Das Goethe-Institut in Tel Aviv hatte für den 9.11. zu einer Podiumsdiskussion geladen. Nach empörten Protesten wird die Veranstaltung vertagt.
BERLIN/TEL AVIV taz | Konstruktiv werde das Buch zur Debatte beitragen. Zumindest war dies die Hoffnung des Rezensenten in der Frankfurter Rundschau. In einer begeisterten Besprechung des Buches „Den Schmerz der Anderen begreifen“ schrieb Micha Brumlik im Sommer: Dem Buch der Autorin Charlotte Wiedemann könne es gelingen, die festgefahrenen Fronten in der Diskussion über das Verhältnis von kolonialen Gräueltaten und nationalsozialistischem Judenmord und die Singularität der Shoah wieder aufzulockern.
Das ist bislang offenbar nicht gelungen. „Inakzeptabel und respektlos!“ – mit diesen Worten hat Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin, nun eine Podiumsdiskussion zu dem Buch skandalisiert, die das Goethe-Institut mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv ursprünglich für diesen Mittwoch, den 9. November, geplant hatte – den Jahrestag der Reichspogromnacht.
Nach einem breiten Aufschrei haben die Veranstalter die Diskussion nun auf Sonntag verlegt. Auch der Untertitel der Veranstaltung, der wohl der eigentliche Stein des Anstoßes gewesen sein dürfte – „Holocaust, Nakba und deutsche Erinnerungskultur“ –, verschwand am Dienstag von der Webseite des Goethe-Instituts.
„Am Gedenktag an die Novemberpogrome 1938 haben das Goethe-Institut und die Rosa-Luxemburg-Stiftung beschlossen, die Erinnerung an den Holocaust zu verharmlosen. Und das ausgerechnet in Israel“, kritisierte Botschafter Prosor auf Twitter.
Das Außenministerium in Jerusalem äußerte am Dienstag „Erschütterung und Abscheu angesichts der dreisten Trivialisierung des Holocaust“ und unterstellte eine „zynische und manipulative Absicht, eine Verbindung (zwischen Holocaust und Nakba, d. Red.) herzustellen, deren ganzes Ziel die Diffamierung Israels ist“. Auf die Verschiebung folgte eine weitere Mitteilung: Die Veranstaltung sei allgemein eine „Schande“ und dürfe „an keinem Datum“ stattfinden.
Mit dem Wort Nakba (Katastrophe) bezeichnen Palästinenser*innen und andere Araber*innen die mit der Staatsgründung Israels 1948 verbundene Flucht und Vertreibung von großen Teilen der arabischen Bevölkerung aus dem damaligen Mandatsgebiet Palästina. Dabei kam es teilweise auch zu Massakern an Zivilist*innen.
Für hunderttausende Menschen bedeutete die Gründung eines mehrheitlich jüdischen Staates, auf die mehrere arabische Staaten mit einem Angriffskrieg reagierten, den dauerhaften Verlust ihrer Heimat. Nach aktuellem Stand der Forschung verließen zwischen 1947 und 1949 zwischen 700.000 bis 750.000 Menschen das heutige israelische Staatsgebiet.
Bei der Veranstaltung solle es nicht um einen Vergleich mit dem Holocaust gehen, kommentierte einer der Diskutant*innen am Mittwoch gegenüber Haaretz. Vielmehr sei die Frage, „wie es möglich ist, katastrophale Erinnerungen an Ereignisse zu verarbeiten, die sich in einer Situation des Konflikts, der Besatzung und der Apartheid stark voneinander unterscheiden, und wie die Arbeit der gemeinsamen Erinnerung uns vielleicht auch einer politischen Lösung näher bringen könnte“, so Amos Goldberg von der Fakultät für jüdische Geschichte und zeitgenössisches Judentum an der Hebräischen Universität in Jerusalem.
Quelle: taz v. 09.11.2022. Der vollständige Artikel aus der Taz hier