Warum die Deutsche Welle fünf arabische Mitarbeiter entlässt

Ausriss aus Bildzeitung v. 07.02.2022

#FreedomOfSpeech – Warum verfolgen Journalisten andere Journalisten?

Wie eine mediale Diffamierungskampagne Existenzen zerstört. Die Deutsche Welle (DW) hat fünf Mitarbeiter der arabischen Redaktion entlassen. Ihnen wird vorgeworfen, sich privat in „sozialen Medien“ „anti-semitisch“ und „israel-feindlich“ geäußert zu haben. Die Äußerungen liegen bis zu 10 Jahre zurück und wurden teilweise vor Jahren gelöscht, doch der Reporter MB von der Süddeutschen Zeitung fand Mittel und Wege, um die gelöschten Meinungen der arabischen Journalisten wieder herzustellen. Dann veröffentlichte MB in der Süddeutschen Zeitung am 30. November 2021 seinen Artikel „Ein Sender schaut weg“, in dem die ausgewählten Journalisten angeklagt und diffamiert wurden. Der Deutschen Welle warf MB vor, nichts gegen die Journalisten unternommen zu haben. Andere Medien legten nach, der Stein gegen die Deutsche Welle und deren arabische Redaktion kam ins Rollen. Von Karin Leukefeld

„Wie die Deutsche Welle Israel-Hass in Jordanien fördert“ titelte am 3.12.2021 das US-amerikanische Magazin Vice-Online und beschuldigte den jordanischen Fernsehsender Roya TV, „Anti-Semitismus“ und „Israel-Feindlichkeit“ zu verbreiten. Wenige Tage später legte Vice-Online am 7.12.2021 nach mit der Behauptung, dass auch der libanesische Sender Al Jadeed TV Hass gegen Israel schüre. Die BILD-Zeitung schloss sich an und titelte „Deutsche Welle verteidigt antisemitischen Sender“ im Westjordanland. Gemeint war der palästinensische Sender Maan News, der wie Roya TV und Al Jadeed seit Jahren zu so genannten Kooperationspartnern der Deutschen Welle in der arabischen Welt gehört.

Peter Limbourg, der Intendant der Deutschen Welle, leitete eine externe Untersuchung der Vorwürfe ein. Die betroffenen Journalisten wurden vom Dienst suspendiert. Die Kooperation mit Roya TV (Jordanien), Al Jadeed TV (Libanon) und Maan News (Westjordanland) wurde ausgesetzt oder soll ausgesetzt werden.

Mit der Untersuchung wurde das Ehepaar Beatrice und Ahmed Mansour beauftragt, die das Institut „MIND-Prevention“ leiten. Ahmed Mansour ist als „führender Islamismus-Experte“ im deutschen Funk und Fernsehen bekannt und wird in einem SZ-Artikel (Selbstkritik und Rausschmiss, 8.2.2022) als „scharfer Kämpfer gegen Islamismus und Antisemitismus“ gewürdigt. Als weiteres Mitglied der Untersuchungskommission wurde die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger benannt, die heute als Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen tätig ist.

Die Säuberung

Ihren Untersuchungsbericht legten die drei Ermittler am 6. Februar 2022 bei einer digitalen Pressekonferenz vor. Eine Auswahl der Tweets und Facebook-Eintragungen, die Gegenstand der öffentlichen Kampagne wurden, sind dort anonymisiert und teilweise mit Daten versehen nachzulesen.

Die Arabisch-Redaktion der DW wurde vom Vorwurf des „strukturellen Antisemitismus und antisemitischer Tendenzen in der Berichterstattung“ freigesprochen. Allerdings habe es „Versäumnisse und Fehler gegeben, etwa beim Recruiting, bei journalistischen Recherchen und bei der Auswahl von Gästen für Sendungen.“ Die Vorwürfe in dem SZ-Artikel des Reporters MB wurden als „zutreffend“ bestätigt, die Suspendierung der Betroffenen sei „gerechtfertigt“ gewesen. Allen Redaktionen sollten „ausführliche Guidelines mit Definitionen und Erläuterungen zu Antisemitismus, Israelhass und Abgrenzung zu berechtigter Israelkritik an die Hand“ gegeben werden.

