Tagung zur Krise der Dialogfähigkeit im Israel-Palästina-Konflikt findet trotz hohen Drucks statt

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v.l.n.r.: Dr. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg, im konstruktiven Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz (Die Linke), moderiert von Marius Stark (KoPI), am 22. September 2018 in der Evangelischen Akademie Bad Boll (Foto: privat)

Die evangelische Akademie Bad Boll hatte für 21. – 23. September zu einer Tagung über die Sprachlosigkeit der Kontrahenten im Israel-Palästina-Konflikt eingeladen.In der Ankündigung hieß es: „Die konstruktive Auseinandersetzung mit dem Konflikt ist in Europa in eine Krise der Dialogfähigkeit geraten. Fast jede kritische Äußerung (…) wird massiv gestört und durch unterschiedliche Vorwürfe, insbesondere dem des Antisemitismus, blockiert. (…) Welche Strategien führen zu einem konstruktiven Dialog? Welchen konkreten Beitrag können wir selbst dazu leisten?“

Im Vorfeld lud die Akademie Dutzende Politiker für aktive Beiträge ein. Alle sagten ab – bis auf Christine Buchholz (MdB, Die Linke) und – kein Politiker im engeren Sinne – Dr. Michael Blume, Baden-Württembergs Beauftragter gegen Antisemitismus. Ebenso wurden Aktivisten für Israel und für Palästina eingeladen. Die Pro-Israel-Aktivisten, u. a. aus dem Umfeld der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sagten alle ab, bis auf einen: Pfarrer Dr. Michael Volkmann, der sich auf Ersuchen der Evangelischen Landeskirche kurzfristig am Vorabend der Veranstaltung zu einem Beitrag bereit erklärte. Im Gegensatz zu dieser Boykotthaltung gegenüber der Veranstaltung nahmen etliche Aktivisten für Palästina die Einladung zum Gespräch an, u. a. unsere BIB-Mitglieder Annette Groth, Nirit Sommerfeld und Rolf Verleger. Insgesamt bestätigte also bereits diese Asymmetrie der Zusagen den Titel der Tagung: Die Dialogfähigkeit ist in der Krise.

Nicht genug damit, begannen eine Woche vor Tagungsbeginn Einzelpersonen und Institutionen eine massive Kampagne: Über die Akademie ergoss sich ein ‚Shitstorm’ von Anrufen, Briefen und Mails, um die Verantwortlichen dazu zu bewegen, die Veranstaltung wegen „Antisemitismus und Einseitigkeit“ abzusagen, was zuvor schon vielfach bei vorangegangenen vergleichbaren Veranstaltungen geschehen ist – siehe hier. Zu Beginn der Tagung am Freitag, den 21. September, erschien ein Artikel in der Welt mit der Schlagzeile „Israel-Feinde zu Gast bei der evangelischen Kirche„, in dem Rolf Verleger und Annette Groth namentlich genannt werden, sowie in der taz der Artikel „Nahostkonferenz in der Kritik„. Hier werden die Nakba-Ausstellung, Annette Groth, Christine Buchholz, Abi Melzer namentlich genannt.

Das Seminar fand trotzdem statt. Der Evangelischen Akademie Bad Boll ist dafür herzlich zu danken. Ganz anders hatte sich 2017 die Evangelische Akademie Tutzing verhalten: Eine ähnliche Veranstaltung sagte sie unter dem Druck der „Israel-Lobby“ ab, um sie „mit ausgewogenerer Besetzung“ und „zu einem späteren Zeitpunkt“ abzuhalten; darauf hoffen viele bis heute vergeblich.

Natürlich waren jetzt in Bad Boll genau die Momente am spannendsten, in denen Meinungen aufeinanderprallten. Dies gelang in bereichernder Weise beim Diskurs über die Nakba-Ausstellung. Auf die sachliche Präsentation der in der Ausstellung gezeigten Geschichtslinie durch die Macherin der Ausstellung Ingrid Rumpf folgte eine Ausstellungskritik von Michael Volkmann, der in ruhigem Ton Punkte benannte, was in seinen Augen einseitig sei oder gar nicht in der Ausstellung vorkomme. Leider kam die anschließende Diskussion aus Zeitmangel zu kurz.

Die Chance zum Dialog zwischen sehr unterschiedlichen Positionen bot sich auch bei Michael Blumes Beitrag, der einerseits mit Verve gegen BDS zu Felde zog, andererseits beim Publikum offene Türen eintrat, in dem er vehement für Gewaltfreiheit, das Existenzrecht Israels und einen menschlichen Umgang miteinander plädierte. Hinterher stand er für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung, danach saß er mit Christine Buchholz auf dem Podium. Hier zeigte sich, wie man sich trotz unterschiedlicher Positionen sehr wohl im Dialog annähern und gemeinsame Ansatzpunkte finden kann.

Die gesamte Tagung war geprägt von dem massiven Druck, unter dem die Verantwortlichen bereits seit einer Woche standen und den sie dankenswerterweise offen kommunizierten. Tatsächlich mussten sie ihn kommunizieren, weil einige geladene Gäste ganz kurzfristig aufgrund des Drucks absagten und das Programm geändert werden musste. Insgesamt wurde das offene, abwechslungsreiche Format der Tagung, die wertvollen Beiträge und der respektvolle Umgang miteinander von allen Seiten gelobt. Auffallend war, dass die Tagungsteilnehmer mitnichten eine homogene Gruppe darstellten, sondern durchaus verschiedene Standpunkte und Erfahrungen gegenüber dem Israel-Palästina-Thema mitbrachten.

Die „Krise der Dialogfähigkeit“ erwies sich durchaus als treffender Titel; ebenso treffend wurde zum Ende der Tagung konstatiert: „Wer den Dialog verweigert, verweigert sich der Demokratie.“

Die in den Welt– und taz-Artikeln verleumdeten Personen erwägen Gegendarstellungen.

Wenn auch Sie den offenen Dialog unterstützen möchten, so schreiben Sie an die Akademie Bad Boll und danken Sie ihr dafür, dass …

  • sie dem Druck standgehalten hat
  • sie Voraussetzungen für Friedenslösungen durch Dialog bietet
  • sie eine Plattform für Begegnung bietet
  • sie sich den Menschenrechten ALLER Menschen verschrieben hat
  • …oder was auch immer SIE für wichtig halten!

Zuschriften an die Akademie Bad Boll an facebook oder an info@ev-akademie-boll.de

Lesenswert:
Stellungnahme der Leitung der Akademie Bad Boll zur Kritik an der Tagung.
Wortlaut von Judith Bernsteins Tagungsbeitrag: „Wann ist Kritik an Israel antisemitisch?“

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PS: Leider wurde die Tagung nicht aufgezeichnet. Demnächst wird es aber Videos von den Vorträgen unserer BIB-Konfernz in Heidelberg online geben.

Quelle (mit freundlicher Genehmigung):

BIB Aktuell # 34: Rückblick auf erfolgreiche Tagung in Bad Boll

von bibjetzt

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