Die Bild-Zeitung schäumte erwartungsgemäß vor Wut und titelte: „Kulturbetrieb stellt sich hinter Israel-Hasser“. Der am Donnerstag vorgestellte Zusammenschluss nennt sich »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit« in Anspielung auf die im Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschriebene Kunst- und Wissenschaftsfreiheit. Gefordert wird nicht weniger als die Bewahrung von Weltoffenheit, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in der deutschen Gesellschaft. Die Aufrufer sehen diese Werte bedroht durch den BDS-Beschluss des Bundestages. Dieser hatte die Boykottbewegung BDS im Mai 2019 als antisemitisch bezeichnet und Kommunen und Institutionen dazu aufgerufen, Veranstaltungen mit Bezug zu BDS von öffentlichen Fördergeldern und Räumen auszuschließen.
Der Aufruf wurde unterzeichnet von vielen Prominenten der deutschen Kulturszene, darunter vom Intendanten der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, dem Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert, der Künstlerischen Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, Hortensia Völckers, der Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für Europäisch-Jüdische Studien, Miriam Rürup, und der Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität, Berlin, Stefanie Schüler-Springorum. (eine vollständige Liste der Unterzeichner und Unterstützer am Ende des Artikels)
Auf der Mittagsveranstaltung am 10. Dezember 2020 im Deutschen Theater in Berlin äußerten sich 13 Vertreter der Initiative mit persönlichen Statements.
- „Nähmen wir als Wissenschaftseinrichtung diesen Beschluss wörtlich, dann könnten wir viele jüdisch- und palästinensisch-israelische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht mehr einladen, die gegen die Menschenrechtsverstöße ihrer eigenen Regierung Stellung nehmen, und damit nicht grundsätzlich anderes tun als türkischen, russischen oder ungarischen Kolleginnen und Kollegen, die gegen die Politik ihrer Regierungen öffentlich Stellung nehmen“, erklärte Barbara Stollberg-Rilinger, Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin.
- „Wir leben in einer Zeit, in der kritische Positionen gegenüber der israelischen Regierung mit Antisemitismus gleichgesetzt werden, während nationalistische und offen rassistische Kräfte an Fahrt gewinnen“, kritisierte der Generalintendant des Humboldtforums, Hartmut Dorgeloh.
- „Angesichts globaler Konflikte in einer Weltgesellschaft, die bis heute keine politische Form für eine demokratische und pluralistische Weltinnenpolitik gefunden hat, müssen die kulturellen Akteure sich umso mehr für die Weltsichten, die kultuellen Empfindlichkeiten und die politischen Vergangenheitsdeutungen derer öffnen, die unsere Standpunkte herausfordern“, mahnte Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes.
- Susan Neiman, die Philosophin und Direktorin des Einstein-Forums Potsdam, machte sich Sorgen, nachdem der Direktor des Jüdischen Museums, Peter Schäfer, habe zurücktreten müssen, nur weil eine Mitarbeiterin einen Tweet veröffentlicht hätte, der einen Bezug zum BDS gehabt habe. Als Jüdin werde sie wütend, wenn die Mehrheit der jüdischen Diskussionen weltweit gar nicht zu Wort kämen, sondern allein sehr konservative Stimmen. Kritik an der israelischen Regierung müsse möglich sein: „Nach der Logik des BDS-Beschlusses würde weder Albert Einstein noch Hannah Arendt in Deutschland einen Vortrag halten dürfen, weil sie beide, obwohl sie den Staat Israel unterstützt haben, extrem kritisch waren, was das Unrecht gegenüber den Palästinensern angeht.“