Intendant Limbourg bedankte sich bei den Ermittlern und erklärte: „Meinungsfreiheit ist niemals eine Rechtfertigung für Antisemitismus, Israelhass und Leugnung des Holocaust“. Die DW werde „klare, auch personelle Konsequenzen ziehen“ und habe in einem 10-Punktekatalog einen Maßnahmenplan erstellt.

Dieser enthält u.a. „eine präzise Antisemitismus-Definition“, die „die Anerkennung des Existenzrecht Israels und die Ablehnung von Leugnung und Verharmlosung des Holocaust“ einschließt. In der Chefredaktion werde zukünftig ein Kompetenzteam die Themenfelder „Antisemitismus, Existenzrecht Israels und Verantwortung gegenüber der deutschen Geschichte“ stärker einbinden, so Limbourg weiter. Das DW-Korrespondentenbüro in Jerusalem solle personell aufgestockt werden.

Den fünf Beschuldigten – drei Journalisten und zwei Journalistinnen – war kurz vor der öffentlichen Vorstellung des Untersuchungsberichts telefonisch ihre Kündigung – Originalton: Einleitung eines Trennungsverfahrens – mitgeteilt worden. Der Leiter der arabischen Redaktion, Nasser Sharrouf, bot seinen Rücktritt an, was die Deutsche Welle annahm. Libanesische Medien berichteten unter Berufung auf interne DW-Quellen, der Rücktritt sei aus Protest gegen die Entlassungen zu verstehen. Besonders vor dem Hintergrund, dass allein die Verwaltung die Entlassungen beschlossen habe, ohne Rücksprache mit der Redaktionsleitung. Gegen acht weitere Mitarbeiter wurden ebenfalls Überprüfungsverfahren eingeleitet. Zwei von ihnen, beides deutsch-palästinensische Journalisten, wurden libanesischen Medien zufolge inzwischen ebenfalls entlassen. Auch der Nachrichtendirektor der arabischen Redaktion trat von seinem Posten zurück.

Die Untersuchung

Der 56-seitige Untersuchungsbericht beschreibt das Vorgehen. Allen Gesprächspartnern sei „Vertraulichkeit“ zugesichert worden, weshalb keine Namen genannt würden. Die SZ habe für die Untersuchung „Screenshots der Posts und Tweets nicht zur Verfügung gestellt“, doch „durch intensive Recherchen, anonyme Zusendungen und unter Nutzung der Kommentarspalten“ sei es gelungen, die Aussagen zu rekonstruieren. Zusätzlich wurden die öffentlich zugänglichen Accounts durchsucht und teilweise über längere Zeiträume getätigte Aussagen, Likes anderer Artikel, positive Zeichen der Unterstützung anderer Aussagen gefunden. Man habe also „eine Gesamtbetrachtung, teilweise über einen längeren Zeitraum“ vorgenommen. Die schriftlich abgegebenen Stellungnahmen hätten teilweise die Haltung des/r Mitarbeiters/in zusätzlich untermauert.

Man habe den fünf in der SZ namentlich genannten Personen per E-Mail Gespräche angeboten, ebenso der gesamten arabischen DW-Redaktion. Zwischen dem 17.12.21 und dem 25.1.22 seien 29 Einzelgespräche per Videoschalte mit 32 der DW zugehörigen Personen geführt worden, die Dauer habe jeweils zwischen 30 Minuten und zwei Stunden betragen. Auch „mit Externen“ sei gesprochen worden, die relevante Perspektiven eingebracht hätten.

