Prof. Dr. Norman Paech spricht am 13. Dezember 2017, 19 Uhr im Bremer Überseemuseum. Mehr Infos hier. In der öffentlichen Diskussio spielt der Vorwurf gegen das Völkerrecht eine zentrale Rolle. Norman Paech gibt hier einen gründlichen Überblick über die rechtliche Problematik.
Als US-Präsident Donald Trump am 6. Dezember 2017 Jerusalem offiziell als Hauptstadt Israels anerkannte, erfüllte er nicht nur ein Wahlversprechen, sondern auch den „Jerusalem Embassy Act of 1995“, mit dem der US-Kongress schon vor 20 Jahren diesen Schritt gefordert und vorbereitet hatte. In diesem Gesetz heißt es u.a.: „Seit 1950 ist Jerusalem die Hauptstadt des Staates Israel… Von 1948 bis 1967 war Jerusalem eine geteilte Stadt und israelischen Bürgern aller Glaubensrichtungen wie auch jüdischen Bürgern aller Staaten wurde der Zutritt zu den heiligen Stätten in dem von Jordanien kontrollierten Gebiet verweigert. … 1967 wurde Jerusalem wiedervereinigt während des Konflikts, der der Sechs-Tage-Krieg genannt wird. … Seit 1967 ist Jerusalem eine vereinigte Stadt, die durch Israel verwaltet wird, und den Menschen aller religiöser Richtungen wird der Zutritt zu allen heiligen Stätten in der Stadt garantiert.“ Das Gesetz forderte die Regierung auf, Jerusalem als ungeteilte Hauptstadt anzuerkennen und bis 31. Mai 1999 die Botschaft in Jerusalem zu errichten.
Die vorangehenden Administrationen haben diesen Schritt, die Anerkennung Jerusalems als ungeteilte Hauptstadt Israels und die Verlegung der Botschaft nach Jerusalem, immer wieder hinausgeschoben. Trump ist ihn nun, allerdings nur halb, gegangen. Wie die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Niki Haley, zur Rechtfertigung der Entscheidung erklärt hat, ist die Entscheidung nur die symbolische Bestätigung einer Politik aller US-amerikanischen Administrationen. Diese haben – mit unterschiedlicher Rhetorik und mit unterschiedlichen Mitteln – die israelische Position gegenüber den Palästinensern bis jetzt bedingungslos unterstützt. Das Gesetz von 1995 lässt auch keinen Zweifel daran, dass Trump das ganze „ungeteilte“ Jerusalem und nicht nur West-Jerusalem als Hauptstadt Israels gemeint hat. Die Tatsache, dass er dennoch wieder den „Waiver“ unterzeichnet hat, mit dem der Umzug der Botschaft nach Jerusalem wiederum verschoben wird, hebt die Anerkennung aber nicht auf. Das bedeutet lediglich, dass die israelische Regierung weiter auf den Umzug zu warten hat, aber schon jetzt mit der Anerkennung bei weiteren Staaten werben kann, es der US-amerikanischen Regierung gleich zu tun.
Abgesehen von den unmittelbaren politischen Folgen und den langfristigen Auswirkungen dieser Entscheidung, die von den meisten Staaten als unnötige Provokation und Verletzung zahlreicher Resolutionen der UNO und des Völkerrechts verurteilt worden ist, stellt sich die Frage nach der völkerrechtlichen Bewertung. Dieser Frage soll hier in zwei Schritten nachgegangen werden, die den völkerrechtlichen Status Jerusalems untersuchen. Zunächst geht es um die Frage, wer die Souveränität über West- und Ost-Jerusalem nach der UN-Teilungsresolution 1947 und der Staatsgründung Israels 1948 erlangt hat. Sodann geht es um den rechtlichen Status von Jerusalem, nachdem Israel 1967 die ganze Stadt okkupiert hat.
