DPG-Rundbrief – Januar II 2021

Die jüngsten erstaunlichen Stellungnahmen zur weltweiten BDS-Bewegung seitens der Repräsentanten der renommiertesten deutschen Kultureinrichtungen, einiger überregionaler Medien und des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages – und die unglaublich ignoranten Erklärungen der die völkerrechtswidrige Politik der israelischen Regierung verteidigenden deutschen Lobbyorganisation DIG und einschlägig bekannter „Antisemitismusjäger“ der „Achse des Guten“ und anderer Organe.

Seit Jahren versuchen Politiker in Kommunen oft mit Erfolg israelkritische Veranstaltungen mit wissenschaftlichen und publizistischen oft sehr renommierten Referenten durch die Intervention von Einzelpersonen oder Organisationen der die israelische Besatzungspolitik verteidigenden Lobby zu verhindern. Erst in letzter Zeit gaben zunehmend mehr Gerichte auf kommunaler Ebene den Klägern gegen diese diskriminierenden und den öffentlichen Diskurs verhindernden Verbote Recht: Kommunen mussten öffentliche Räume für angemeldete Veranstaltungen überlassen. Dem in aller Regel zugrunde liegende Vorwurf, bei einer Veranstaltung mit BDS-Bezug (Boycott, Desinvestitionen, Sanktionen) handele es sich letztlich um Veranstaltungen, die zur Beseitigung des Staates Israel aufrufe, folgten die unabhängigen Gerichte nicht und verwiesen im Kern auf das verfassungsmäßig gelte Recht auf die unveräußerlichen Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Legitime Kritik an israelischer Tagespolitik und deren Unterdrückungs- und Vertreibungsmaßnahmen stelle nicht automatisch die Sicherheit Israels infrage, so der Tenor der Entscheidungen. Die Diskriminierungs- und Verbotsinitiativen wurden begünstigt durch den umstrittenen Beschluss des Bundestags mit großer Mehrheit vom 17. Mai 2019, der allerdings keine Gesetzeskraft hatte. Er orientierte sich an der wissenschaftlich von Beginn an höchst umstrittenen Ausweitung der Definitionen von „Antisemitismus“ durch die „Internationale Allianz für Holocaust-Gedenken“ (IHRA), die besagt, dass Antisemitismus „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden (sei), die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“. Dadurch wurden bestehende Definitionen erweitert, indem nunmehr auch Kritik an Israel ganz generell als antisemitisch eingestuft wurde und damit quasi als Freibrief für jegliche Angriffe auf Formen der Solidaritätsarbeit für Palästina auch dort, wo es allenfalls peripher um BDS geht.

Die entsprechende Passage, die diese eingrenzte Auslegung des Antisemitismusbegriffs ermöglichte, lautet: „Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein“. Dieser Ausweitung, mit der Vertreter der jüdisch-israelischen Lobby ihr langfristig angestrebtes Ziel der Einschränkung der Meinungsfreiheit erreichten, hatte sich die deutsche Bundesregierung schon im September 2017 angeschlossen. Die langfristige Zielsetzung dieser folgenreichen Ausweitung hatte ihren Ausgangspunkt schon im Jahr 2011, als die israelische Regierung eine Stabsstelle im Ministerium für strategische Angelegenheiten einrichtete, die sich speziell mit der Bekämpfung der weltweiten BDS-Kampagne befassen sollte. Diese Stabsstelle wurde mit einer speziellen Software ausgestattet, die es zum Beispiel ermöglichten sollte, innerhalb kürzester Zeit in zahlreichen Ländern weltweit festzustellen, wo Veranstaltungen geplant sind, die sich möglicherweise mit der Frage israelischer Besatzungspolitik u.a. befassen würden. Aus der Sicht der israelischen Regierung war mit der als friedliche gewaltfreie Bewegung in Palästina gegründeten BDS-Bewegung eine neue nicht zu unterschätzende Gefahr entstanden. In Deutschland in den ersten Jahren eher von marginaler Größenordnung hat sie inzwischen durchaus etliche beachtliche Erfolge in anderen Ländern.