Es folgt eine Auflistung ausgewählter Äußerungen, die bis ins Jahr 2012 zurückreichen. Der Kontext ist nicht ersichtlich. Die Untersuchung habe ein Bild ergeben, „das den Vorwurf antisemitisch motivierter Überzeugungen rechtfertigt“. Grundlage dieser Bewertung sei die internationale „IHRA–Antisemitismus–Definition“. Es könne nicht ausgeschlossen werden, „dass es auch künftig ähnliche oder vergleichbare Aussagen auf den privaten Social Media Accounts der suspendierten Mitarbeitenden geben könnte. Die ausgesprochenen Suspendierungen erscheinen danach gerechtfertigt.“

Reaktionen deutscher Medien

In deutschen Medien wurde breit über den Fall berichtet. Die von der SZ vorgelegten Vorwürfe gegen die arabischen Journalisten wurden übernommen, der „Rausschmiss“ (SZ, 8.2.2022) der arabischen Journalisten begrüßt. Einigen gingen die Maßnahmen nicht weit genug. Der SZ-Reporter MB, der mit seinem Bericht die Untersuchung ausgelöst hatte, schrieb, die Deutsche Welle habe eher „ein grundlegenderes Problem“, als die entlassenen fünf „krassen Einzelfälle“. SZ-Recherchen und „externe Beobachter“ hätten ergeben, „dass die Leitung der arabischen Redaktion (….) nicht hart durchgriff.“ Obwohl während der Untersuchung immer mehr Fälle hinzugekommen seien, „wollten die Prüfer keinen systematischen Antisemitismus in der Redaktion feststellen“. (Bezahlschranke: Süddeutsche Zeitung, Selbstkritik und Rausschmiss, 8.2.2022)

Der Reporter SB warf in der Berliner Zeitung der Deutschen Welle vor, „ein großes Medienunternehmen wie die Deutsche Welle“ hätte mit „interner Expertise und Kontrolle“ das Verhalten der arabischen Journalisten stoppen müssen. „Externe Beratung hätte dafür nicht nötig sein sollen.“ Der Leitung der arabischen DW-Redaktion mangele es „an fachlichen und sozialen Kompetenzen“ und „antisemitische Ausfälle von arabischen Medienpartnern der DW in Jordanien wurden übersehen. (…) Die Spatzen hatten es längst von den Dächern gepfiffen.“ SB kritisiert stellenweise den Untersuchungsbericht und merkt an, dass es tatsächlich in der Region viele verschiedene Meinungen gebe, über die berichtet werden müsste. Zudem sei es widersprüchlich, wenn einerseits – im Konflikt mit Russland – gesagt werde, die Deutsche Welle sei kein Staatssender, andererseits aber von arabischen Mitarbeitern gefordert werde, sie müssten die außenpolitische Linie der Bundesregierung gegenüber Israel vertreten. Letztlich wolle die Deutsche Welle, die zudem mit Steuergeldern finanziert werde, sich reinwaschen und die Untersuchungskommission, die SB ebenso wie den Sender kritisiert, habe das geliefert. Alles in allem, so der Autor in seiner „kritischen Analyse“, würden „hohle Phrasen“ und „verlogene Floskeln“ bemüht, mit denen schon „die Deutschen in der Adenauerzeit ihren massenmörderischen Antisemitismus vergessen machen wollten.“ (Bezahlschranke: Berliner Zeitung, Auf der Schmalspur des Diskursabfalls, 12.02.2022“).

Die Betroffenen

Die Betroffenen oder „Beschuldigten“ kamen in deutschen Medien nicht zu Wort. Libanesische und andere arabische Medien berichteten dagegen ausführlich über das Vorgehen der DW gegen die Journalisten und sparten nicht mit Kritik. „Die Demokratie des Henkers und die Freiheit des Opfers“, titelte Al Akhbar (8.2.2022), eine libanesische Tageszeitung. Das Syndikat der Journalisten in Beirut verurteilte die Entscheidung der Deutschen Welle als „willkürlich und unfair“, wie es in An Nahar (8.2.2022) hieß. Die beiden in Beirut arbeitenden Journalisten hätten nie „gegen die Satzung und den Verhaltenskodex des Syndikats verstoßen“ und seien „für ihre Genauigkeit und Ehrlichkeit“ bekannt. Nie seien sie „von den geltenden libanesischen Gesetzen“ abgewichen, „die Israel als Feind betrachten und den Umgang mit ihm verbieten.“

Den Berichten zufolge handelt es sich bei den Journalisten um Basil Al-Aridi, seit 2019 Leiter des DW-Büros in Beirut, um Daoud Ibrahim, Ausbilder an der DW-Akademie, um Murhaf Mahmoud, Maram Salem (Shehatit) und Farah Maraqa. Während dieser Artikel geschrieben wird, wurde bekannt, dass auch den beiden deutsch-palästinensischen Journalisten Zahi Allawi und Yasser Abu Maileq gekündigt wurde. Beide hatten seit 17 bzw. 12 Jahren für die Deutsche Welle gearbeitet.