1. Es besteht kein Streit darüber, dass Jerusalem während der 400jährigen Herrschaft – von 1517 – 1917 – des Osmanischen Reichs unter dessen ausschließlicher Souveränität gestanden hat. Ebenfalls ist unbestritten, dass die Kontrolle über Palästina nach dem Zerfall des Reichs auf Großbritannien überging. Zunächst bis 1922 als Kolonialmacht mit militärischen Mitteln und seit 1922 mit dem Mandat des Völkerbundes. Ob diese Kontrolle zugleich auch die Souveränität über die Stadt mit all den daraus erwachsenden Herrschaftsbefugnissen bedeutete, oder ob die Souveränität bei dem Völkerbund lag, wird unterschiedlich beurteilt.
Am 18. April 1946 wurde der Völkerbund aufgelöst. Doch zuvor hatte die Versammlung entschieden, die Verwaltung der Mandatsgebiete zum Wohl der Bevölkerungen fortzusetzen, bis die Vereinten Nationen eine andere Regelung mit den Mandatsmächten treffen würden. Diese Abmachung wurde auch von Israel und Jordanien unmittelbar nach ihrer Gründung 1948 anerkannt. Dies spricht dafür, dass die Souveränität über die Mandatsgebiete vom Völkerbund auf die Vereinten Nationen überging, Großbritannien aber Mandatsmacht blieb. Denn mit der berühmten Teilungsresolution Nr. 181 vom 29. November 1947 empfahl die Generalversammlung der UNO „dem Vereinigten Königreich als Mandatsmacht von Palästina und allen anderen Mitgliedern der Vereinten Nationen die Annahme und Durchsetzung des Teilungsplans mit einer Ökonomischen Union in Bezug auf die zukünftige Regierung von Palästina“. Für Jerusalem sah der Teilungsplan in Teil III vor: „Die Stadt Jerusalem soll als eine getrennte Einheit (corpus separatum) unter einem besonderen Internationalen Regime errichtet und durch die Vereinten Nationen verwaltet werden. Der Treuhandrat soll dazu bestimmt werden, die Verantwortung der Verwaltungsbehörde im Namen der Vereinten Nationen zu übernehmen.“
Der Teilungsplan wurde von Großbritannien akzeptiert, von den arabischen Staaten aber abgelehnt. Jerusalem jedoch war faktisch geteilt und der Westen unter israelische, der Osten unter jordanische Verwaltung gestellt. Israel akzeptierte dabei, dass der rechtliche Status von Jerusalem (corpus separatum) nur mit einer internationalen Übereinkunft bestimmt werden könne. In den Worten des damaligen israelischen Repräsentanten bei der UNO, Abba Eban: „Die israelische Regierung wird auch in Zukunft ein Übereinkommen mit den arabischen Interessen über den Erhalt und die Bewahrung des Friedens und die Wiederöffnung des blockierten Zugangs nach und in Jerusalem suchen. Verhandlungen darüber berühren aber nicht den rechtlichen Status von Jerusalem, der nur durch internationale Übereinkunft bestimmt werden kann.“ Auch spätere Äußerungen, z.B. von Moshe Sharett, hielten sich an die klare Linie, Entscheidungen über den Status von Jerusalem nur im Rahmen der Vereinten Nationen zu suchen. Israel konnte also nur mit der Zustimmung der Vereinten Nationen Souveränität über West- oder Ost-Jerusalem erlangen.
Jordanien, obwohl wie alle anderen arabischen Staaten gegen die Teilungsresolution, akzeptierte die Autorität der UNO über die zentralen Entscheidungen über Jerusalem. Als es 1955 Mitglied der UNO wurde, stimmte es auch zugunsten der verschiedenen Resolutionen der Generalversammlung. Auch Jordanien konnte also wie Israel keinen einseitigen Titel über Jerusalem erwerben. Dies war schon gar nicht möglich durch seine Besetzung Jerusalems während des Krieges unmittelbar nach der Staatsgründung Israels. Sie war ein eindeutiger Verstoß gegen das Gewaltverbot gem. Art. 2 Zif. 4 UN-Charta und konnte keinen Souveränitätsanspruch begründen.
