Achille Mbembe, Felix Klein und die drohende Annexion

„Drei Jahrzehnte lang orientierten sich liberale Deutsche in ihrer Haltung zu Israel an einer einfachen Formel: “Ich unterstütze die Vorstellung eines jüdischen und demokratischen Staates, lehne die Besatzung ab und hoffe auf eine Zweistaatenlösung.” Damit war klar beschrieben, was unrechtmäßig war: Antisemitisch war es, das Existenzrecht Israels als jüdischer und demokratischer Staat infrage zu stellen.

In diesem Monat beschäftigte uns die Forderung des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, den kamerunischen Historiker Achille Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale auszuladen sowie die Begründung dieser Forderung. Klein warf Mbembe vor, in seiner Kolonialismusforschung, in der er das Apartheidregime mit dem Nationalsozialismus vergleicht, eine Relativierung des Holocaust zu betreiben, und bei seinem Vergleich der Besatzungsherrschaft des Staates Israel mit dem Apartheidsystem in Südafrika, auf „ein bekanntes antisemitisches Muster“ zurückzugreifen. Erfreulicherweise löste dieser Diffamierung eine heftige Diskussion und auch Proteste in den Medien aus, wie wir sie nie zuvor erfahren haben. Renommierte jüdische Akademiker aus der ganzen Welt forderten den Rücktritt von Klein. Mit einer ähnlichen Forderung wandten sich renommierten deutschen Akademiker und afrikanische Akademiker an die Kanzlerin und den Innenminister. Im Deutschlandfunk distanzierten sich die Leiterin des Einstein-Forums Neiman, sowie Zuckermann differenziert von diesen Anschuldigungen, andere brachten ihre Solidarität zum Ausdruck (Brumlik  Solidaritätsbrief für Achille Mbembe „Vergleich bedeutet nicht Gleichsetzung“). Heftige Kritik übte auch im Deutschlandfunk dessen Chefkorrespondent im Hauptstadtstudio Stephan Detjen; er stellte Klein als „Schrankenwärter“ dar, der sich zu einem zivilen Glaubensrichter aufschwinge. Die Jüdische Stimme legte Wert darauf, zusammen mit der Organisation „Palästina Spricht“ und QUARC Berlin (Queers Against Racism and Colonialism) eine Stellungnahme zu dem Streit zu veröffentlichen. Wir rufen dort unter anderem dazu auf, die Position des Bundesbeauftragten für Antisemitismus dahingehend ändern, dass sie den Kampf gegen alle Formen von Rassismus und den Schutz aller marginalisierten und von Rassismus betroffenen Gemeinschaften in Deutschland mit einbezieht.

Schließlich lenkte Philosophieprofessor Omri Böhm in der SZ unseren Blick von der scharfen Debatte auf die Ängste der pro-israelischen Deutschen aus der politischen Mitte, die dahinter stehen, besonders angesichts der geplanten Annexion des Westjordanlandes:

„Drei Jahrzehnte lang orientierten sich liberale Deutsche in ihrer Haltung zu Israel an einer einfachen Formel: “Ich unterstütze die Vorstellung eines jüdischen und demokratischen Staates, lehne die Besatzung ab und hoffe auf eine Zweistaatenlösung.” Damit war klar beschrieben, was unrechtmäßig war: Antisemitisch war es, das Existenzrecht Israels als jüdischer und demokratischer Staat infrage zu stellen.
Das Gewicht dieser beiden Aussagen ist nicht zu überschätzen, aber heute kann man sich auf diese Formel nicht mehr guten Gewissens berufen: Die Zweistaatenlösung ist tot, Israels Regierung will Gebiete im Westjordanland annektieren. Im Denken ist ein Vakuum entstanden, ein Gespräch kann explosiv werden.
Wenn es keinen Palästinenserstaat gibt und die juristische Ungleichbehandlung von Juden und Arabern nicht nur für 50 Jahre, sondern dauerhaft festgeschrieben wird, trifft dann nicht doch der Begriff “Apartheid” zu? Und wie steht es mit dem Existenzrecht Israels als jüdischer und demokratischer Staat, wenn fast 50 Prozent der Bevölkerung Palästinenser sind? Angesichts solcher Fragen kommt der Streit um Mbembe und die Israel-Boykott-Bewegung BDS oder um die angeblichen antijüdischen Ressentiments im Jüdischen Museum in Berlin gerade sehr gelegen“.

Und weiter: „Pro-israelische Deutsche stehen vor demselben Dilemma. Zwar misstraut die israelische Botschaft in Berlin der AfD, aber warum sollte die Partei nach Orbán und Trump nicht ebenfalls in Yad Vashem willkommen geheißen werden? Während die “böse” EU eine Sanktionsliste gegen Israel wegen der Annexionen im Westjordanland vorbereitet, würde die AfD als Partei auftreten, die als einzige der deutschen Vergangenheit treu geblieben ist. Sie unterstützt Israels ethnischen Nationalismus aus vollem Herzen und pflegt keine scheinheiligen Vorbehalte gegen Annexionen oder verschiedene Rechtssysteme für Juden und Araber. Stattdessen stehen liberale Deutsche, die Israel kritisieren, als abstoßende Israel-Hasser da.“

Die geplante Annexion ist eine weitere Macht-Aktion, die Israel über internationales Recht stellt und den Palästinensern weiterhin und auf Dauer ihre Grundrechten vorenthält. Es verwundert nicht, dass es immer wieder zu brutalen Tötungen seitens der Grenzpolizei aus niederträchtigen rassistischen Motiven kommt: Gestern wurde in die lange Liste der getöteten Palästinenser und PoC in der Altstadt in Jerusalem der 32 alten Iyad el-Hallak, ein wehrloser Mann mit besonderen Bedürfnissen aufgenommen. Die Bilder des kaltblütigen Mordes an  George Floyd in Minneapolis erschüttern die Welt, in Israel bekommen die Täter erst mal den Schutz der Justiz und des Vollstreckungsapparats. Gestern hat Samidoun einen Solidaritätsbrief aus Gaza nach Minneapolis veröffentlicht, in dem die Organisation Zusammenhänge herstellt: “As a Palestinian prisoner solidarity network, we are deeply aware that the United States and Israel not only share a common settler-colonial, racist foundation and fundamental reality, billions of dollars in military assets and a joint imperialist project in the Arab region but also tactics, trainings and “security” frameworks used against Black communities in the United States and against Palestinians living under occupation, apartheid and colonialism. We see the indelibly devastating images of the murder of George Floyd and recognize the same racist impunity that did not hesitate to cut down the lives of so many Palestinian and Black martyrs.”

Zuletzt möchten wir auf den folgenden Vortrag unseres Vorstandsmitglieds Shir Hever hinweisen:

 „Der Einfluss der Besatzung auf die israelische Politik”

Interview mit Shir Hever am 04.06.2020 19:00 in Club Voltaire in Kleine Hochstraße 5,  60313 Frankfurt am Main.   Alle Interessierten können mit diesen Zugangsdaten virtuell im Internet teilnehmen (Beitritt ab 18:30 Uhr Beginn 19 Uhr):

Teilnehmen per Computer: einfach den Link anklicken.

https://us02web.zoom.us/j/82083086547   Meeting-ID: 820 8308 6547.

Wir werden in der kommenden Zeit unsere Aktivitäten an die Corona-Verhältnisse anpassen und in ähnlicher Weise unserer Solidarität weiter Ausdruck geben.

Mit herzlichen Grüßen Für den Vorstand,
Michal Kaiser-Livne
Iris Hefets
Quelle: Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden. Mail v. 31.05.2020
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