Im Gespräch mit der Autorin sagte eine der Personen, das Vorgehen von DW und der Untersuchungskommission erinnerten an eine „Inquisition“. Die Berichte in den deutschen Medien, in denen sie namentlich diffamiert worden waren, glichen einer „Hexenjagd“. Fragen, die gestellt worden seien, seien von ihnen zwar beantwortet, aber nicht respektiert oder akzeptiert worden. Nur einiges, was den deutschen Autoren ins Konzept passte, sei „aus dem Zusammenhang gerissen veröffentlicht“ worden. Die Bitte der Autorin um ein Interview wurde nach reiflicher Überlegung seitens der Person ausgeschlagen, weil „juristische Schritte“ geprüft würden.

Aus dem Zusammenhang gerissen

Einer der Betroffenen, Daoud Ibrahim, der als Ausbilder bei der DW-Akademie in Beirut unter Vertrag stand und dem nun wegen „Antisemitismus“ gekündigt wurde, fühlte sich frei, dem libanesischen Nachrichtensender Al Mayadeen ein Interview zu geben.

Er berichtete, dass ein deutscher Journalist ihn kontaktiert und auf einen Tweet angesprochen habe, den er vor 10 Jahren (2012) verfasst habe und in dem es um den Holocaust gegangen sei. Er habe geschrieben, „Der Holocaust ist eine Lüge#FreedomOfSpeech.“ Er habe dem Journalisten erklärt, dass er das „nach der Veröffentlichung von beleidigenden und satirischen Karikaturen“ geschrieben habe, „die einen bestimmten Glauben verhöhnt und Extremismus gefördert“ hätten. Damals seien solche Beleidigungen als „Meinungsfreiheit“ gerechtfertigt worden. „Mit dem Tweet wollte ich thematisieren, ob eine Meinung über den Holocaust auch unter diese Kategorie fallen würde“, so Ibrahim. Er selber halte den Holocaust für erwiesen, aber „ich wollte ein bestimmtes Thema von einer bestimmten Perspektive problematisieren“, zu einer bestimmten Zeit.

Die Deutsche Welle habe ihn nach der Veröffentlichung des SZ-Artikels „Ein Sender schaut weg“ aufgefordert, an einer internen Anhörung teilzunehmen. „Ich tat das und hielt es für sehr wichtig, das Thema zu erklären. Schließlich bin ich Ausbilder im Bereich Konfliktjournalismus und ethischem Journalismus.“ Dann habe die Untersuchungskommission ihn zu einer Videoanhörung aufgefordert. Ibrahim erklärte sich unter der Bedingung bereit, dass sein Anwalt teilnehmen und das Gespräch aufgezeichnet werde. Die Untersuchungskommission lehnte das ab und so habe man per E-Mail kommuniziert. Die meisten Fragen hätten seine Arbeit für die DW-Akademie betroffen, berichtet der Journalist. Dann aber hätten sie wissen wollen, „welche Haltung ich zum Existenzrecht Israels habe“.

Im Vertrag mit der Deutschen Welle werde gefordert, „die Gesetze der Länder zu achten, in denen wir arbeiten“. Also habe er auf der Grundlage „des libanesischen Rechts, den Entscheidungen der Arabischen Liga, dem Recht auf Rückkehr und dem Recht auf Selbstbestimmung“ geantwortet. Der Vorwurf des Antisemitismus treffe auf Libanesen nicht zu, weil „wir ursprünglich Semiten sind“, so der Journalist weiter. Wenn jemand einen zehn Jahre alten Tweet untersuche, ohne den Zusammenhang und die zeitlichen Umstände zu beachten, dann werde daraus eine „falsche und irreführende Information“.

