Kritik unerwünscht. Leserbriefe wurden nicht veröffentlicht

Am 5. Mai 2017 erschien im Weserkurier, der Zeitung mit einem Quasi-Monopol in Bremen und umzu, ein langes Interview mit Christian Weber, Bremens höchstem politischem Repräsentanten.  Thema: Das Verhältnis zu Israel. Weber äußerte in dem Interview seine bekannte, pointierte und überaus positive Meinung zu Israels gegenwärtiger Regierung und ihrer Politik. Kein Wunder, dass viele Leserinnen und Leser das anders sahen und kritische Leserbriefe schrieben. Der Weserkurier druckte davon keinen einzigen.

Dr. Detlef Griesche, zur Zeit im Vorstand der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft (DPG) und früher Abgeordneter für die SPD in der Bürgerschaft, schrieb daraufhin dem Chefredakteur, Moritz Döbler, einen längeren persönlichen Brief, bemängelte die von vielen Vorurteilen geprägte Sichtweise des Bürgerschaftspräsidenten und fragte den Chefredakteur, warum sich die Redaktion nicht dazu durchringen könne, auch nur einen einzigen der vielen kritischen Leserbriefe abzudrucken. Auch hier: keine Antwort.

Im folgenden deshalb hier eine Auswahl von Leserbriefen an den Weserkurier.


6. Mai 2017
Das Interview mit dem Bürgerschaftspräsidenten zeigt leider, dass auch er offenbar die einfachsten Begriffe nicht unterscheiden kann. Sonst könnte er nicht sagen, dass es in Bremen „eine ganz starke anti-jüdische kritische Öffentlichkeit“ gibt. Ich wüßte nicht, wo die sein soll. Es gibt in Bremen berechtigte Kritik an der israelischen Regierung, nämlich an ihrer Besetzungs- und Besatzungspolitik. Diese Kritik scheint Christian Weber sogar zu teilen, wie man dem Interview entnehmen kann. Wenn er jedoch mitteilt, dass es an Schulen „anti-jüdische, anti-israelische Konstellationen“ gibt, dann trägt er weiter zur Begriffsverwirrung bei. Wie soll man dann von Kindern erwarten, dass sie Kritik an der israelischen Regierungspolitik von Kritik an Israel und beides von Antisemitismus unterscheiden können.
Prof. Dr. Johannes Feest


7. Mai 2017
Leserbrief zum Artikel / Interview mit Christian Weber: ‚Den Zeigefinger unten lassen‘ vom 6. Mai

Christian Weber kritisiert den Außenmister Gabriel wegen seines Treffens mit den beiden Menschenrechtsorganisationen B’tselem und Breaking the Silence. Seine ‚positive Grundhaltung für das israelische Volk und gegenüber den Juden‘ und sein Engagement für Israel sind nachvollziehbar und richtig. Problematisch wird es allerdings, wenn Herr Weber dieses Engagement unkritisch auch auf den derzeitigen israelischen bzw. jüdischen Staat überträgt. In dem Interview überschreitet er m. E. die Grenzen des ‚guten Geschmacks‘, wenn er die kritische Öffentlichkeit in Bremen mit anti-jüdisch gleichsetzt. So seine Äußerung im Wortlaut. Dies ist diffamierend und trägt nicht dazu bei, nötige Differenzierungen zwischen Antisemitismus und Kritik an der Besatzungspolitik Israels offenzulegen. Die NGO Breaking the Silence (gegründet von ehemaligen SoldatInnen, die in den besetzten palästinensischen Gebieten eingesetzt waren) hat unzählige ‚Testemonies‘ von SoldatInnen veröffentlicht und informiert über Menschenrechtsverletzungen durch die Armee. Dies erfordert Mut und Anerkennung – die aktuelle israelische Regierung erhebt diese Organisation nun zum ‚Staatsfeind‘. Das ist alarmierend.