Schon seit der juristisch und politisch seltsamen Formulierung de Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2008, als sie die Sicherheit Israels – eines der bestgerüsteten Staaten der Welt – absurder Weise zur „deutschen Staatsraison“ erklärte, war die vorherrschende Stimmung eines großen Teils der politischen Klasse und des mainstreams in der deutschen Medien nicht gerade offen für faktenbasierte Einschätzungen der jahrzehntelangen völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Israels. Zunehmender Siedlungsbau in besetzten Gebieten, Landnahme, stille Vertreibungen und tagtägliche Schikanen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten und eben auch mindere Rechte von Palästinensern und arabischen Juden (Mizrachi) führten keineswegs zu konsequenten politischen Sanktionen, sondern es wird weiter das diplomatischere Mantra von der

„Zweistaatenlösung“ bei längst verunmöglichten Gegebenheiten und auch offen gegenteiligen einen Palästinenserstaat ablehnenden Erklärungen von israelischen Spitzenpolitikern und Passagen in Parteiprogrammen aufrecht erhalten.

Jetzt ist in die Diskussion für viele Betroffene beider Seiten Bewegung bekommen, denn der Bundesbeauftragte für Antisemitismus Felix Klein hatte den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags um ein Gutachten zur Verbindlichkeit der Bundestagsresolution vom 17.5.2019 zu Antisemitismus und BDS gebeten. Er erhielt eine Antwort, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lässt und ihn, die Bundestagsabgeordneten und die Israellobby wohl schockiert hat.

Interessant ist vor allem, dass sich das Gutachten inhaltlich ganz offensichtlich an den o.a. Urteilen wie dem des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof aber auch dem Verwaltungsgerichts Köln orientiert.

Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 11. Juni 2020 dürfte eine Rolle gespielt haben.

Zur Diskussion um die jüngst in verschiedenen Kommunen haben auch die grundlegenden Ausführungen von Uwe Schulz „Anti-BDS-Beschlüsse im Lichte des kommunalpolitischen Anspruchs auf Nutzung öffentlicher Einrichtungen der Gemeinde“ beigetragen (KommJur [Kommunaljurist] 7/2020, S. 245-248).

Zum rechtlichen/politischen Stellenwert des BDS-Beschluss des Bundestages vom Mai 2019 und seiner Eignung als Grundlage für das Verwaltungshandeln von Kommunen bei der Vergabe von Räumen/Genehmigung von Veranstaltungen heißt es in der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes:

„Der Beschluss des Bundestages ist als schlichter Parlamentsbeschluss zu bewerten. Er ist nicht auf Basis einer spezifischen rechtlichen Regelung ergangen und hat daher keine rechtliche Bindungswirkung für andere Staatsorgane. Der Beschluss stellt eine politische Meinungsäußerung im Rahmen einer kontroversen Debatte da.“

Zum Raumverbot für Veranstaltungen zu BDS oder auch unterstellten israelkritischen BDS- ähnlichen Themen heißt es:

„Ein Nutzungsausschluss von BDS-nahen Personen oder Gruppen allein wegen zu erwartender unerwünschter Meinungsäußerung ist daher mit Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbar.“ Und schließlich heißt es zur Frage, wie ein Gesetz des Bundestages verfassungsrechtlich zu beurteilen wäre, das israelkritische Veranstaltungen mit BDS-Bezug und von BDS unterstützenden Personen verbieten würde: „Ein derartiges Gesetz wäre nicht mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu vereinbaren und daher verfassungswidrig.“

(Wissenschaftlicher Dienst des Deutsche Bundestages vom 21.12.2020, AZ: WD 3-300-2BB/ 20 zum Beschluss des BT Bundestagsdrucksache 19/ 101921)

Auf diese schlagzeilenträchtige Begutachtung des „Wissenschaftlichen Dienst“ des Bundestages folgte eine weitere die Debatte befeuernde Erklärung durch die Kampagne der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit„. Das musste die hörigen Verteidiger der israelischen völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik beunruhigen. Und in der Tat, die zum Teil abenteuerlich anmutenden inhaltlichen Repliken folgten umgehend. In der Stellungnahme der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V. vom 11.12.2020 bedauert der durch seine Diffamierungskampagne und Veranstaltungsverhinderungsversuche in Frankfurt bekannte Vorsitzende Uwe Becker unter der Überschrift „Deutsche Kulturinstitutionen blind gegenüber israelbezogenem Antisemitismus“ dass

„Vertreterinnen und Vertreter namhafter deutscher Kulturinstitutionen offensichtlich blind gegenüber israelbezogenem Antisemitismus“ seien und „sich vor den Karren der antisemitischen BDS-Bewegung spannen lassen“, denn bei BDS ginge es nicht um demokratischen

Meinungswettbewerb, sondern um eine moderne Form des Terrors gegen Israel“. Somit fördere die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ die „Delegitimierung des Staates Israel“.