2012, als Daoud Ibrahim den Tweet schrieb, hatten Gerichte in Deutschland das Zeigen der umstrittenen Mohammed-Karikaturen, die erstmals 2005 in Dänemark veröffentlicht worden waren, als „freie Meinungsäußerung“ genehmigt. Die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo veröffentlichte im gleichen Jahr neue „Mohammed-Karikaturen“, die wegen ihrer Islamfeindlichkeit zu zahlreichen Protesten führten. Über beides hatte die Deutsche Welle ausführlich berichtet.

„Meinungsfreiheit in Europa ist eine Illusion“

Das schrieb die Journalistin Maram Salem im Mai 2021 auf ihrem TikTok-Kanal. Der SZ-Reporter MB „fand“ den Tweet und hob ihn neben anderen, Jahre zurückliegenden Eintragungen hervor, was nun zu ihrer Kündigung führte. Maram S. stammt aus den besetzten palästinensischen Gebieten im Westjordanland und kam über ein Praktikum zur DW, wo sie Anfang 2020 fest eingestellt wurde. Zensur habe es immer gegeben, erklärte sie gegenüber dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera.

„Wenn wir über die Sache der Palästinenser reden wollen, gibt es sehr viele rote Linien. Wir müssen letztendlich Umschreibungen benutzen, damit wir nicht gefeuert oder abgeschoben werden.“ Als im Mai 2021 die Ereignisse in Jerusalem und im Gazastreifen eskaliert seien, habe man ihr gesagt, sie könne nicht schreiben, „Israel tötet Kinder“, das sei „antisemitisch“. „Auch wenn man über die Menschenrechtsverletzungen von Israel schreibt, kann man beschuldigt werden, antisemitisch zu sein“.

Im April und Mai 2021 war es in zahlreichen Städten Israels und in den besetzten Gebieten zu Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Polizeibehörden und Siedlern gekommen. Militärische Einheiten der Hamas im Gazastreifen hatten Raketen auf Israel abgefeuert. Auslöser waren u.a. die geplante Zerstörung palästinensischer Häuser im Jerusalemer Stadtteil Scheich Jarrah. Die Deutsche Welle berichtete.

Maram Salem bezeichnete ihre Kündigung durch die Deutsche Welle als „Ende ihrer Karriere“ („career assassination“). „Es ist ein schwerer Schlag gegen meinen Ruf als Journalistin“, sagte sie Al Jazeera. „Ich habe keine Chance mehr, in irgendeiner internationalen Medienorganisation noch einen Job zu finden. Besonders schwer wird es für mich sein, in Deutschland noch Arbeit zu finden.“

Ihre Kollegin Farah Maraq, jordanische Palästinenserin, die seit 2017 beim Arabischen Fernsehprogramm der Deutschen Welle arbeitete, schrieb auf ihrer Medienseite: „In den Schlagzeilen zu stehen ohne die Möglichkeit zu haben, sich zu verteidigen …. macht mich krank.“ In dem SZ-Artikel wurde ihr vorgehalten, 2014 (nicht für die DW) in einem Artikel Israel mit Krebs verglichen zu haben. Kurz darauf habe sie geschrieben, wenn der IS Israel vertreiben würde, würde sie sich anschließen wollen. Beides habe sie ironisch gemeint und beides sei in dem SZ-Artikel aus dem Zusammenhang gerissen worden, schrieb Maraq. Zu dem gleichen Ergebnis war bereits im Dezember 2021 die in der Schweiz ansässige Menschenrechtsorganisation Euro-Med Human Rights Monitor gekommen. Die Organisation hatte die bereits im Spiegel veröffentlichten Anschuldigungen entkräftet und nachgewiesen, dass ihre Worte „absichtlich falsch interpretiert und aus dem Zusammenhang gerissen“ waren. Obwohl sie in dem SZ-Artikel wiederholt worden waren, waren sie nicht Gegenstand der DW-Untersuchung.

