„Selbst die Palästinenser im Gazastreifen hassen doch nicht die Juden der Welt!“

So wie in Bremen sind auch in Frankfurt in den letzten zwei Wochen die Wogen hoch gegangen. Einer Demonstration gegen den israelischen Gaza-Krieg folgte eine Demo gegen den Antisemitismus. Offenbar hat es in der Redaktion der Frankfurter Rundschau (die mal linksliberal genannt werden konnte), Diskussionen um ihre unbedingte Pro-Israel-Linie gegeben. Gestern erschien jedenfalls ein Interview mit Abraham Melzer, einem Verleger (Joseph-Melzer-Verlag), der in Israel aufgewachsen ist und dort auch seinen Militärdienst ableistete, und der in diesem Interview zur Antisemitismus-Diskussion erstaunlich einfache und klare Worte fand.

Die Frage, ob jetzt der Antisemitismus wieder in Frankfurt aufflamme, beantwortete er so: „Unvernünftige gibt es überall. Es gibt natürlich auch Antisemiten in Deutschland. Ich bin aber der Ansicht, dass die Haltung – ich unterstelle jetzt einmal, dass die Täter aus einem muslimischen Kontext kommen – der Moslems in Frankreich und Deutschland nichts mit Antisemitismus im wissenschaftlichen und fachlichen Sinne des Begriffs zu tun hat. Diese Antihaltung gegenüber Israelis und Juden ist eine Folge des Nahost-Konflikts. Und in diesem geht es nicht um Religion, sondern um das Land. Selbst die Palästinenser im Gazastreifen hassen doch nicht die Juden der Welt. Ich bin empört und verärgert über das Unrecht, das man diesen Leuten antut, wenn man sagt, sie seien Antisemiten. Die Palästinenser waren keine Antisemiten und sie sind heute keine. Sie hassen nicht die Juden, sie hassen die Israelis und dazu haben sie reale Gründe. In meinen Augen ist das ein gewaltiger Unterschied.“

Herrn Melzer wird dann im Interview vorgehalten, dass es doch Demonstrationen gegeben hätte, auf denen „Kindermörder Israel“ oder „Blutsauger Israel“ skandiert worden wäre. „Das ist schlimm“, so seine Antwort, „Aber man kann doch nun nicht so tun, als ob wir vor einem neuen Holocaust stehen. Ich habe jedenfalls nicht diesen Eindruck und ich lebe ja auch in diesem Land. Irre gibt es immer, das ist klar. Aber die jüdische Gemeinde in Deutschland muss das verkraften. Wenn jetzt gesagt wird, dass viele Juden auf gepackten Koffern sitzen, ist das in meinen Augen ein bisschen übertrieben.“

Melzer schildert dann einen Vorfall aus seiner Militärzeit in Israel. Eines nachts hätte ihnen ihr Offizier befohlen, ihre Waffen zu packen und in ein 20 Kilometer entferntes arabisches Dorf zu fahren. Dort sollten sie, die Soldaten, alle Menschen, Alte, Frauen und Kinder aus den Häusern treiben und auf dem Marktplatz des Dorfes zusammentreiben. Dort hätten sie dann die Menschen drei Stunden warten lassen, ohne ihnen irgend etwas mitzuteilen. Und wären dann wieder weggefahren. „Ich bin dann zu meinem Offizier und habe ihn gefragt, was los war. Da hat er uns gesagt, dass wir das von Fall zu Fall machen, um den Arabern das Leben bitter zu machen.“

Was so unverständlich ist und so grausam erscheint, habe sogar interessanterweise einen biblischen Hintergrund: „Das Leben verbittern“ wäre ein Sprichwort aus der Bibel. Das würde in Israel jedes Kind kennen. „Da steht, dass die Ägypter den Juden das Leben bitter gemacht haben. Und am Ende haben wir unter der Führung Moses’ Ägypten verlassen. Die Israelis glauben also, dass sie, weil die Ägypter ihnen vor 5000 Jahren das Leben bitter gemacht haben, das Recht haben, sich heute so gegenüber den Palästinensern zu verhalten. Die israelische Gesellschaft ist den meisten Menschen hier völlig fremd. Sie ist unheimlich rassistisch, chauvinistisch und nationalistisch.“

Abraham Melzer hielt (angekündigt) gestern in Frankfurt einen Vortrag zum Nahost-Konflikt im Saalbau Bockenheim. Veranstalter: Die LINKE in Frankfurt. Etwas Ähnliches würde man sich auch in Bremen wünschen. Aber, wie es derzeit im Landesverband der LINKEN aussieht, bleibt das wohl eher ein frommer Wunsch. Ebenso, dass in der Redaktion des Weserkuriers diskutiert werde, ob nicht auch in diesem Blatt etwas gemäßigtere Meinungen über den Nahost-Konflikt veröffentlicht werden könnten. Bremen ist eben nicht Frankfurt.
Sönke Hundt

Das ganze Interview aus der Frankfurter Rundschau v. 3. August 2014 hier.

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