Herr Weber erklärt im Interview weiterhin, dass Präsident Steinmeier (dieses Wochenende auch in Israel) nicht den gleichen Fehler wie Gabriel begehen wird und sich daher nicht mit kritischen NGO’s trifft. Herr Steinmeier wird sich dafür mit den international bekannten   Schriftstellern D. Grossmann, Amoz Oz und Nir Baram sowie mit dem Historiker Moshe Zimmermann treffen. Alle Vier sind für ihre Kritik an der Besatzung bekannt.

Außenminister Gabriel hat an diesem Wochenende in einem Interview mit Spiegel Online seinen Schritt noch einmal deutlich gemacht:  „Nicht nur aus unserer Sicht verstößt die israelische Siedlungspolitik gegen das Völkerrecht und ist ein Hindernis für den Friedensprozess, diese Politik der Regierung Netanyahu ist auch in Israel hoch umstritten. Da ist es für mich selbstverständlich, auch die Kritiker zu hören.“

Ich würde mir wünschen, dass auch unsere Lokalpolitiker etwas differenzierter in diesem sicherlich nicht einfachen Konflikt argumentieren.
Anette Klasing


7. Mai 2017
Auf einem Auge blind
Christian Weber hat in seinem Interview über Israel und das Verhalten Sigmar Gabriels eine einseitige und menschenrechtsfeindliche Haltung eingenommen. Dass Israel seit 50 Jahren eine furchtbare Besatzung der Westbank, Ostjerusalems und der Golanhöhen  aufrechterhält sowie seit 10 Jahren Gaza einer Blockade unterworfen hat, die das tägliche Leben der Palästinenser zum Alptraum macht, erwähnt er nicht. Zudem vermischt er ‚anti-jüdisch‘ und ‚anti-israelisch‘ und macht somit alle Israelkritiker zu Antisemiten. In der israelischen Zeitung Ha’aretz haben sich namhafte Politiker, Künstler und Intellektuelle Israels zu Wort gemeldet, um Sigmar Gabriel und Angela Merkel als die „wahren Freunde Israels“ zu loben, und beklagt, dass  Israel seit einem halben Jahrhundert Millionen von Palästinensern grundlegende Rechte verweigert und mit der Siedlungspolitik jede gerechte Lösung des Konflikts unmöglich macht.
Claus Walischewski


Leserbrief

 Die Aussagen von Herrn Weber haben mich zu tiefst erschüttert. Wenn Herr Weber 14 x in Israel war, dann weiß er doch zu unterscheiden zwischen Judentum , Zionismus und der  Apartheid-Politik der israelischen Regierung . Wenn er vom jüdischen Staat spricht, weiß er, dass ca 30% der palästinensisch- israelischen Bevölkerung ausgegrenzt werden , nämlich Christen und Muslime. 

Der Außenminister  Gabriel hat mit israelischen Menschenrechtsorganisationen gesprochen, mit „B´tselem“ und „Breaking the silence“. Das sind Nicht – Regierungsorganisationen (NGO`s), die  vom israelischen Staat stark in ihrer Friedensarbeit behindert werden. Das alles weiß Herr Weber. Gaza wurde von Israel bis zur fast Unbewohnbarkeit bebombt und zerstört. Der Wiederaufbau wird von Israel behindert. Wer will wohl wen vernichten. Die Boykottaktion ist nicht antijüdisch, im Gegenteil, deutschen Juden, die sich gegen die völkerrechtswidrige Besetzung Palästinas einsetzen, werden Bankkonten gesperrt, oder Veranstaltungen untersagt. Das ist für mich die neue Form von Antisemitismus. Während dieses Wort  inflationär für jeden der Kritik an Israels Politik äußert, benutzt wird, übersieht man geflissentlich den Rassismus und Rechtsextremismus in unserem Land. Was veranlasst Herrn Weber zu solch einseitigen Aussagen, und der Diskreditierung seines Parteigenossen , der endlich einmal „Flagge“ gezeigt hat? Gerade wir Deutschen haben die Pflicht, uns für Palästina einzusetzen, denn sie sind die letzten Opfer des Holocaust.

Mit freundlichen Grüßen und der Bitte um Veröffentlichung
Gisela Vormann

 

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