Voreingenommen, fehlerhaft und gefährlich

Euro-Med Human Rights Monitor kritisierte den unabhängigen Untersuchungsbericht der Deutschen Welle als „voreingenommen, fehlerhaft und gefährlich“. Man habe den Bericht sorgfältig gelesen und verschiedene Probleme gefunden, „die seine Ergebnisse in Frage stellen“. Man sei zu dem Schluss gekommen, „dass der Rahmen, die Analyse und die Empfehlungen des Berichts zahlreiche Hinweise auf eine Voreingenommenheit zugunsten Israels und gegen die Palästinenser enthalten.

Kritisiert wird, dass die Untersuchung auf einer umstrittenen Definition von Antisemitismus basiere. Dabei handelt es sich um die so genannte IHRA-Definition, die von der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken vertreten wird und die sich auch die Bundesregierung zu eigen gemacht hat. Diese Definition sei in die Kritik geraten, „als Waffe eingesetzt zu werden, um pro-palästinensische Äußerungen zu unterdrücken und legitime Kritik am israelischen Vorgehen und seiner Politik mit Antisemitismus gleichzusetzen“, heißt es in der Stellungnahme von Euro-Med Human Rights Monitor. So würden beispielsweise Berichte über die palästinensische Nakba, die Katastrophe der Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat 1947/48 als „antisemitisch“ eingestuft, weil sie angeblich das Existenzrecht Israels infrage stellten.

Kritisiert wurde auch, dass den beschuldigten Journalisten keine Möglichkeit gegeben worden sei, sich zu verteidigen. Sonst hätten sie die aus dem Zusammenhang gerissenen Vorwürfe gegen sich entkräften können.

Warum verfolgen Journalisten andere Journalisten?

Was mag den SZ-Reporter MB dazu gebracht haben, arabische Kollegen und Kolleginnen auszuspionieren und zu diffamieren? Der Artikel „Ein Sender schaut weg“ liest sich wie ein polizeilicher Ermittlungsbericht, der einem Staatsanwalt vorgelegt werden soll. Die Frage geht auch an Reporter anderer Medien, wie dem Spiegel, dem Berliner Tagesspiegel oder der BILD-Zeitung, um einige Beispiele zu nennen, die sich mit diffamierenden Artikeln seit Jahren gegen andere Journalisten hervortun.

Warum sollte ein Journalist auf die Idee kommen, Jahre zurückliegende Tweets von anderen Journalisten, die zudem noch gelöscht waren, wieder herzustellen? MB – der heute im SZ-Feuilleton schreibt – war zuvor bei der SZ für den Nahen Osten zuständig. Dort gibt es wahrlich genug Material für Reportagen. Selbst das Thema eines angeblichen „Antisemitismus“ in der arabischen Gesellschaft hätte gut bearbeitet werden können, hätte der Reporter die verschiedenen Standpunkte und Sichtweisen und vor allem die Geschichte recherchiert und die Konfliktlinien und Hintergründe herausgearbeitet.

Doch darum ging es dem Reporter MB nicht. Seine einseitige Parteinahme für Israel ist offensichtlich. MB ging es nicht um Information und Aufklärung, ihm ging es um Anklage und Diffamierung. Beides allerdings hat in seriösen journalistischen Texten nichts zu suchen.

Möglich ist auch, dass dem Reporter MB die Idee nicht selber kam, sondern dass sie ihm zugetragen wurde. In seinem Artikel erwähnt MB „Hinweisgeber“ und „Leser“, die an den Ermittlungen und Gesprächen mit der Deutschen Welle beteiligt gewesen seien. Vielleicht waren Idee, Recherche und Text also auch eine Teamarbeit und jemand hat dem SZ-Autor Akten und Material vorgelegt, die von einer anderen Stelle gesammelt worden waren? Vielleicht hat jemand gesagt: Schreib das mal. Der Untersuchungsbericht spricht von „anonymen Zusendungen“, wer könnte damit gemeint sein? Es könnte sein, dass die Tweets gar nicht von dem SZ-Reporter MB in mühevoller Recherchearbeit „wiederhergestellt“ worden sein könnten. Möglicherweise hat ihm jemand dabei geholfen, jemand mit dem notwendigen technischen Know-How? Vielleicht wurde die private Kommunikation dieser fünf Journalisten auch schon seit Jahren überwacht und gespeichert? Wenn ja, von wem? Und mag der Reporter MB gewusst oder geahnt haben, woher die Informationen stammten, die er schließlich – ohne rechts und links zu sehen – in eine Anklageschrift verwandelte?

