Sichtlich stolz ließ die Senatskanzlei am 18. Oktober 2017 verkünden, dass der Bremer Bürgermeister Carsten Sieling einen Aufruf der „Mayors United Against Anti-Semitism“ unterschrieben habe. Die Mitglieder dieser europäische Initiative würden „sich zum engagierten Einsatz gegen Judenhass und zur Gewährleistung der Sicherheit jüdischer Gemeinden“ bekennen. (die vollständige Erklärung der Senatskanzlei hier)
Wie so häufig, sind die wirklich interessanten und wichtigen Hintergründe für diese Erklärung nicht dem Wortlaut der Erklärung zu entnehmen. Der Bremer Autor Arn Stohmeyer hat deshalb den Bürgermeister in einem offenen Brief am 20. Oktober 2017 auf diese Hintergründe hingewiesen. Sich gegen Judenhass einzusetzen, schreibt Strohmeyer, sei für uns Deutsche nach unserer Geschichte und angesichts einer neu aufkommenden Gefahr von rechts unbedingt nötig und müsse nach Auschwitz eigentlich selbstverständlich sein. Aber, so ist zu fragen, stellt der Antisemitismus jetzt für die hier lebenden Jüdinnen und Juden wirklich eine so große und aktuelle Gefahr dar? Prof. Wolfgang Benz jedenfalls, die maßgebliche wissenschaftliche Kapazität in der Antisemitismusforschung hierzulande, habe ausdrücklich davor gewarnt, von einem Wiederaufflammen des Antisemitismus in Deutschland zu sprechen. Und Avi Primor, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, habe die ganze Problematik denkbar kurz so auf den Punkt gebracht: „Nicht der Antisemitismus in Deutschland nimmt zu, sondern die Sympathien für Israel nehmen ab.“
Die Initiative der „Mayors United Against Anti-Semitism“ bezweckt natürlich etwas anderes, nämlich die nur allzu berechtigte Kritik am Antisemitismus zu benutzen, um gleichzeitig jede Kritik an der gegenwärtigen Siedlungs- und Besatzungspolitik Israels als antisemitisch zu diffamieren. Diese Diskursstrategie ist zwar durchsichtig und auch nicht neu, aber trotzdem häufig erfolgreich. Und unser Bürgermeister ist darauf – wissentlich oder nicht – reingefallen. Andere Bürgermeister anderer Städte in Deutschland sind da etwas nachdenklicher und haben den Aufruf nicht unterschrieben.
Sönke Hundt