Von Roland Zschächner
Der momentane Rechtsruck in Israel betrifft nicht nur das Besatzungs- und Siedlungsregime in den palästinensischen Gebieten, sondern auch innenpolitisch vollzieht sich ein Rollback: Demokratische Rechte werden geschleift, konservative Werte gepredigt und rassistische Hetze gegen die arabische Bevölkerung zum Mainstream erhoben. Der reaktionäre Neoliberalismus ist eng mit dem Namen von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verknüpft. Sein Likud-Block gewann die vergangene Wahl im März 2015. Doch bei der Abstimmung konnte auch eine neue Kraft mit 13 Mandaten in die Knesset einziehen: die Gemeinsame Liste – das wegen der Anhebung der Sperrminorität gegründete Bündnis zwischen der von der KP Israels dominierten sozialistisch ausgerichteten Chadasch (Demokratische Front für Frieden und Gleichheit), der palästinensischen, sozialdemokratischen Balad (Nationales demokratisches Bündnis), der konservativen Islamischen Bewegung (südlicher Flügel) und der liberalen Ta’al (Arabische Bewegung für Veränderung).
Die im September erschienenen Standpunkte 24/2016 der Rosa-Luxemburg-Stiftung widmen sich der Gemeinsamen Liste. Die Autoren des vierseitigen Papiers, die zwei Aktivisten Hana Amoury und Yossi Bartal sowie der Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv, Tsafrir Cohen, zeichnen die Entwicklung sowie die Diskussionen innerhalb des »sehr produktiven Partnerschaftsprojekts« nach. Die Koalition eint die Ablehnung der reaktionären Politik der Netanjahu-Regierung. »In der aktuellen Situation plädieren die Mitglieder der Gemeinsamen Liste dafür, den Kampf für gleiche Rechte und mehr soziale Gerechtigkeit in Israel nicht getrennt von dem palästinensischen Kampf um Unabhängigkeit zu begreifen«, wie die Autoren herausstellen. Innen-, Kolonial- und Außenpolitik sind in Israel eng miteinander verbunden.
Die Gemeinsame Liste ist noch kein fertig ausgeformtes Projekt. Doch konnte sie sich als politische Kraft etablieren und in der parlamentarischen Oppositionsarbeit Erfolge erzielen, z. B. bei der Zuteilung von Mitteln des Staatshaushalts. Außerdem wurde das Bündnis – trotz »fehlender Parteistrukturen und Mängel bei der täglichen Koordination« – zu einer Plattform »zwischen arabischen und jüdischen Linken«, die »Einfluss auf die politische Agenda des gesamten Landes nimmt und soziale Veränderungen aus einer Position der Stärke anstrebt«. Die Gemeinsame Liste ist für die Autoren – die diese nicht zuletzt mit der türkischen »Demokratischen Partei der Völker« (HDP) vergleichen – eine »hoffnungsfrohe Botschaft« für progressive Kräfte nicht allein für Israel und Palästina, sondern für den gesamten Nahen Osten.
Quelle (mit freundlicher Genehmigung): junge Welt vom 17.10.2016, Seite 15 / Politisches Buch