(Informationen aus Deutschlandfunk Kultur v. 10.12.2020) Die Sendung von Deutschlandradio Kultur ist sehr hörenswert, hier der Link. Über den Aufruf der Initiative und die Abendveranstaltung im Deutschen Theater wird in den deutschen Medien, von Bild, Spiegel, Taz bis zur Jüdischen Allgemeinen, breit berichtet. Hier ein Überblick bei google Auch in Israel wird berichtet. Die Haaretz titelte am 10.12.2020: „In Germany, a Witch Hunt Is Raging Against Critics of Israel. Cultural Leaders Have Had Enough“
Vollständige Liste der unterzeichnenden und unterstützenden Personen und Institutionen:
- Berliner Festspiele, Thomas Oberender (Intendant)
- Berliner Künstlerprogramm des DAAD, Silvia Fehrmann (Leiterin)
- Bündnis Internationaler Produktionshäuser:
- FFT Düsseldorf (Forum Freies Theater ), Kathrin Tiedemann (Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin)
- HAU Hebbel am Ufer / Berlin, Annemie Vanackere (Intendantin)
- HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste / Dresden, Carena Schlewitt (Intendantin)
- Kampnagel / Hamburg, Amelie Deuflhard (Intendantin)
- Künstlerhaus Mousonturm / Frankfurt am Main, Matthias Pees (Intendant)
- PACT Zollverein / Essen, Stefan Hilterhaus (Intendant)
- tanzhaus nrw / Düsseldorf, Bettina Masuch (Intendantin)
- Deutsches Theater Berlin, Ulrich Khuon (Intendant)
- Einstein Forum Potsdam, Susan Neiman (Direktorin)
- Goethe-Institut, Johannes Ebert (Generalsekretär)
- Haus der Kulturen der Welt, Bernd Scherer (Intendant)
- Jüdisches Museum Hohenems, Hanno Loewy (Direktor)
- Kulturstiftung des Bundes, Hortensia Völckers (Künstlerische Direktorin)
- Moses Mendelssohn Zentrum für Europäisch-Jüdische Studien, Miriam Rürup (Direktorin)
- Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK), Barbara Plankensteiner (Direktorin)
- Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Hartmut Dorgerloh (Generalintendant)
- Wissenschaftskolleg zu Berlin, Barbara Stollberg-Rilinger (Rektorin)
- Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin, Stefanie Schüler-Springorum (Leiterin)
Weitere Unterzeichner*innen des Plädoyers
- Deutscher Bühnenverein, Carsten Brosda (Präsident)
- DOK Leipzig, Christoph Terhechte (Künstlerischer Leiter und Geschäftsführer)
- Düsseldorfer Schauspielhaus, Wilfried Schulz (Generalintendant u. Festivalintendant Theater der Welt 2021)
- Forum Transregionale Studien, Andreas Eckert (Vorstandsvorsitzender)
- Münchner Kammerspiele, Barbara Mundel (Intendantin)
- Nationaltheater Mannheim, Christian Holtzhauer (Schauspielintendant)
- Schauspiel Köln, Stefan Bachmann (Intendant)
- Staatsschauspiel Dresden, Joachim Klement (Intendant)
- Theater Krefeld-Mönchengladbach, Michael Grosse (Generalintendant)
- Thalia Theater, Joachim Lux (Intendant Thalia Theater u. Präsident des Deutschen Zentrums des Internationalen Theaterinstituts (ITI))
- Völkerkunde Museen in Leipzig, Dresden und Herrnhut, Léontine Meijer-van Mensch (Leiterin)
- Württembergischer Kunstverein, Hans D. Christ und Iris Dressler (Direktoren) Der Arbeitskreis dankt für fachlichen Rat und Diskussionsbeiträge:
- Aleida Assmann (Professorin em. für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft)
- Stephan Detjen (Journalist)
- Emily Dische-Becker (Journalistin)
- Anselm Franke (Kurator)
- Andreas Görgen
- Wolf Iro (Kulturmanager und Autor)
- Wolfgang Kaleck
- Christoph Möllers (Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie)
- Michael Wildt (Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus)
weitere Informationen beim Humboldt-Forum
Sönke Hundt