„Der Grundfehler liegt in der Identifizierung des Judentums mit dem Zionismus“

Prof. Dr. Dr. theol. h.c. Johannes Wallmann, emeritierter Ordinarius für Kirchengeschichte an der Universität Bochum, kritisiert in einem Brief an Friedhelm Pieper, Präsident des Koordinationsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, heftig eine Broschüre des Ev. Arbeitskreises für das christlich-jüdische Gespräch zum Thema „Israel und Palästina zwischen Besetzung und Bedrohung“. Die Broschüre ist hier zugänglich: https://unsere.ekhn.de/detail-unsere-home/news/israel-und-palaestina-zwischen-besetzung-und-bedrohung.html

Wallmann trifft mit seiner Grundthesen ins Schwarze: „Der Grundfehler liegt in der Identifizierung des Judentums mit dem Zionismus, der das ganze Heft durchzieht, und keinen Raum lässt für ein Judentum, das nicht zionistisch ist.“

Hier der Brief:

Sehr geehrter Herr Pfarrer Pieper,

heute erreicht mich Ihr Brief, der statt einer Antwort auf meine Frage wegen Martin Buber, die Ihnen wohl schwer fällt, das Heft „Israel und Palästina. Volk, Land, und Staat zwischen Besetzung und Bedrohung“ enthält,das der Evangelische Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau herausgegeben hat.

Ich habe mir das Heft inzwischen angesehen, finde es interessant, halte es aber im Ganzen für parteiisch und wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügend. Obwohl das Heft zu Recht feststellt, daß die evangelische Kirche keine einheitliche Position zum Staat Israel bezieht (S.61), sondern die einzelnen Landeskirchen ihre zum Teil verschiedene Positionen haben, übernimmt das Heft voll die Positionen der Landeskirche Hessen-Nassau und ist insofern ein Papier, das im Gespräch der Landeskirchen diskutiert werden muß. Ich will Ihnen, ohne in Ermahnungen zu fallen, wie Sie es in Ihrem Brief an mich tun, rein beschreibend zeigen, warum ich dieses Papier für unwissenschaftlich halte.

Der Grundfehler liegt in der Identifizierung des Judentums mit dem Zionismus, der das ganze Heft durchzieht, und keinen Raum läßt für ein Judentum, das nicht zionistisch ist. Als ich mich nach meinem Vortrag vor dem American Jewish Committee in Manhattan 1983 wegen der Flugkarte einige Tage in New York aufhalten mußte, befreundete ich mich mit Edward Gershfield, Professor des Talmud am Jewish Theological Seminary of America, der mir die Sehenswürdigkeiten von New York zeigte. Als wir an einem Haus vorbeifuhren, in dem die verschiedenen Denominationen der USA ihre Büros hatten, fragte ich ihn, habt Ihr Juden auch so etwas, wie wir Christen eine Ökumenische Bewegung haben ? Er antwortete mir, nein, das Judentum muß als ein plurales Phänomen wahrgenommen werden und kann und nicht als Einheit verstanden werden. Ihr Deutschen,sagte er mir, habt vor 1933 noch das Judentum als ein plurales Phänomen erlebt. Heute habt ihr eine jüdische Einheitsgemeinde, Ihr wißt gar nicht, was Judentum wirklich ist.

Ich habe mir dies zu Herzen genommen.Als Walter Homolka erstmals das liberale Judentum vorstellte,habe ich mich um eine Rezension in der ThLZ bemüht. Meine Rezension schloß mit den Worten, „Man kann nur hoffen,daß die evangelische Theologie das Angebot, mit der liberalen jüdischen Theologie ins Gespräch zu kommen, annimmt.“ (ThLZ 142/2017/1312). Ich erhielt daraufhin eine Postkarte aus Jerusalem von Homolka mit Dank, daß ich das liberale Judentum so gründlich dargestellt hatte. Aber für die evangelische Theologie hatte ich vergeblich geschrieben. Niemand nahm meine Rezension zur Kenntnis. Nichts hat sich geändert im Verständnis des Judentums bei der evangelischen Kirche.Das Judentum wird heute nur als das zionistische Judentum im Sinne des Zentralrats wahrgenommen.

