Am 17.12.2022 hat der „Zusammenschluss internationalistischer Linker in Bremen“ per mail die folgende bemerkenswerte Stellungnahme verschickt, die wir hier dokumentieren. Die Stellungnahme bezieht sich auf eine „Buten-un-Binnen“-Sendung von Radio Bremen vom 11. November 2022.
Als Zusammenschluss von internationalistischen Linken in Bremen möchten wir euch folgende Stellungnahme in Reaktion auf den buten un binnen Beitrag über fridays for future und Palästina spricht schicken:
Solidarität mit fridays for future und Palästina Spricht Bremen
Am 11. November 2022 wurde im Bremer Lokalfernsehen buten un binnen ein Beitrag des Journalisten Sebastian Manz gesendet, in dem fridays for future Bremen als antisemitisch bezeichnet wird. Hintergrund ist ein Redebeitrag, den die Gruppe Palästina Spricht auf der letzten Klimastreik-Demo gehalten hat, die von fridays for future organisiert wurde. Klimastreik-Demos seien dem Beitrag zufolge dadurch zum „Unort“, „Ort der Angst“ bzw. „unsicheren Ort“ für Juden und Jüd*innen geworden.
Wir sind schockiert über den undifferenzierten, einseitigen, oberflächlichen und diffamierenden Beitrag. Nach einer fundierten inhaltlichen Kritik oder differenzierten Auseinandersetzung mit Positionen sucht man vergebens. Als Begründung für den Vorwurf dient einzig und allein ein Verweis auf antisemitische Parolen, die Teilnehmende auf Demonstrationen gerufen hätten, die Palästina Spricht organisiert hat. Das scheint auszureichen, um die gesamte Organisation und alle, die mit ihr zusammen arbeiten, als antisemitisch und gefährlich darzustellen.
Wir erleben in den letzten Jahren zunehmend, wie palästinensische Stimmen in Deutschland unter dem Vorwurf des Antisemitismus zum Schweigen gebracht werden. Dabei wird jegliche Kritik an der Politik der israelischen Regierung als antisemitisch abgewehrt und mit unterschiedlichen Mitteln zum Schweigen gebracht. Der Vorwurf des Antisemitismus wird zunehmend genutzt, um u.a. rassistische Argumentationen zu begründen oder einen rassistischen Umgang zu verbergen.
Wir fragen uns: Gibt es irgendeine palästinensische Stimme, die von dem Verfasser als legitim anerkannt würde? Gibt es irgendeine Möglichkeit für Palästinenser*innen, systematische Menschenrechtsverletzungen durch die israelische Regierung (die oft berichtet und bewiesen wurden, auch von israelischen Menschenrechtsorganisationen) zu thematisieren, ohne als antisemitisch dargestellt zu werden? Und was soll die im Beitrag von dem FDP-Abgeordneten geäußerte Erwartung bedeuten, dass „alle politischen Kräfte in Deutschland“ „hinter Israel stehen“ sollten, angesichts dieser konsequenten Menschenrechtsverletzungen und einer rechten Regierung unter Beteiligung von Faschist*innen?
Die Gleichsetzung einer Kritik der Politik der israelischen Regierung mit Antisemitismus halten wir für gefährlich. Sie schwächt auch den notwendigen Kampf gegen Antisemitismus selbst. Die israelische Regierung und ihr Selbstverständnis vertritt nicht, wie von ihr propagiert, die Meinung aller Jüd*innen und Juden. Das machen linke Juden und Jüd*innen seit Jahrzehnten mit ihrer Kritik und ihrem Kampf gegen die Unterdrückung von Palästinenser*innen deutlich. Sie organisieren gemeinsam mit palästinensischen Aktivist*innen z.B. von Palästina Spricht Demonstrationen und andere Protestaktionen.
Kundgebungen, auf denen Palästina Spricht einen Redebeitrag hält, sind also kein Ort der Angst oder Unort für alle Juden und Jüd*innen, wie es der Beitrag suggeriert. Der Kampf gegen Antisemitismus und er Kampf gegen Rassismus und Unterdrückung von Palästinenser*innen gehören zusammen.