Die Besetzung West-Jerusalems durch Israel wird jedoch von einigen vorwiegend israelischen und US-amerikanischen Autoren anders eingeschätzt. Diese Besetzung sei rechtmäßig, da in Reaktion auf die jordanische Besetzung und in Selbstverteidigung gem. Art. 51 UN-Charta erfolgt. Israel habe daher nicht nur die Kontrolle, sondern auch Souveränität über West-Jerusalem erringen können. Dies sei auch deswegen möglich gewesen, weil die UNO darauf nicht reagiert und dadurch die neue rechtliche Situation akzeptiert habe. Beide Argumente vermögen jedoch die Schlussfolgerung nicht zu tragen, wie Antonio Cassese noch einmal 2008 überzeugend nachgewiesen hat.
Selbst wenn die Besetzung West-Jerusalems in Selbstverteidigung rechtmäßig gewesen war, so vermag sie doch keine dauerhaften Souveränitätsrechte über das besetzte Gebiet zu begründen. Selbstverteidigung gem. Art. 51 UN-Charta richtet sich gegen einen Angriff und erlaubt die Besetzung fremden Territoriums nur solange, bis die UNO eingreift. Die Besatzungsmacht kann lediglich eine faktische Kontrolle über das Gebiet ausüben, einen weiteren rechtlichen Titel verschafft sie nicht. Auch das Schweigen der UNO zu der Besetzung kann die de facto Kontrolle nicht in einen Rechtstitel zur Souveränität verwandeln. So bedeutete die Aufnahme Israels und Jordaniens in die UNO keine rechtliche Anerkennung ihrer Souveränität über Jerusalem. Dies wurde seinerzeit auch von US-Außenminister John F. Dulles betont. Im Dezember 1949, nach der Aufnahme Israels in die UNO, schlug die UNO noch einmal die Internationalisierung Jerusalems unter Aufsicht des Treuhandrats vor. Die Stadt blieb ein corpus separatum, welches auch die USA in zahlreichen Erklärungen immer wieder bestätigt haben. So bekräftigte der US-amerikanische Generalkonsul am 30 Dezember 1958 in einem Bericht an das Außenministerium: „Die Mehrheit der UN-Mitgliedsländer, einschließlich der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, respektieren nach wie vor die Resolutionen der UNO trotz der de facto Besatzung Jerusalems, teils durch Israel, teils durch Jordanien…Viele andere Staaten drücken ihren Respekt für die Internationalisierungs-Resolutionen dadurch aus, dass sie ihre Botschaften in Tel Aviv einrichten und so die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels, und damit als Israels de facto souveränes Territorium, vermeiden.“ Daran hat sich bis 1967 auch nichts geändert.
2. Im Juni 1967 besetzte Israel im sog. Sechs-Tage-Krieg Ost-Jerusalem . Die Knesset verabschiedete am 27. Juni 1967 ein Gesetz, auf dessen Basis die israelische Regierung dann im Juli1967 ganz Jerusalem in ihre kommunalen und Verwaltungsstrukturen integrierte. Dies wurde in den Folgejahren von israelischen Gerichten immer wieder bestätigt. Schließlich verabschiedete die Knesset am 30. Juli 1980 ein „Basic Law“, mit dem sie ganz Jerusalem faktisch annektierte, d. h. zu einem integralen Teil und zur „ungeteilten“ Hauptstadt Israels machte.