Mark Braverman, ein führender Vertreter des nordamerikanischen Antizionismus, hält in Deutschland, in Köln,Bremen und anderswo Vorträge und veröffentlicht die Bücher: Verhängnisvolle Scham.Israels Politik und das Schweigen der Christen und sein neuestes Buch Die Mauer überwinden.Eine Vision für Israelis und Palästinenser (Gütersloh 2011). Der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD Manfred Kock, der mit ihm in Köln aufgetreten ist, sieht in diesen Bücher, auch wenn er die Israelkritik Bravermans für überzogen hält, wichtige Aspekte für das kirchliche Leben. Aber von der evangelischen Kirche werden Bravermans Bücher nicht zur Kenntnis genommen. Die EKD hält sich an die vom jüdischen Zentralrat aufgestellte Behauptung, Judentum gebe es nur in der Form des Zionismus.

Dem Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen-Nassau ist die ThLZ, die sich als oberstes Organ für theologische Kritik versteht, unbekannt. Ich habe dort nicht nur das Buch über das liberale Judentum rezensiert, sondern auch Sibylle Biermann-Rau An Luthers Geburtstag brannten die Synagogen, das trotz meiner Mahnung, die evangelische Kirche sollte diesem fragwürdigen Buch keine Beachtung schenken (ThLZ 140, 2015, 510-512) beim Reformationsjubiläum für die EKD eine große Rolle gespielt hat. Auch wenn meine Rezensionen nicht gelesen werden, müßte der Arbeitskreis ImDialog die vernichtende Kritik zur Kenntnis nehmen, die das von ihr geförderte Projekt Andreas Pangritz, Luther und der Antisemitismus dort bekommen hat (ThLZ 143/2019/3,226-231). Was dieser Arbeitskreis zur Veröfffentlichung bringt, wird man mit Vorsicht zur Kenntnis nehmen müssen.

Rolf Verleger, Sohn eines Auschwitz Überlebenden, Antizionist, der den Antizionismus sogar in einer Reihe von Büchern vertritt, wird von der evangelischen Kirche als Jude gar nicht wahrgenommen. Er hat zuerst das Buch Israels Irrweg. Eine jüdische Sicht (1986) veröffentlicht. Vor zwei Jahren ist Hundert Jahre Heimatland. Judentum und Israel zwischen Nächstenliebe und Nationalismus (2017) erschienen. Wegen seines Antizionismus hat er seinen Sitz im Zentralrat verloren und wird wegen seiner Kritik an der israelischen Besatzungspolitik vom Zentralrat als jüdischer Antisemit angesehen. Er war Laudator, als Daniel Barenboim für sein West-Östliches Diwanorchester einen Preis erhielt. Daniel Barenboim wird für sein nach der Verkündung des neuen israelitischen Nationalitätengesetzes Ausruf in der Zeit: „Ich schäme mich heute, ein Israeli zu sein“ in der evangelischen Öffentlichkeit auch nicht wahrgenommen. Daß Rolf Verleger vom zionistischen Zentralrat als Repräsentant des Judentums nicht anerkennt wird, wird man als eine innerjüdische Angelegenheit respektieren müssen. Daß ihn aber die evangelische Kirche nicht als Juden wahrnimmt, sondern den Mantel des Schweigens über ihn ausbreitet, kann man als evangelischer Theologe nicht unwidersprochen hinnehmen. Man muß geradezu von Antisemitismus der evangelischen Kirche reden, wenn man an die Behandlung Rolf Verlegers in der evangelischen Kirche denkt.

Dabei haben sich der von Rolf Verleger gebildeten Bewegung BIB (Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung) auch namhafte evangelische Theologen angeschlossen wie z.B. der Bürgermeister von Jena, ein ehemaliger evangelischer Pfarrer. Aber die evangelische Kirche will nur dem jüdischen Zentralrat folgen. Rolf Verleger und das BIB nimmt sie einfach nicht zur Kenntnis. Ich halte das für einen Skandal.