Schon erstaunlich, dass ein offensichtlich zu jeglicher Verständigung und differenzierter Wahrnehmung überregionaler politischer Prozesse unfähiger Kommunalpolitiker sich anmaßt zu beurteilen, dass „ganz offensichtlich breite Teile unserer Kulturinstitutionen nicht willens oder nicht in der Lage (sind), zwischen legitimer Regierungskritik und der Verbreitung von Hass und Hetze gegen Israel zu unterscheiden“.

Die regionalen DIG-Arbeitsgemeinschaften bemühen sich da schon scheinbar um mehr Klärung ihrer Definition, dessen was Antisemitismus sei. Die Hannoveraner AG schreibt in ihrer Erklärung vom 11.12.2020 „Den Kern des Problems getroffen, das schmerzt“ dass der „ehrenwerte (und angemessene) Beschluss des Bundestages“ erkannt habe, dass es nicht um eine „sachgerechte Debatte“ und eine „faire Debatte“ ginge, sondern es ginge „den Aktivisten des BDS um die Dämonisierung Israels, … und letztlich um Emotionalisierung sowie die Erzeugung einer Stimmung, in der Argumente nichts mehr zählen.“ Dabei werden vermeintliche „Parolen“ zitiert, die in der grundlegenden Texten der in Palästina gegründeten weltweiten BDS-Bewegung nirgends zu finden sind, aber dagegen wird abschließend auf den Charakter der „einzigen Demokratie der Region verwiesen, die … offenen Diskurs und Rechtstaatlichkeit …. garantiert“. Eine erstaunliche Problemverschiebung und bewusste Verkehrung der Realitäten.

Heftiger und absurder noch sind dagegen die internationalen Bewertungen. So hat das Simon Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles, das jedes Jahr die schlimmsten antisemitischen Vorfälle weltweit bewertet, für 2020 die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ auf Platz 7 gesetzt. Darin heißt es:

„ Die deutsche Elite startet einen Großangriff, um der antisemitischen Boycott-Bewegung BDS ihre Legitimation zurückzugewinnen. Die Initiative verschiedener Kultureinrichtungen, die sich ein Jahr lang im Geheimen traf und sich wie ein who is who der deutschen Kulturszene liest – darunter das Goethe-Institut, die Kulturstiftung des Bundes, das Deutsche Theater Berlin, das Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Berliner Festspiele und das Einstein-Forum – griff den BDS-Beschluss des Bundestages als einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit an“ und die „Unterzeichner bedanken sich ausdrücklich bei Andreas Görges, dem Abteilungsleiter für Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt für fachlichen Rat und Diskussionsbeiträge“. „Ein ähnlicher Aufruf von neunhundert (jetzt schon über 1400 laut Mena Watch) Künstlern, Akademikern, Schriftstellern und anderen kulturellen Persönlichkeiten folgte, in dem die Anti-BDS-Resolution als `gefährlich und schädlich für die deutsche Öffentlichkeit` bezeichnet wurde.“ (zit nach: Mena-Watch, Der unabhängige Nahost-Thinktank)

Nun muss man das Wiesenthal-Zentrum in seiner Bedeutung zwar nicht überschätzen, es übt jedoch weltweit eine gewisse Meinungsorientierung aus, obwohl es nicht zwischen real existierendem Antisemitismus und der Kritik an israelischer Besatzungspolitik unterscheidet. Die jährlichen Auflistungen entbehren nicht einer gewissen Komik, wenn es nicht politisch so ernst wäre. Das Jahr 2019 z.B. zeigt die Rangfolge die Absurdität: 1. Jeremy Corbyn 2. Anschlag in Halle 7. UN- Botschafter Heusgen. Die Listen der 10 schlimmsten antisemitischen Vorfälle zeigten stets beste Gesellschaften: Obama (2016), die schwedische Außenministerin Margot Wallström (2016), die Europäische Union (2015), die United Church of Canada (2013), Jakob Augstein (2012), der Europäische Gerichtshof (2020).

