Abbas’ Befreiungsschlag

Palästinenserführung bemüht sich angesichts der Kompromißlosigkeit Israels verstärkt um internationale Anerkennung.
Von Knut Mellenthin

Präsident Mahmud Abbas hat am Dienstag Anträge für die Aufnahme Palästinas in 15 Unterorganisationen der UNO und internationale Abkommen unterzeichnet. Der Vorgang wurde live im palästinensischen Fernsehen übertragen. Worum es sich dabei im einzelnen handelte, wurde zunächst nicht mitgeteilt. Nach Aussagen anonymer palästinensischer Offizieller zählt zu den von Abbas unterschriebenen Dokumenten auch die Vierte Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten. US-Außenminister John Kerry sagte aufgrund dieser Aktion ein für Mittwoch verabredetes Treffen mit Abbas ab.

Die palästinensische Seite hatte zu Beginn der von der US-Regierung inszenierten »Friedensverhandlungen« mit Israel im vergangenen Juli zugesagt, daß sie während der von vornherein auf neun Monate befristeten Gespräche keine Schritte unternehmen werde, um eine verstärkte internationale Anerkennung zu erreichen. Die jetzt von Abbas unterzeichneten Anträge stellen einen Verstoß gegen diese freiwillige Selbstbeschränkung dar. Der Präsident hatte sich dafür zuvor die Billigung der Führungsgremien der PLO und der Fatah geholt, die einstimmig erfolgte.

Die Palästinenserführung reagierte damit auf den Bruch der Vereinbarungen durch Israel. Die israelische Regierung hatte als Voraussetzung für die Aufnahme der Gespräche die Freilassung von insgesamt 104 palästinensischen Langzeitgefangenen versprochen. Es geht dabei um Personen, die schon vor dem Beginn des sogenannten Oslo-Friedensprozesses 1993 verurteilt worden waren. Die Freilassung sollte in vier Schüben erfolgen. Die letzten 26 dieser Gefangenen hätte Israel vereinbarungsgemäß am Sonnabend aus der Haft entlassen müssen. Premier Benjamin Netanjahu weigerte sich jedoch, diese Verpflichtung zu erfüllen.

Abbas erklärte am Dienstag zur Unterzeichnung der 15 Anträge, daß sich dieser Schritt »gegen niemand« richte und ganz besonders nicht gegen die US-Regierung, die »große Anstrengungen« unternehme und zu der man weiter »gute Beziehungen« unterhalten wolle. Er werde aber nicht davor zurückschrecken, weitere Aufnahmeanträge für noch mehr UN-Organisationen und Abkommen zu unterschreiben, falls Israel sich dauerhaft weigern sollte, wie versprochen die 26 Gefangenen freizulassen.

Der Zeitrahmen von neun Monaten, der im vorigen Jahr für die »Friedensverhandlungen« vereinbart wurde, endet ohnehin am 29. April. Es gab während der Gespräche offenbar nicht die geringsten praktischen Fortschritte. Das war vorhersehbar, da Premier Netanjahu Chef einer Partei ist, die in ihrem Programm die Bildung eines Palästinenserstaats kategorisch ablehnt und ausschließt. Netanjahus wichtigster Koalitionspartner, die rechtsextreme Partei Ha’Bajit Ha’Jehudi, würde jedes Abgehen Netanjahus von dieser Linie sofort als Anlaß zum Bruch des Regierungsbündnisses nehmen. Netanjahu beharrte während der Gespräche auf der zeitlich unbegrenzten militärischen Besetzung des Jordantals und auf dem Fortbestand sämtlicher jüdischer Siedlungen in den besetzten Gebieten.

Hatte Kerry zu Beginn der Gespräche noch behauptet, innerhalb von neun Monaten ein Friedensabkommen erreichen zu können, reduzierte er das später auf die Vereinbarung eines nicht einmal schriftlich fixierten »Rahmenwerks« und strebt inzwischen sogar nur noch eine Verlängerung des Zeitlimits bis Ende des Jahres an. Um das zu erreichen, macht die US-Regierung anscheinend beiden Seiten Versprechungen, über deren Inhalt es bisher nur Gerüchte gibt. Angeblich hat Washington die Begnadigung des israelischen Spions Jonathan Pollard angeboten, der 1987 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Im Gegenzug solle Israel sich verpflichten, bis zu 400 palästinensische Gefangene freizulassen, die wegen geringer Delikte verurteilt wurden, darunter viele »Frauen und Kinder«, wie es heißt.

Quelle (mit freundlicher Genehmigung): junge welt v. 03.04.14