Ein weiterer Punkt ist die „Nakba“, die auf S.17 und S.47 erwähnt wird. Daß das Leiden der Palästinenser ernst genommen werden soll, erkennt man an dem Beitrag von Rainer Stuhlmann, dessen Kritik an der israelischen Besatzungpolitik dazu führte, daß eine gemeinsame Fahrt der rheinischen Landeskirche mit den jüdischen Gemeinden des Rheinlandes scheiterte. Es sollen in diesem Heft also beide Perspektiven, die israelische wie die palästinensische zu Wort kommen. Aber tut sie da? In einem Heft „Israel und Palästina“ hätten die seit 2008 in annähernd 150 europäischen Städten stattfindenden Ausstellungen “Die Nakba – Flucht und Vertreibung in Palästina 1948“ erwähnt werden müssen, die von Ingrid Rumpf organisiert werden und in diesem Jahr in der Volkshochschule Reutlingen stattfinden. Nach Frau Rumpfs Überzeugung ist in Deutschland zu wenig bekannt, wie sehr die Erfahrung der „Nakba“ die Identität der Palästinenser bestimmt. Im Nachkriegsdeutschland habe man ganz überwiegend das israelische Verständnis dieses Zeitabschnitts verinnerlicht. Die Ausstellung will die palästinensische Sichtweise in den Blick nehmen. Die Ausstellung ist von einer langen Reihe vornehmer Autoritäten gefördert worden. Ich rate, einmal die Rede zu lesen, die der jüdische Philosophieprofessor Ernst Tugendhat bei der Eröffnung der Ausstellung in Tübingen am13.6.2010. gehalten hat, um der Behauptung zu begegnen, diese Ausstellung enthalte eine den Deutschen nicht anstehende Kritik an Israel. Doch die Nakba- Ausstellungen werden in dem neuen Heft mit keinem Wort erwähnt. Vermutlich gehört der EAKHN zu den Betreibern, die seit einiger Zeit einer Nakba – Ausstellung, wo immer sie gezeigt wird, Hemmschuhe in den Weg legen. Wegen der Nichterwähnung der Nakba-Ausstellungen ist dem Heft des EAKHN jede Form der Zeitgemäßheit und Wissenschaftlichkeit abzusprechen. Auf dem Kirchentag in Dortmund werden aber die Nakba-Ausstellungen gezeigt werden. Man kann gespannt sein, wie sich der EAKHN dazu verhält.

Ein entscheidender Punkt ist, daß das Heft an der illusionären Vorstellung, Deutschland sei der beste Freund Israels, festhält und nicht zur Kenntnis nimmt, welche Veränderungen sich in den letzten Jahren vollzogen haben, denen zufolge Israel heute ein rechtsradikaler Staat geworden ist. Insofern ist dieses Heft ohne Bezug auf die gegenwärtige Situation und vertritt allgemeine Wahrheiten, die faktisch ohne Bedeutung für die heutige Wirklichkeit sind. Tatsächlich war Deutschland für lange Jahre der beste Freund Israels und unterstützte es gegen alle Kritik, die sich in den anderen europäischen Ländern gegen die israelische Besatzungspolitik aussprach.Seit einigen Jahren hat Deutschland die Rolle als Israels bester Freund verloren und hat, wie man als Leser der israelischen liberalen Tageszeitung Haaretz erfährt, diese Rolle an Victor Orbàn abgetreten.

Am 21.Dezember 2018 haben Shimon Stein und Moshe Zimmermann in einem FAZ – Artikel „Der instrumentalisierte Antisemitismus“ vor dem Bündnis gewarnt, das Donald Trump in den USA mit Hilfe der Evangelikalen schmiedet, einem christlich-jüdischen Bündnis gegen den Islam. Beide fürchteten, daß dieses von Netanjahu in Israel akzeptierte und geförderte Bündnis auch in Deutschland rezipiert werde. Ich habe in einem Leserbrief diese Warnung unterstützt und darauf hingewiesen,daß Abraham Geiger, der bedeutendste jüdische Gelehrte des 19.Jahrhundert, sich mit dem Christentum nur aus Pflicht, mit dem Islam aber aus Liebe beschäftigt habe. Auch wies ich auf die Bedenken eines liberalen Rabbiners gegen die Sonderrolle hin, die dem christlich-jüdischen Dialog in den christlichen Kirchen gegeben wird. Inzwischen unternimmt man auch in den Landeskirchen Versuche zur Verständigung mit den Muslims. Daß das von Trump arrangierte Bündnis im gegenwärtigen Israel eine große Rolle spielt, erfährt man im Heft „Israel und Palästina“ mit keinem Wort. In der evangelischen Presse findet man in idea-Spectrum, das in Württemberg und Sachsen eine stark von den amerikanischen Evangelikalen geprägte Leserschaft hat, deutliche Spuren dieses christlich-jüdische Bündnis gegen den Islam.Spuren finden sich bis hin zu PEGIDA, wo auf den Demonstrationen israelische Flaggen gezeigt wurden. Für Hessen-Nassau scheint das nicht aktuell zu sein.Aber für Israel ist das aktuell.