Auch der Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V., ihrem Präsidium und den parlamentarischen Mitgliedern ihres Beirats wurde diese fragwürdige Ehrung schon 2019 zuteil. Vorgeschlagen von dem einschlägig bekannten „Journalisten“ der Jerusalem Post und den dort publizierten Hetz- und Diffamierungsartikeln. Im Originaltext heißt es dort zum Beispiel:

All dies hilft zu verstehen warum drei MPs (Bundestagsabgeordnete im Beirat der DPG ihre Unterstützung für die antisemitische Deutsch-Palästinensische Gesellschaft (GPS), die auch BDS fördert, fortsetzen“. (Übersetzt aus der längeren Originalfassung dazu, zit. nach: (https://media.elmostrador.cl/2020/12/top-ten-worst-global.pdf)

Bei all dem Unsinn bleibt aber nicht zu übersehen, dass die realen Auswirkungen der Beeinträchtigung und Verhinderung israelkritischer Projekte weitergehen und dies, obwohl wie oben ausgeführt immer häufiger Prozesse gegen Kommunen in Sachen Verhinderung von Raumvergabe

bei Gerichten gewonnen werden, da sich die juristische Erkenntnis zunehmend durchsetzt, dass die

o.a. von der Kanzlerin Merkel 2008 ausgerufene „merkwürdige Äußerung“ (wie es der ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann im Spiegel Nr.52/2020 ausdrückte), dass die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsraison gehöre nicht zur Verhinderung grundgesetzlich geschützter Meinungs- und Diskussionsfreiheit führen darf, wie es der Jurist und Chefkorrespondent des Deutschland Funk (DLF) Stephan Detjen als einer der ersten Journalisten in einem Artikel in der FAZ vom 22.6.2020 anmahnte.

Aus Anlass der vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Klein im April 2020 erhobenen absurden Antisemitismusvorwürfe gegen den kamerunischen weltweit geachteten Historiker Achille Mbembe und die mit ihm vorgesehene Eröffnungsrede formulierte er unmissverständlich:

„Was BDS ist, wer möglicherweise BDS-Sympathisant ist, lässt sich nicht klar definieren … Der Begriff wird kampagnenmäßig instrumentalisiert und ist für staatliche Eingriffe nicht geeignet … es ist ein Eingriff in den öffentlichen Diskurs … Einschränkungen der Meinungsfreiheit, wie sie mit der BDS-Nähe begründet werden, bedürfen einer klaren Rechtsgrundlage und unterliegen einem vom Bundesverfassungsgericht entwickeltem Prüfschema“.

Das bisherige willkürliche Vorgehen würde, folgert er zu Recht, auch dazu führen, „dass Journalisten zögern, sich in die giftige Debatte einzuschalten, wenn sie fürchten müssen, mit Antisemitismus in Verbindung gebracht zu werden. Das wird dann zum Problem, wenn die Grenze zwischen der gebotenen Bekämpfung des Antisemitismus und einer Unterdrückungspolitik legitimer Kritik“ nicht mehr beachtet wird.

Es ist seither einiges in Bewegung gekommen, was hoffen lässt, dass die Auseinandersetzung auf eine solidere faktenbasierte und juristisch geklärte Basis geführt werden kann, die nicht länger beliebig politisch instrumentalisiert werden kann und die paranoiden Verfolgungen und Denunziationen durch selbsternannte Antisemitismusjäger ermöglicht, die letztlich auch vom eigentlich real vorhandenen und zu bekämpfenden Antisemitismus ablenkt.

Deshalb sind die jüngsten erfolgreichen Klagen gegen kommunale Instanzen vor den Verwaltungsgerichten neben den o.g. klaren Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages und die zahlreichen Erklärungen von Kunstschaffenden und Organisationen und erste kritische Artikel in den bislang vorherrschendem Mainstream überregionaler Medien ein richtiger hoffnungsvoller Schritt auf diesem Weg, die beschriebene Diskrepanz zwischen falsch interpretierter ‚Staatsraison` und in der Verfassung festgeschriebenen Grundrechten aufzulösen.

Dr. Detlef Griesche (4.1.2021) DPG-Vizepräsident

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