Ein Reporter mit Scheuklappen ist nicht in der Lage, die Realität zu erkennen. Daher konnte MB nicht berichten, dass „Antisemitismus“ keine arabische, sondern eine zutiefst europäische Angelegenheit ist. Er wollte von den arabischen Kolleginnen und Kollegen nichts wissen über deren Arbeit und ihre Arbeitsbedingungen. Die tägliche Unterdrückung der Palästinenser, die anhaltende Landnahme der syrischen Golanhöhen und der libanesischen Schebaa-Farmen, Hauszerstörungen und die militärische Besatzung und Besiedlung der besetzten arabischen Gebiete, die Belagerung des Gaza-Streifens, die Kritik der Palästinenser und arabischer Gesellschaften an dem Herrschaftsgebaren von Israel und ihr Zorn über Besatzung und Apartheid interessierte ihn nicht.

Der blinde Reporter

Und obwohl MB zum Team von Die Zeit und SZ gehörte, das eine 2021 preisgekrönte Recherche über das „Projekt Pegasus“ vorlegte, interessierte es ihn auch nicht, dass Journalisten, Politiker und Menschenrechtler im Nahen Osten seit Jahren von der israelischen Spionage-Software Pegasus angegriffen und ausgespäht werden. Darüber hätte sich eine Reportage gelohnt.

Die Leiterin des Büros von Human Rights Watch (HRW) in Beirut, Lama Fakih, war im November 2021 von Apple über einen „staatlich beauftragten Angreifer“ informiert worden. Über eine digitale forensische Analyse fand Fakih heraus, dass zwei ihrer Telefone zwischen April und August 2021 fünf Mal von Pegasus infiltriert worden waren. Ein Sicherheitslabor von Amnesty International, das von HRW hinzugezogen worden war, bestätigte den Angriff.

Die Spionage-Software Pegasus wurde von der israelischen Firma NSO entwickelt und kann von außen in einem Mobiltelefon installiert werden und den Inhalt des Mobiltelefons, die Kamera und das Mikrofon ausspähen und an Auftraggeber weiterleiten. Regierungen setzten Pegasus ein, um gegen Terror und andere Verbrechen zu kämpfen, hieß es seitens der Firma NSO.

Doch HRW erklärte , es sei bekannt, „dass Regierungen die Spionage-Software von NSO benutzen, um Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und andere, die auf Verbrechen hinweisen, auszuspionieren und zum Schweigen zu bringen.“ Lama Fakih aus dem HRW-Büro in Beirut sagte im Gespräch mit Afshin Rattansi, der die RT-Sendung „Going Underground“ moderiert, allein im Libanon seien in den vergangenen Jahren mindestens 300 Personen mit Pegasus von staatlichen Auftraggebern angegriffen worden, darunter „Journalisten und hochrangige Politiker“.

„Ausspionieren und zum Schweigen bringen” – das Ergebnis des SZ-Artikels „Ein Sender schaut weg“ ist das gleiche. Journalisten und Journalistinnen wurden vom Reporter MB ausgespäht, öffentlich denunziert und verloren ihre Arbeit, die sie seit Jahren mit Hingabe, aus Überzeugung und auch unter Gefahren in den Kriegs- und Krisengebieten des Nahen Ostens nachgegangen waren. Sie wollten den Konflikt in ihrer Heimat der Öffentlichkeit erklären, nun haben sie ihre Existenzen verloren.

Quelle: NachDenkSeiten v. 17.02.2022
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion der NachDenkSeiten

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