Diese Annexion widersprach allen Regeln des Völkerrechts und wurde besonders nach 1980 vom UNO-Sicherheitsrat wie von der Generalversammlung verurteilt und für null und nichtig erklärt. Als Israel im Oktober 1990 eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, mit der er die militärische Besatzung Ost-Jerusalems rügte, zurückwies und einer Untersuchungskommission des UN-Generalsekretärs die Einreise verweigerte, verabschiedete der Sicherheitsrat sofort eine neue Resolution (Res. 673), mit einer erneuten Rüge und Warnung an Israel. Die Ablehnung dieses Schritts der israelischen Regierung war einmütig in der Staatenwelt. Selbst US-Präsident George Bush warnte Israel, keine neuen Siedlungen für die neu angekommenen sowjetischen Juden in Ost-Jerusalem zu errichten. Israel beachtete zwar all die Warnungen nicht, konnte aber keine Souveränität über das von ihm besetzte Jerusalem erlangen. Auch das alte Völkergewohnheitsrecht, nach dem Gebiete ohne staatliche Verfassung und Zugehörigkeit, sog. terra nullius, durch Okkupation erworben werden konnten, hatte nach 1945 unter dem neuen Recht der UNO-Charta keinen Platz mehr. Territorien, die mit Gewalt erobert werden, können nicht in die Souveränität des Eroberers eingegliedert, sondern müssen wieder verlassen werden
Dennoch hat es immer wieder Versuche gegeben, Israels Souveränität über Jerusalem völkerrechtlich zu begründen. Das zentrale Argument ist, dass die UNO den durch die Generalversammlung 1947 in der Teilungsresolution empfohlenen Status der Internationalisierung (corpus separatus) für Jerusalem im Verlauf der Jahre aufgegeben habe. Die Besatzung sei daher von der Kontrolle in die Ausübung souveräner Gewalt erstarkt. Die Autoren verweisen dabei darauf, dass die UNO sich in ihren zahlreichen Resolutionen nach 1967 darauf beschränkt haben, den Rückzug aus Ost-Jerusalem nach West-Jerusalem zu fordern. Das sei ein Anzeichen dafür, dass die UNO offenbar nicht mehr zu dem Konzept der Internationalisierung stehe. Zumindest habe Israel damit Souveränität über West-Jerusalem erlangt und übe als rechtmäßige Besatzungsmacht die Kontrolle über Ost-Jerusalem aus.
Doch etliche Gründe sprechen gegen diese Position. Zunächst hat die UNO niemals die Besetzung Ost-Jerusalems durch Israel akzeptiert. Sie hat darüber hinaus aber auch niemals die Souveränität Israels über West-Jerusalem akzeptiert. Die Forderung, Israels Truppen sollten sich aus Ost- nach West-Jerusalem zurückziehen, bedeutet nur die Anerkennung der faktischen Besatzung. Souveränität kann auch nicht durch langjährige Besatzung ersessen werden. Die UNO hat nie ein endgültiges Modell für Jerusalem empfohlen. Der Vorschlag der Internationalisierung wollte lediglich die Entscheidung über den endgültigen rechtlichen Status offen halten. Ob eine Teilung der Souveränität zwischen zwei Staaten oder die endgültige Internationalisierung als ein corpus separatum, diese Entscheidung ist immer noch offen, d. h. der endgültige Status Jerusalems soll nach den Vorstellungen der UNO mit ihrer Autorisierung durch einen internationalen Vertrag beschlossen werden. Beide Alternativen werden von unterschiedlichen Staaten befürwortet. Die EU hat immer an dem Konzept des corpus separatum für Jerusalem festgehalten. Der Europarat hat am 13. Juni 1980 festgestellt, dass die (damals) neun Staaten keine einseitige Maßnahme akzeptieren, die den Status Jerusalems verändert, und dass jede Vereinbarung über den Status den freien Zugang zu allen Heiligen Stätten garantieren muss.
A. Cassese hat das Dilemma, in dem das Völkerrecht gegenüber der Machtpolitik wieder einmal steckt, treffend benannt.: “Im Fall von Jerusalem begegnen wir einer bemerkenswerten Situation: ein Zustand, der durch militärische Gewalt geschaffen worden ist und sich jetzt vollkommen im täglichen Leben der Stadt eingepflanzt hat, wird von keinem anderen Mitglied der Weltgemeinschaft akzeptiert, und wird deshalb weder durch nationales noch internationales Recht anerkannt. Das Prinzip der Effektivität wird durch das der Legalität verdrängt, obwohl die Vereinten Nationen – die Schöpfer und Verkünder der internationalen Legalität – nicht in der Lage sind, es durchzusetzen.“
Trumps Auftritt im Porzellanladen des Völkerrechts könnte allerdings doch eine Entwicklung mit sich bringen. Indem er die Eskalation weiter zuspitzt und die Verhältnisse derart zum Tanzen bringt, könnten die anderen Staaten sie endlich als so unerträglich begreifen, dass sie sich von ihrem Opportunismus der stillschweigenden Duldung trennen und ihr Handeln an den Prinzipien der UN-Charta orientieren, die sie immer selbst für ihre Politik propagieren.