden.

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