Shimon Stein und Moshe Zimmermann haben ihre Warnung in einem Artikel Nicht den falschen Antisemitismus jagen in der FAZ vom 31.5.2019, also erst vor wenigen Tagen, kräftig wiederholt. Sie kritisieren den Beschluß des deutschen Bundestages und namentlich den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein, jegliche Kritik an Israel aufgrund von Beziehungen zu der Boycottbewegung BDS zu verbieten. Deutlich bringen Sie zum Ausdruck, daß die Minderheit der um den Fortbestand der Demokratie besorgten liberalen Juden Israels Unterstützung von uns Deutschen erwartet. „Handelt es sich nicht überdies um einen Versuch, über die antisemitischen Teile der BDS-Bewegung hinaus jegliche Kritik an der israelischen Politik zu ersticken?“ Welche Wirkung dieser Artikel von Stein-Zimmermann in der Öffentlichkeit hat, bleibt abzuwarten.

Daß Moshe Zimmermann Kritik an der israelischen Besatzung für notwendig hält, erkennt man an seinem Votum für die Erteilung des Göttinger Friedenspreises 2019 an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Doch auf Einspruch von Joseph Schuster,dem sich der Antisemitismusbeauftragte Klein anschloß, durfte der Preis nicht in der Göttinger Universität verliehen werden. Am 19.3. dieses Jahres sah man ein weißes Plakat an der Tür der Göttinger Universität: „Juden heute hier unerwünscht.“ Daß ein solches Plakat an einer deutschen Universität noch einmal zu lesen ist, ist für mich,egal von wem es stammt (vermutlich haben es die Autoren der jüdischen Stimme selbst verfertigt) schlimmer als das „Kauft nicht bei den Juden“, an das man sich bei der BDS Bewegung erinnert.

Sie haben mir, hochverehrter Herr Pieper, das Heft „Israel und Palästina“ als Antwort
auf meine Frage wegen Martin Buber geschickt.Martin Buber wird auf S.47 mit zwei Zitaten gebracht, dazu in der rechten Ecke eine Erwähnung eines islamischen Gelehrten. Aber es wird mit keinem Wort erwähnt, daß Buber, wie ich Ihnen mit den Worten von Edna Brocke berichtete, in Israel heute vergessen ist und nichts mehr gilt.Was Buber von einem jüdischen Staat Israel gehalten hat, wissen wir aus den Worten, die er Probst Heinrich Grüber während des Eichmannprozesses gesagt hat besser als aus den Akzeptationsformeln von 1985, die S.47 unten abgedruckt sind. Das Heft „Israel und Palästina“ ist für deutsche Bildungsbürger bestimmt, die sich an die Schriften von Martin Buber erinnern, zu denen Sie wie ich gehören. Es sollte aber für die deutsche Jugend bestimmt sein, die nach Israel reisen und dort erleben wird, daß Buber dort unbekannt ist und nichts gilt. Für die heutige Wirklichkeit in Israel kann die Jugend, die wir für die Zukunft vorzubereiten haben, nur an Martin Buber als Kritiker der heutigen Wirklichkeit Israels erinnert werden. Sie wissen, sehr geehrter Herr Pieper, daß ich nicht der erste bin, der Sie an Martin Buber erinnert. Rupert Neudeck hat das schon vor Jahren getan. Ich bleibe bei dem, was ich Ihnen in meinem letzten Brief geschrieben habe: „Wenn Sie weiterhin einen Preis vergeben, der nach seinem Namen genannt ist, ohne die Politik Israels zu kritisieren, versündigen Sie sich an ihm.“

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Johannes Wallmann

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