Dass die Gleichsetzung von Kritik an der israelischen Politik und Antisemitismus von deutschen Politiker*innen von CDU, über FDP bis Grüne und SPD vorangetrieben wird, wundert uns nicht. Dass sie aber auch in weiten Kreisen der linken Bewegung übernommen wird (bzw. schon lange vertreten wird), halten wir für bedenklich.
Wir halten eine linke und emanzipatorische Kritik gegenüber der Politik der israelischen Regierung sowie die Solidarität mit fortschrittlichen palästinensischen Bewegungen und Kräften für notwendig, genauso wie die Kritik an anderen Regierungen weltweit. Die Sichtbarmachung und Stärkung einer linken Perspektive und Solidarität ist auch wichtig, um reaktionären, rechten und fundamentalistischen Kräften auf beiden Seiten nicht das Feld zu überlassen und eine Auseinandersetzung mit vorhandenen antisemitischen und rassistischen Haltungen innerhalb der Bewegungen zu ermöglichen. Mit pauschalen Verurteilungen und Angriffen wie denen im bunten un binnen Beitrag ist dies jedoch nicht möglich.
Der Beitrag reproduziert jedoch nicht nur die Vorwürfe gegen palästinensische Aktivist*innen in Deutschland. Er diffamiert darüber hinaus auch bewusst und gezielt eine Gruppe von limaaktivist*innen, die in den letzten Jahren extrem wichtige Proteste insbesondere unter jungen Leuten organisiert und voran getrieben hat. Es ist klar, dass so ein reißerischer Beitrag die Arbeit von fridays for future und ihre Mobilisierungsfähigkeit nachhaltig schädigen kann. Wir erleben aktuell, wie Politik und Justiz versuchen, die Klimabewegung zu delegitimieren, zu kriminalisieren und mit Repression zu überhäufen. Man kann vermuten, dass die Politik damit den Boden bereitet für den Kampf gegen zunehmende Klimaproteste angesichts des Ausmaßes und der Schnelligkeit, mit der der Klimawandel voranschreitet. Der Beitrag von Sebastian Manz leistet dieser Kriminalisierung der Klimabewegung bewusst Vorschub. Dies zeigt auch die Entscheidung, ausgerechnet das Zitat des FDP-Abgeordneten mit in den Beitrag zu nehmen, in dem dieser betont, der Vorfall mache die „zunehmende Radikalisierung der Klimabewegung“ deutlich.
Der genannte Beitrag zeigt uns erneut, dass auch der Kampf gegen Antisemitismus, trotz seiner universellen Bedeutung, ein Feld der antagonistischen Auseinandersetzungen der politischen Strömungen ist. Auch dort spielen die unterschiedlichen politischen Perspektiven sowie Klassenorientierungen eine Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass ausgerechnet die Liebhaber des kapitalistischen Wachstums – wie im Beitrag FDP und Grüne – das Thema Antisemitismus als Druckmittel zur Delegitimierung der eigenen politischen Gegner*innen ausnutzen.
Diese Instrumentalisierung legitimer Werte und Kämpfe zum Einschüchtern und Isolieren der eigenen politischen Gegner*innen untergräbt nicht nur eine demokratische und linke Debattenkultur und das Ringen um emanzipatorische Positionen in komplexen Sachverhalten, sondern auch die richtigen Kämpfe gegen Antisemitismus. Umso mehr wir solche öffentlichen Diffamierungen und Einschüchterungen von politischen Gegner*innen innerhalb von Politik und Medien stillschweigend zulassen – sei es aus Sorge vor Missverständnissen oder Angst vor Angriffen – desto mehr wird sich diese Herangehensweise als eine allgemeine Form des politischen Drucks ausweiten und etabilieren.
Aus diesem Grund positionieren wir uns in Solidarität mit fridays for future und Palästina spricht Bremen und sprechen uns gegen jeglichen Antisemitismus und Rassismus aus.
Zusammenschluss internationalistischer Linker in Bremen