Der Tod eines drei Jahre alten Säuglings an einer Haltestelle der Light Train in Ost-Jerusalem hat eine Welle von zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und Polizei und Palästinensern ausgelöst. Bei dem Vorfall war ein junger Palästinenser mit einem Auto mit hoher Geschwindigkeit in eine Gruppe wartender Personen gerast. Ein Säugling starb; sieben Personen wurden verletzt. Der Fahrer wurde von der Polizei erschossen, als er versuchte wegzulaufen.
Der Weserkurier (v. 24.10.14) berichtet: „Ohne zu bremsen, rast der Wagen über den Bordstein der Haltestelle. Rammt die Menschen, die am Bahnsteig auf die einfahrende Straßenbahn warten. Er stoppt nicht, als er die ersten Passanten überrollt, offenbar gibt er sogar Gas. Fährt weiter, den ganzen ganzen Bahnsteig entlang. Wer dort steht, wird von ihm erfasst.“ Die Polizei würde die Tat nur „zögerlich einen Terror-Anschlag“ nennen, was dem Weserkurier aber zu wenig ist. „Menschen in Israel“ wären weniger zurückhaltend, sie würden schon von einer „leisen Intifada“ und von einem „schleichenden Palästinenseraufstand“ sprechen, womit an die Selbstmordattentate der Jahrtausendwende und die damit verbundenen Ängste erinnerten.
Mehr Informationen liefert Alexandra Rojkov, die Verfasserin des Artikels, nicht. Sie schließt sich aber ohne jede Distanz der Forderung der israelischen Hardliner an, als Reaktion auf diesen schrecklichen Vorfall mehr illegale Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem zu bauen. Sie zitiert Wirtschaftsminister Naftali Bennet, den exponierten Sprecher der israelischen Rechtsradikalen. Nicht Verzweiflung nämlich würde die Palästinenser antreiben, sondern allein die Hoffnung, die Israelis zu vertreiben. Der Artikel schließt: „Es sei wichtig, nicht nachzugeben, ein Zeichen zu setzen, meint Bennet. Und weiter Siedlungen zu bauen, in Ostjerusalem und dem Westjordanland.“
Gehts noch schlimmer, noch einseitiger? Was nicht vom Weserkurier berichtet wird, ist in der jungen Welt v. 25.10.14 nachzulesen. Danach soll „Der 21jährige Fahrer nach Angaben seiner Familie unter psychischen Problemen gelitten haben. Er habe die Menschen »nicht absichtlich« angefahren, sagte die Mutter des jungen Mannes. Seit September 2012 sei ihr Sohn dreimal in israelischer Haft gewesen, zuletzt kam er im März wieder frei. Er habe berichtet, dort gefoltert worden zu sein. An dem Tag, an dem er mit dem Auto in die Menschenmenge fuhr, sei sie morgens mit ihm beim Arzt gewesen, sagte die Mutter. Der habe ihren Sohn zu einem Psychiater überwiesen, der Termin sollte am 9. November sein. Nach seinem Tod habe die Polizei eine Autopsie angeordnet, ohne die Familie zu kontaktieren, kritisierte die Mutter. Sie habe vom Tod ihres Sohnes aus dem Fernsehen erfahren.
Unklar ist, ob Schaludis Tat möglicherweise durch einen ähnlichen Vorfall provoziert war, wie er sich wenige Tage zuvor bei dem Ort Sindschil in der Westbank ereignet hatte. Dort hatte ein Siedler mit seinem Fahrzeug zwei kleine Mädchen angefahren, die am Straßenrand entlanggelaufen waren. Die fünfjährige Einas Khalil erlag später in einem Krankenhaus ihren Verletzungen. Einwohner des Ortes Sindschil, aus dem die beiden Mädchen stammten, warfen dem Mann vor, die Kinder absichtlich angefahren zu haben. Ein Polizeibericht wies das zurück.
Die Besiedlung Ostjerusalems und des Westjordanlandes durch mehr als 500.000 israelische Siedler führt immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den dort lebenden Palästinensern. Nach dem Völkerrecht sind die mittlerweile 125 israelischen Siedlungen in der Westbank illegal, weil sie sich auf von Israel besetztem palästinensischem Land befinden. Fast täglich gehen zionistische Kolonisten gewaltsam gegen Häuser, Eigentum, Gärten und Felder der Palästinenser vor, was zu Protesten der Betroffenen führt.
Erst in der vergangenen Woche sägten Siedler mit Kettensägen mehr als 100 Olivenbäume unweit von Nablus ab, die kurz vor der Ernte standen. »Sie stehlen die Oliven, um uns zu zeigen, dass dieses Land ihnen gehört und nicht den Palästinensern«, sagte ein Mann aus Bil’in dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira. Die palästinensische Autonomiebehörde hat versprochen, die Bauern zu entschädigen. Die israelische Menschenrechtsgruppe B’Tselem hat wiederholt Angriffe auf die Olivenhaine durch Siedler dokumentiert. In manchen Fällen werden die Haine in Brand gesetzt, die Bäume gefällt oder die Ernte gestohlen.
Seit der Besetzung der palästinensischen Westbank 1967 wurden mehr als 800.000 Olivenbäume entwurzelt und zerstört. Olivenbäume gelten den Palästinensern als heiliges Symbol der Verbundenheit zu ihrem Land. In diesem Jahr könnte die Ernte mit 15.000 Tonnen Olivenöl nur die Hälfte der Ernte von 2013 betragen, sagt Faris Al-Jabi vom Palästinensischen Zentrum für Forschung und landwirtschaftliche Entwicklung.
Am kommenden Montag sollen auf Einladung der ägyptischen Regierung in Kairo die Verhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis fortgesetzt werden. Dabei geht es um die Verlängerung des Waffenstillstandes nach dem letzten Gazakrieg im Juli und August dieses Jahres. Auch die Ausweitung der maritimen Zone für die palästinensischen Fischer soll behandelt werden.“
Sönke Hundt