„Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter“ Palästina: DPG-Präsident Nazih Musharbash über die Chancen auf Frieden im Nahen Osten

Weserkurier v. 23.11.2023: Joerg Helge Wagner interviewt Nazih Musharbasch, Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft (DPG)

„Wir sind nicht Sprachrohr irgendeiner Partei in Palästina“, betont Nazih Musharbash, Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft. „Wir sind nicht Sprachrohr irgendeiner Partei in Palästina“, betont Nazih Musharbash, Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft (DPG).
Herr Musharbash, „Free Palestine!“ – befreit Palästina – lautet weltweit die Parole bei pro-palästinensischen Demonstrationen. Von wem oder was muss der Gazastreifen befreit werden?

Nazih Musharbash: Ich weiß nicht, wer die Pa­role aufgebracht hat, aber gemeint war immer die Befreiung des Westjordanlandes von der israelischen Okkupation. In Bezug auf Gaza ist es anders: Es gibt die Erhebung einer amerikanischen Wissenschaftlerin, abgeschlossen einen Tag vor dem Massaker vom 7. Oktober, nach der mehr als 75 Prozent der Bevölkerung dort die Herrschaft der Hamas nicht länger ertragen wollen. Bezogen auf die folgenden Ereignisse bedeutet der Spruch also auch eine Befreiung des Gazastreifens von der Hamas.

Wenn nun aber 75 Prozent der Palästinenser die Hamas ablehnen: Wie konnte es dazu kommen, dass diese Islamisten-Truppe in Gaza die Macht ergreift und gut zwei Millionen Menschen terrorisiert?

2006 hatte die Hamas zunächst eine Wahl gewonnen, die auch nach internationalen Maßstäben als fair galt. Danach hat man aber in der westlichen Welt festgestellt, dass man mit solch einer Regierung nicht zusammenarbeiten könne. Daraufhin kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und der unterlegenen Fatah, und am Ende wurden diese Vertreter der PLO aus dem Gazastreifen in die Westbank vertrieben. Das geschah mit Gewalt und ohne Zustimmung der Bewohner, die nun plötzlich eine islamistische Diktatur hatten. Seitdem wurde ja auch nicht mehr gewählt.

Schon 2005 hat sich Israel aus dem Gazastreifen zurückgezogen und 21 Siedlungen geräumt – in der Hoffnung auf Frieden. Die wurde nie erfüllt. Sind die Palästinenser daran völlig schuldlos?

Schuldzuweisungen – wer wann irgendwo einen Fehler gemacht hat – bringen uns nicht weiter. Doch der Rückzug aus dem Gazastreifen, veranlasst vom damaligen Premier Ariel Sharon, hatte ja einen Hintergrund: Wegen der hohen Präsenz von Palästinensern eignete sich das Land nicht für eine dauerhafte jüdische Besiedlung. Zum Ausgleich hat man den Siedlern, die keinesfalls freiwillig gingen, dann Land in der Westbank zugewiesen. Es war also kein Friedensangebot, sondern ein Schachzug.

Israel hat jetzt offiziell erklärt, dass es den Gazastreifen weder dauerhaft besetzen noch verkleinern will – es gehe allein um die Zerschlagung der Hamas. Falls die Hamas tatsächlich ihre Macht in Gaza verliert: Wer sollte dann dort regieren?

Das ist eine sehr heikle Angelegenheit. Auch wenn die Hamas-Strukturen zerstört sind, wird es in der Bevölkerung noch Leute geben, die einer ähnlichen Ideologie anhängen. Das ist erwartbar, auch wenn ich das nicht begrüße. Schon deshalb hat Israel kein Interesse daran, das gänzlich zerstörte Gebiet wieder zu besetzen.

Irgendwer muss die Kontrolle übernehmen.

Fakt ist, dass die Autonomiebehörde als Vertreterin des palästinensischen Volkes international anerkannt gewesen ist – unabhängig davon, ob sie nun korrupt oder unfähig oder beides ist. Ich wage aber zu bezweifeln, dass sie in der Lage ist, den Gazastreifen zu kontrollieren und auch länger zu regieren – zumal sie in der Westbank auch jetzt wohl noch keine Mehrheit hinter sich hat.

Wer also dann?

Die UN? Deren Präsenz lehnt Israel kategorisch ab. Arabische Staaten? Ägypten hatte ja schon früher den Gazastreifen bis 1967 verwaltet. Das palästinensische Volk müsste sein Selbstbestimmungsrecht schon selber erlangen, aber ich weiß derzeit nicht, wie das gehen soll.

Kann ein Palästinenser-Staat überhaupt funktionieren, der aus zwei getrennten Gebieten besteht, dem winzigen Gazastreifen – kleiner als das Land Bremen – und dem größeren Westjordanland?

Als die Zwei-Staaten-Lösung erstmals präsentiert wurde, beinhaltete sie einen Korridor vom Gazastreifen zur Westbank, selbstverständlich mit Zustimmung Israels. Im Laufe der Zeit sind jedoch zwei Gebilde entstanden, die geografisch getrennt sind und auch politisch kaum miteinander zu tun haben. Das lag nicht nur an der Unfähigkeit der Autonomiebehörde, das hat auch Israels Premier Benjamin Netanjahu in den 16 Jahren seiner Regierungszeit bewusst betrieben.

Warum?

Im Grunde hat er die Zwei-Staaten-Lösung immer abgelehnt. 2019 hat er sogar gesagt, wer sie nicht wolle, müsse die Hamas stärken. Deshalb hat er Katar erlaubt, Gaza massiv finanziell zu fördern. Damit wurde gleichzeitig die Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas weiter geschwächt – und Netanjahu konnte auf der Weltbühne sagen: Seht, ich habe ja gar keinen Ansprechpartner für Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung. Die USA, die EU und Deutschland haben das einfach hingenommen. Sie tragen eine Mitschuld an der aktuellen ­Misere.

Aktuell gibt es etliche völkerrechtlich illegale jüdische Siedlungen in der Westbank, also jenseits des Gazastreifens. Ist eine Zwei-Staaten-Lösung nur möglich, wenn das Westjordanland quasi judenfrei wird?

Das Wort möchte ich nicht in den Mund nehmen. Damit hat Netanjahu schon Frank-Walter Steinmeier provoziert, als dieser noch Außenminister war. Wir wissen beide, dass das in Deutschland sehr sensibel ist. Aber darum geht es gar nicht. Als das Abkommen geschlossen und die Nobelpreise dafür verteilt wurden, gab es noch sehr wenige Siedlungen. Da war alles noch machbar – aber Netanjahu hat dafür gesorgt, dass es immer schwieriger wird.
[…]

Das ganze Interview hier (leider hinter der Bezahlschranke): https://ezeitung.weser-kurier.de/titles/weserkurier/6372/publications/172412/pages/2/articles/1936302/3/1

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